Reaktivierung ländlicher Bahnstrecken

"Haller Willem": Vorzeigeprojekt oder Sorgenkind?

Der „Haller Willem“ pendelt seit 2005 wieder zwischen Osnabrück und Bielefeld. Eine Erfolgs­geschichte ohne Abstriche?

Die Zugnummer „RB 75“ kennt im Ostwestfälischen kaum jemand. Stattdessen ist allseits nur vom „Haller Willem“ die Rede. Diese regionale Bahnstrecke führt auf 53 km Länge am Teutoburger Wald entlang. Sie verbindet Bielefeld und Osnabrück – sowie die sieben ländlich-kleinstädtischen Kommunen entlang der Strecke: Steinhagen, Halle, Borgholzhausen, Dissen, Bad Rothenfelde, Hilter und Georgsmarienhütte.

Kutscher ohne Kundschaft, Zug ohne Fahrgäste

Der Beiname „Haller Willem“ soll an einen Kutscher namens Wilhelm Stuckemeyer erinnern. Um 1870 ist er zweimal täglich von Halle nach Bielefeld und zurück gefahren. Mit dem Bau der Bahnstrecke brach ihm die Kundschaft weg – der Name des Kutschers soll dann auf die 1886 eröffnete Bahnstrecke übergegangen sein.

Viele Jahrzehnte später hätte die Bahnstrecke fast dasselbe Schicksal ereilt wie den legendären Kutscher. Denn das Auto machte dem öffentlichen Nahverkehr Konkurrenz. Die Zahl der Fahrgäste ging zurück. 1984 stellte die Bahn den Personenverkehr von Osnabrück bis Dissen ein. Wenige Jahre später sollten auch die Gütertransporte eingestellt, die Gleise abgebaut werden. Dagegen bildete sich eine „breite Allianz von Bürgern“, erinnert sich der Borgholzhausener Landwirt und Kommunalpolitiker Arnold Weßling, der für die CDU unter anderem im Regionalrat des Regierungsbezirks Detmold sitzt und sich dort auch um Fragen der Mobilität kümmert. „Damals sind viele Bahnstrecken aufgegeben und viele Flächen von der Bahn verkauft worden, die wir heute dringend benötigen und teilweise teuer zurückkaufen müssen.“

Erfolg der Bürgerinitiative

Einer rasch gegründeten „Initiative Haller Willem“ (IHW) gelang es seiner­zeit, den Abriss der Gleise zu verhindern. Und mehr noch: Sie konnte eine Modernisierung der Bahnstrecke erreichen. Der „Haller Willem“ wurde sogar zu einem Vorzeigeprojekt der Weltausstellung Expo 2000 erklärt. Alle Signale standen auf „grün“, als die Landes­nahverkehrsgesellschaft Niedersachsen eine Kosten-Nutzen-­Analyse anstellte und etwa 3600 Fahrgäste pro Tag voraussagte.

Die Strecke wurde saniert und 2005 neu eröffnet. Vorgesehen war sogar eine digitale Funksteuerung der Strecke. Diese praxisreife Technik scheiterte „an der Rückständigkeit und Unbeweglichkeit der Bahn“, ist Weßling überzeugt.

Die Revitalisierung der Strecke sei geglückt, sagt Johannes Bartel, langjähriger Kreisgeschäftsführer der Grünen und Sprecher der IHW. Zwischen Osnabrück und Bielefeld nutzen nach seinen Angaben etwa 5000 bis 6000 Personen täglich den Zug.

Diese Zahlen stammen allerdings aus der Zeit „vor Corona“. Für 2020 ergibt sich ein anderes Bild. Nach Angaben der niedersächsischen Landesregierung vom August 2020 nutzten werktags zwischen 1000 und 1100 Fahrgäste die Strecke von Osnabrück bis Halle, weitere 2200 bis 2700 Fahrgäste täglich die Strecke zwischen Halle und Bielefeld.

Die Strecke des "Haller Willem" (Bildquelle: B. Wittich / Wochenblatt)

Baustelle und Zugausfälle

Doch nicht erst die Pandemie hat die Fahrgastzahlen gedrückt, sondern zuvor schon Bau- und Sanierungsarbeiten. Bei Brackwede musste über viele Monate der Zug durch den Bus ersetzt werden. Die Zugausfallquote stieg 2019 auf 15,3 % – gut jeder siebte Zug fiel aus. Zum Vergleich: Zwei Jahre zuvor hatte die Quote noch bei 2,9 % betragen. Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ bezeichnete den Haller Willem als „größtes Sorgenkind“ des Nahverkehrsverbandes Westfalen-Lippe.

Ausgebremst werden die Fahrgastzahlen auch vom Takt der Bahn. Derzeit pendelt die Nordwestbahn zwischen Bielefeld und Halle/W. im 30-Minuten-Takt. Von Halle aber geht es nur alle 60 Minuten weiter bis Osnabrück und zurück. Um auch hier einen 30-Minuten-Takt zu erreichen, müssen zwei Ausweichstellen für den Gegenverkehr neu angelegt werden, erklärt Bartel. Die „Begegnungs­stellen“ zwischen Oesede und Georgsmarienhütte sowie zwischen Dissen und Westbarthausen sollen zusammen etwa 3 bis 3,5 Mio. € kosten. Bis etwa 2025 sieht Bartel dafür gute Chancen.

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Eine gemischte Bilanz

Insgesamt sei der „Haller Willem“ eine Erfolgsgeschichte, sagt er. Warum? „Die Pünktlichkeit der Züge“, antwortet Bartel ohne Zögern. Außerdem weist er auf den Service, beispielsweise die Abstellanlagen für Pkw und Fahrräder sowie Fortschritte der Bahntechnik: „Die Züge sind sehr leise geworden.“

Etwas getrübter fällt die Bilanz Weßlings aus. Die Pünktlichkeit sieht er kritischer und beruft sich auf Erfahrungen aus seinem privaten Umkreis, aber auch von Anliegern wie etwa der Firma Storck in Halle, deren Belegschaft in Teilen per Bahn anreist. Da habe es wiederholt Beschwerden gegeben, sagt Weßling. Er sieht bei der privaten Betreibergesellschaft „noch viel Luft nach oben“ und betont mit Blick auch auf andere regionale Bahnprojekte: „Verlässlichkeit ist unerlässlich.“

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