Aef-Regionalkonferenz

Oldenburger Münsterland: Droht massiver Wertschöpfungsverlust?

Jochen Borchert stritt mit Gero Hocker und anderen Agrarpolitikern der Ampel um Kurs und Kompass in der Tierhaltung. Auch die Autoren der „ReTiKo“ und „TRAIN“-Studien schenkten sich nichts.

Beim Ringen um die Zukunft der Landwirtschaft liegen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. Einerseits fordert die Gesellschaft Veränderungen, andererseits bewegt sich auf politischer Ebene nichts mehr. Viele Bauern würden gerne neue Wege gehen, können aber nicht. „Dabei liefert unsere Branche bereits zahlreiche Lösungen für die Probleme des Sektors, aber die Politik will das nicht sehen und kennt unseren Willen zur Veränderung und unser Engagement auch nicht an“, machte Sven Guericke, Vorstandsvorsitzender Agrar- und Ernährungsforums e.V. (aef), bei der jüngsten Regionalkonferenz des Verbundes am Freitag im niedersächsischen Friesoythe deutlich. Guericke forderte die politisch Verantwortlichen im Bund und den Ländern auf, endlich auf die Sach- und Fachkompetenz der Experten vor Ort zu hören, anstatt ständig neue Gutachten in Auftrag zu geben.

Landwirte können Umweltschutz und Tierwohl, brauchen aber Gestaltungsfreiraum. Das erklärten Annette Jans-Wenstrup (Vorstandsmitglied des Landfrauenverbandes Weser-Ems), Sven Guericke (Vorstandsvorsitzender Agrar- und Ernährungsforum), Dr. Barbara Grabkowsky (Leiterin Verbund Transformationsforschung agra), Cord Schiplage (Geschäftsführer der GS agri) und Matthias Schulze Steinmann (Moderator und top agrar-Chefredakteur). (Bildquelle: Arden)

Unterstützung bekam Guericke von Dr. Barbara Grabkowsky, Leiterin Verbund Transformationsforschung agrar, der Uni Vechta. Die Wissenschaftlerin verdeutlichte, dass sie und ihr Team in vielen Forschungsprojekten eng mit Praxisbetrieben zusammenarbeiten, den Schulterschluss mit der Wirtschaft suchen und dadurch „nah an den Problemen und Lösungen“ dran sind. Aus Sicht von Grabkowsky hat der Sektor das Potenzial, seine Probleme selbst zu lösen. Dafür brauche es aber eine breit abgestimmte Gesamtstrategie, einen ehrlichen Diskurs mit offener Benennung der Probleme, ein gutes Drehbuch wie man die Probleme angehen will und wissenschaftliche Unterstützung. „Helfen kann uns die Politik, wenn sie uns finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Das beschleunigt die Lösungssuche z.B. bei der Frage, wie die Nutztierhaltung in Zukunft aussehen kann“, so Grabkowsky.

Landwirte können Umweltschutz und Tierwohl

Was der Sektor im Stande ist zu leisten, hob Cord Schiplage, Geschäftsführer der Genossenschaft GS agri, hervor. „Bei den Themen Nachhaltigkeit ist die Landwirtschaft bereits ganz vorne dabei. Allein durch die konsequente Umsetzung der nährstoffreduzierten Fütterung haben wir dafür gesorgt, dass weniger CO2 ausgestoßen wird. Mehr Nachhaltigkeit wird auf vielen Höfen bereits heute tagtäglich gelebt“, stellte Schiplage klar.

Auch Jörn Ehlers, stellvertretender Vorsitzender des Niedersächsischen Landvolks, betonte die Leistungen des Sektors. „Bei der Entwicklung des Tierwohls wissen wir wie die Lösungen aussehen können. Damit wir aber Fahrt aufnehmen können, brauchen wir nicht nur den schönen neuen Tesla vor der Tür. Wir brauchen auch vier Reifen, um fahren zu können“, so Ehlers. Zudem müsse allen klar sein, dass mehr Tierwohl von der Gesellschaft bezahlt werden und die Perspektive da sein muss. „Momentan haben wir eine verschmierte Windschutzscheibe. Wir als Landwirte sehen nicht, wohin die Reise geht. Da muss endlich mehr Klarheit in die Diskussion“, so der Landwirt.

Zukunftsstudien sorgen für Diskussion

Was passiert mit der Region, wenn die Nutztierhaltung stark reduziert wird? Und was bedeutet der beschleunigte Strukturwandel für die weitere Entwicklung der Wertschöpfungskette im Nordwesten? Diese Fragen sollte das bundeseigene Thünen-Institut im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums klären.

Ergebnis: Die Viehdichte kann reduziert werden, ohne dass auf Wertschöpfung in der Region verzichtet werden muss, so Dr. Anne Margarian, Wissenschaftlerin beim Institut für Marktanalyse am Thünen-Institut. Die Expertin verdeutlichte, dass bei einem Schrumpfen des Agrar- und Ernährungssektors zwar weniger Beschäftigte in diesen beiden Bereichen tätig sein werden, die Arbeitskräfte dafür aber im wachsenden Dienstleistungssektor oder im öffentlichen Dienst unterkommen werden, der ständig neue Arbeitskräfte sucht.

Margarian forderte die in der Veredlungsregion Nordwest fachlich sehr gut aufgestellten Unternehmen im vor- und nachgelagerten Bereich dazu auf, die Neuausrichtung des Sektors aktiv mitzutragen. „Sie haben sehr gute Netzwerke, top ausgebildete Fachkräfte und eine hohe Innovationskraft. Das sind gleich mehrere gute Grundlagen für eine Neuausrichtung“, so Margarian.

Dr. Alexander Fink, Vorstandsmitglied der Scenario Management International AG, hat sich in einer weiteren Studie mit den Transformationsszenarien für die Agrar- und Ernährungswirtschaft in Niedersachsen (TRAIN) beschäftigt. Der Experte kommt darin zu dem Ergebnis, dass die Bruttowertschöpfung in der Agrarwirtschaft durch den Transformationsprozess in der Region Nordwest bis zum Jahr 2030 bei einem starken Schrumpfen des Sektors um bis zu 700 Mio. € sinken könnte. Die Nahrungs- und Futtermittelindustrie könnte weitere 1,5 Mrd. € Wertschöpfung verlieren. Den Verlust der sonstigen Sektoren beziffert Fink auf bis zu 775 Mio. €. „Im schlimmsten Fall wird die Agrar- und Ernährungsbranche nach unseren Berechnungen bis zum Jahr 2030 über 3 Mrd. € an Bruttowertschöpfung und fast 24.000 Beschäftigte verlieren“, warnte Fink vor den Folgen.

Aus seiner Sicht könne der drastische Rückgang verhindert werden, wenn auf EU-, Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene endlich gehandelt werde. Der Bund müsse schnellstens das Baurecht anpacken und Zielkonflikte zwischen einzelnen Gesetzen auflösen. „Die Gesetzgebung muss dringend an die gesellschaftlichen Erwartungen angepasst werden. Konkret bedeutet das, dass der Bau von Tierwohlställen bau- und immissionsschutzrechtlich geregelt werden muss“, so Fink. Er plädiert zudem für mehr Fördermittel vom Bund und eine breit abgestimmte Regionalstrategie auf Landesebene. Auch die Kreise seien gefordert. „Jeder Kreis sollte eine auf 20 Jahre abgestimmte Wirtschaftsstrategie erarbeiten. In dieser muss festgelegt werden, welchen Raum perspektivisch welche Wirtschaftsbereiche einnehmen sollen“, erklärte Fink.

Keine Finanzierung für Tierwohl

Eine realistische Summe an Fördermitteln für den Umbau der Tierhaltung ist jedoch momentan nicht in Sicht. „Wir sehen keine Perspektive, dass unsere Empfehlungen vor allem zur Finanzierung der Transformation in den nächsten Jahren von der Bundesregierung umgesetzt werden“, brachte es Jochen Borchert auf den Punkt. So biete auch der Haushaltsplan für 2024 keinerlei Perspektive für eine langfristige Finanzierung. Das sind die Gründe, warum seine Kommission die Arbeit niederlegte. In seinen Augen wäre die Abgabe von 40 Cent/kg Fleisch, eine Belastung pro Verbraucher und Jahr von etwa 34 €, vertretbar. Auch das Erhöhen der Mehrwertsteuer sei ein denkbares Finanzmittel. Denn freiwillig greifen Verbraucher nicht zu den teuren Tierwohl-Produkten.

Jochen Borchert (links) diskutierte mit MdB Susanne Mittag, agrarpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, und MdB Dr. Gero Hocker, agrarpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, über die Zukunft der Tierhaltung. (Bildquelle: Schmidtmann)

MdB Dr. Gero Höcker, agrarpolitischer Sprecher der FDP, stimmte zu, dass die Borchert-Kommission viele wichtige Dinge formulierte und fügte hinzu: „Entscheidend ist die Verlässlichkeit durch Verträge. Ich habe verlangt, dass es ein Auflagenmoratorium für Betriebe gibt, die bereit sind zu investieren. Aber das ist nicht hinzubekommen.“ Bei der Frage der Finanzierung, komme er allerdings zu einem anderen Ergebnis. Es könne schließlich jeder Landwirt nach gesetzlichem Standard weiterproduzieren. Kein Landwirt müsse seine Ställe umbauen.

Die agrarpolitische Sprecherin der SPD, MdB Susanne Mittag, erklärte: „Sowohl Borchert-Kommission als auch ZKHL stehen verklausuliert im Koalitionsvertrag.“ Der Inhalt der Borchert-Kommission sei erledigt, weil die Ampel-Koalition bereits einen politischen Rahmen gegeben habe in Sachen Bau- und Immissionsrecht sowie Tierhaltungskennzeichnung (Mastschweine aktuell, anderen Tierarten folgen 2024). Die Details fehlen allerdings. Für Mittag sei 1 Mrd. € realistisch für den Umbau der Tierhaltung.

Borchert fragte daraufhin: „Wie soll ich einem Landwirt raten, vor Hintergrund der sinkenden laufenden Erstattungen der Kosten von 50 auf 12,5 Mio. €, das Risiko einzugehen einen Stall umzubauen?“ Gleichzeitig solle sich der Landwirt dann noch verpflichten für 12 Jahre den entsprechenden Standard zu produzieren – für Borchert ein unrealistisches Szenario.

Er warnte: „Die Nutztierhaltung in ganz Deutschland leidet darunter, dass Bauern, die ihre Ställe neu- oder umbauen wollen, die Perspektive fehlt.“ Große Gefahr sieht er darin, dass Klagen vor dem Oberverwaltungsgericht höhere Haltungsstufen vorschreiben könnten. Das befeuere den Abbau der Tierhaltung.

Trotzdem macht der ehemalige Agrarminister der Region Oldenburger-Münsterland Mut: „Diese Region hier hat das Potenzial weiterzuwachsen, auch in schwierigen Zeiten.“

Standing-Ovation für Jochen Borchert
Die Wertschätzung und Dankbarkeit für die Arbeit von Jochen Borchert als Vorsitzender der gleichnamigen Kommission wurde Freitag in Friesoythe zum Ausdruck gebracht. Friedrich Otto Ripke, Präsident des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft und ebenfalls Mitglied der Kommission, bedankte sich emotional für die tolle Zusammenarbeit und das Zusammenhalten der verschiedenen Gruppen innerhalb der Kommission bei Jochen Borchert. „Mit seiner besonderen menschlichen Art hat Jochen Borchert es geschafft viele Akteure an einen Tisch zu bringen.“ Viele Dankworte folgten und das Publikum stand auf und applaudierte minutenlang.

Lesen Sie mehr:

Die Thünen-Studie zum Schrumpfen der Viehhaltung wirbelt gerade erheblich Staub auf. In den Landkreisen fühlt man sich übergangen. Auch aus Wirtschaft, Landwirtschaft und Handel kommt scharfe...

Debatte: Thünen-Studie zu Tierbeständen

Bestandsabbau: Alles halb so wild?

von Patrick Liste, Heinz Georg Waldeyer

Der massive Abbau der Tierbestände in viehdichten Regionen ist gesamtwirtschaftlich weniger dramatisch als gedacht, zeigt zumindest eine Thünen-Studie. Wie kommen die Forscher darauf?

Transformationsszenarien

Studie der IHK: Zukunft für den Agrarsektor?

von Alina Schmidtmann

Die Oldenburgische Industrie- und Handelskammer hat verschiedene Zukunftsszenarien der Agrar- und Ernährungswirtschaft untersuchen lassen.