Debatte: Thünen-Studie zu Tierbeständen

Bestandsabbau: Alles halb so wild?

Der massive Abbau der Tierbestände in viehdichten Regionen ist gesamtwirtschaftlich weniger dramatisch als gedacht, zeigt zumindest eine Thünen-Studie. Wie kommen die Forscher darauf?

Über Umfang und Ausrichtung der Tierhaltung in Deutschland gibt es seit ­Langem Streit. Zwei Dinge sind aber unstrittig:

  • Die Nutztierhaltung war für einige Regionen in Deutschland über Jahrzehnte ein Motor für Wirtschaft und Arbeitsplätze. Landwirtschaftliche Betriebe kaufen vor Ort und arbeiten mit Firmen sowie Handwerkern aus der Region zusammen. Vor- und nachgelagerte Branchen wie Futtermittel- oder Schlachtunternehmen sind gewachsen und heute ­starke Wirtschaftsak­teure bzw. Arbeitgeber. Die Kombination ergibt Gewerbesteuereinnahmen sowie Kaufkraft für den ländlichen Raum.
  • Die Dinge ändern sich: Politik und Lebensmittelhandel verschärfen die Auflagen für Tierhalter, die gesellschaftliche Kritik an Nutztierhaltung nimmt zu und Verbraucher essen weniger Fleisch. Mit der Folge, dass landwirtschaftliche Betriebe aussteigen, die Tierbestände sinken und beispielsweise Schlacht­unternehmen schließen. Allein zwischen Mai 2022 und Mai 2023 gaben knapp 11 % der deutschen Schweinehalter auf, der Schweinebestand sank um gut 7 %. Im Vergleich zu 2013 gibt es heute 25 % weniger Schweine in Deutschland.

Die spannende Frage ist: Wie wirken sich die schrumpfenden Tierbestände auf die regionale Wirtschaft aus?

Schweine-Hochburg im Fokus

Genau das hat das Thünen-Institut für Marktanalyse im Nordwesten Deutschlands untersucht. Damit stand die Region mit der bundesweit höchsten Schweinedichte im Fokus. Dazu zählen in Niedersachsen die Landkreise Vechta, Cloppenburg, Osnabrück, Emsland sowie Grafschaft-Bentheim und in Nordrhein-Westfalen die Kreise Coesfeld, Borken, Warendorf sowie Steinfurt.

In diesen Landkreisen gibt es insgesamt fast 9,5 Mio. Schweine. Das sind mehr als 37 % des Gesamtbestandes in Deutschland. Hinzu kommen noch Rinder, Hähnchen, Legehennen und andere Tiere, sodass der Viehbesatz/ha im Nordwesten zumindest in Deutschland seinesgleichen sucht. Die Zahlen in unserer Grafik verdeutlichen die Veredlungsdichte.

In den untersuchten Landkreisen gibt es jedoch nicht nur viel Vieh. Der vor- und nachgelagerte Bereich boomt ebenfalls. Davon zeugen rund ein Dutzend mittelständische bzw. größere Schlachthöfe sowie mehr als 30 Futtermittelhersteller, die dort ansässig sind. Rund um die Tierhaltung haben sich zudem weitere, umsatzstarke Wirtschaftsbereiche entwickelt. Eng verknüpft mit der Landwirtschaft ist beispielsweise der Maschinen- und An­lagenbau mit zahlreichen in der Region verwurzelten Stalltechnikanbietern.

In ihrer Untersuchung sind die Wissenschaftler zweigleisig vorgegangen:

  • Zum einen „quantitativ“. Sie ­haben mithilfe sogenannter Panel­regressionen das Zusammenspiel der Branchen in der Vergangenheit analysiert und da­raus eine mögliche Entwicklung des Agrarsektors für die Zukunft simuliert – einmal mit Halbierung des Agrarsektors und einmal ohne. Für die betroffenen Landkreise wurden dazu verschiedene Szenarien durchgerechnet („Fall- und Vergleichsregime“). Dabei haben die Thünen-Forscher einfließen lassen, welche Wechselwirkungen es zwischen den Branchen gibt und diese auch mit Entwicklungen in anderen Regionen Deutschlands abgeglichen.
  • Zum anderen gab es den „qualitativen“ Projektteil. Dazu haben die Forscher öffentlich zugängliche Zahlen und Fakten aus der Branche analysiert. Zudem haben sie regionale Experten interviewt und zu deren Strategien für die sich verändernde Situation in der Vieh- und Fleischbranche befragt. Interviewpartner ­waren Vertreter von Unternehmen aus der Branche, aber auch Experten für regionale Wirtschafts- und Branchenentwicklung.

Das sind die Schlussfolgerungen

Der komplette Bericht umfasst mehr als 200 Seiten. Insbesondere die Passagen zu den Modell-Simulationen sind auch für geübte ­Leser nicht immer leicht nachzuvollziehen. Für Laien sind sie schwer verständlich. An Schlussfolgerungen lässt sich aber festhalten:

  1. Ein Abbau der Tierbestände in bislang viehdichten Regionen hat nach Ansicht der ­Autoren weniger dramatische gesamtwirtschaftliche Folgen als bislang befürchtet. Weil andere Wirtschaftsbranchen stärker wachsen, können diese den Einbruch bei der Beschäftigung im Veredlungssektor teilweise oder sogar vollständig kompensieren. Denn, so die Wissen­schaftler, die Konzentration der Land- und Ernährungswirtschaft in den Regionen und ein jahrelanges Wachstum der Vieh- und Fleischwirtschaft habe das Wachstum anderer Branchen gebremst. Vor allem Boden und Arbeitskräfte seien knapp und teuer. Sollte nun die Tierhaltung zurückgehen, reduziere das die Konkurrenz – und es gebe Luft für andere Branchen, diese knappen Ressourcen zu nutzen und zu wachsen. Hypothese der Thünen-Mitarbeiter: Bei gleichbleibenden konjunkturellen Bedingungen schwächt sich trotz Verlusten in der Viehwirtschaft das sowieso sehr starke regionale Beschäftigungswachstum kaum ab.

  2. Voraussetzung sei aber ein Umbau der Wertschöpfungsketten in der regionalen Vieh- und Fleischwirtschaft. Dafür müssten „etablierte Unternehmen ihre Geschäftsmodelle am Standort vorausschauend an den anstehenden Wandel anpassen“, heißt es in der Studie. Das halten die Wissenschaftler für die zentrale Herausforderung, ohne konkret zu sagen, wie und woran sie sich anpassen sollen. Ob beispielsweise alternative Proteine (Fleischersatzprodukte) ein neues Geschäftsfeld sein können, bleibt nach ihrer Einschätzung offen.

  3. Klarer sind die Studienautoren bei der Politik. Eingriffe, die auf eine „Konservierung“ der bisherigen Strukturen abzielten, behinderten die Erneuerung und Anpassung der regionalen Wirtschaft. Mittel- und langfristig könne dies Einkommen schwächen und Arbeitsplätze gefährden. Der Vieh- und Fleischbranche raten sie, nicht an „alten Zielbildern“ festzuhalten.

Zweifel und Besorgnis

In der Branche und bei den Menschen in den untersuchten Regionen haben diese Ergebnisse teils für Zustimmung, oft aber für Verwunderung gesorgt. Die „Alles halb so wild“-Einschätzung der Wissenschaftler in Bezug auf die Halbierung der Tierhaltung können sie jedenfalls nicht teilen. Eine Auswahl von Stimmen finden Sie auf der nächsten Doppelseite.

Den kompletten Studienbericht „Regionalwirtschaftliche Auswirkungen einer Redu­zierung der Tierhaltung in Konzentrations­gebieten“ finden Sie hier.

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