Im Juli 2019 war es so weit: In der Grafschaft Bentheim in Niedersachsen rollten die ersten Personenzüge wieder von Bad Bentheim über Nordhorn nach Neuenhaus. Zuvor war die Strecke 43 Jahre nur für den Güterverkehr genutzt worden. Wir haben mit Joachim Berends, Geschäftsführer der Bentheimer Eisenbahn, über das Projekt gesprochen.
Wie ist die Idee entstanden, die Strecke in der Grafschaft zu reaktivieren?
Der Hauptantrieb kam aus der Region. Die Menschen hier haben seit den 90er-Jahren versucht, das Land Niedersachsen zu überzeugen, dass eine Kreisstadt wie Nordhorn einen Personenverkehrsanschluss auf der Schiene braucht. Möglich wurde das Projekt jetzt, weil sich der Bund seit einigen Jahren dafür einsetzt, den Nahverkehr auf der Schiene auszubauen. Aus zusätzlichen Mitteln können die Länder mehr Reaktivierungen bezahlen.
Warum wurde die Bentheimer Trasse dafür ausgewählt?
2013 hat die damalige Landesregierung 80 mögliche Strecken in Niedersachsen untersuchen lassen. Davon sind acht in die engere Auswahl gekommen. Für die Strecke in der Grafschaft hat ein Gutachter 1700 Fahrgäste pro Tag prognostiziert. Das ist ein sehr guter Wert für den ländlichen Raum. Bei der Entscheidung für diese Strecke im Jahr 2015 spielte aber auch eine große Rolle, dass hier keine neuen Schienen verlegt werden mussten, da der Güterverkehr auf der Strecke immer weitergelaufen ist.
Was musste gemacht werden, um den Personenverkehr wieder aufzunehmen?
Die Strecke musste komplett mit Lichtsignalen ausgestattet werden. Außerdem haben wir viele Bahnübergänge mit Lichtsignalen oder Halbschranken gesichert. Im Bentheimer Wald mussten wir in einigen Bereichen den Waldboden nachverdichten, um auch bei 80 km/h für die nötige Fahrruhe zu sorgen.
Den Bahnhof in Bad Bentheim haben wir von der Deutschen Bahn übernommen und komplett umgebaut. Dort ist jetzt ein Reisebüro mit Fahrkartenschalter und ein Café untergebracht. Das gleiche haben wir in Neuenhaus gemacht. Der Bahnhof in Nordhorn wird noch renoviert und soll nächstes Jahr fertig gestellt sein.
Wie wurde das Projekt finanziert?
Wir haben knapp 25 Mio. € in die Reaktivierung der Strecke investiert. Dafür hat uns das Land Niedersachsen einen Zuschuss von 75 % gewährt. Die restliche Summe haben wir als Bentheimer Eisenbahn selber bezahlt, ebenso wie die neuen Fahrzeuge, die weitere 20 Mio. € gekostet haben.
Bald soll die Trasse bis in die Niederlande führen. Wann ist es so weit?
Die Studien sind abgeschlossen und liegen zur Prüfung in Hannover. Wir erwarten im Sommer die endgültige Ministerentscheidung dazu. Dann können die Züge hoffentlich 2025 bis nach Coevorden in den Niederlanden durchfahren.
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Welche Effekte hat die neue Strecke für die Region?
Neuenhaus hat sich, sowohl was die Wohnbebauung als auch was die Auslastung der Gewerbegebiete angeht, positiv entwickelt, Nordhorn genauso. Das ist sicherlich nicht nur auf die Eisenbahn zurückzuführen. Aber Fachkräfte, die in die Region kommen wollen oder sollen, schauen, welche Möglichkeiten sie dort haben. Wenn sie dann sehen, die haben noch nicht mal einen Bahnhof in der Region, dann vermittelt das den Eindruck, dass da nichts los ist.
Erreichen Sie die prognostizierten Fahrgastzahlen?
Bevor Corona ausgebrochen ist, waren wir bei knapp 2500 Fahrgästen pro Tag. Wir durften davon ausgehen, dass die Menschen mehr und mehr den Zug in ihr Leben einplanen, sodass irgendwann mehr als 3000 Fahrgäste am Tag im Zug unterwegs wären. Jetzt müssen wir erst ein paar Jahre warten, bis Corona rausgewachsen ist.
Wer nutzt die Strecke überwiegend?
Berufstätige nutzen den Zug, um in Bad Bentheim umzusteigen in Züge nach Rheine, Münster oder Osnabrück. Auch Schüler sind in den Zügen unterwegs. Am Wochenende nutzen auch viele Radfahrer die Strecke, denn die Region ist bei Radfahrern beliebt.
Landwirte mit einbezogen
In die Planung der Trasse in der Grafschaft Bentheim war von Anfang an die Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK) einbezogen. „Wir haben gemeinsam mit den Landwirten überlegt, welche Bahnübergänge eventuell entfallen können“, sagt Friedrich Wilhelm Ellermann von der Außenstelle Bentheim der LWK-Bezirksstelle Emsland. Bei einigen Übergängen kamen sie zu dem Schluss, dass diese unbedingt erhalten bleiben müssten, damit die Landwirte vom Hof zu ihren Flächen kommen. Zumindest in der Obergrafschaft, wo der Personenverkehr bereits wieder rollt, blieben diese Übergänge schließlich erhalten.
Dass Bahnübergänge jetzt mit einer Signalanlage oder Halbschranke ausgestattet sind, führt nach Ansicht von Friedrich-Wilhelm Ellermann nicht dazu, dass die Landwirte dort länger stehen. Vielmehr verbessert die Maßnahme die Sicherheit. Allerdings müssen Landwirte heute häufiger vor der Bahn warten, weil mehr Züge fahren.
Bisher zeigt sich Ellermannn zufrieden damit, wie die Anliegen der Landwirte bei dem Bahnprojekt in der Grafschaft Bentheim berücksichtig werden.
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