Kommentar

Auf den Krieg folgt der Hunger

Der Ukraine-Krieg erzeugt unvorstellbares Leid - und könnte eine Ernährungskrise auslösen. Prompt gibt es Streit über die europäische Agrarpolitik. Jetzt ist Besonnenheit nötig!

Das Leid ist unvorstellbar: Tote, Verletzte, zerbombte Städte, zerrissene Familien und 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Zudem könnte Russlands Überfall auf die Ukraine eine weltweite Ernährungskrise auslösen.

Die Ukraine ist eine Kornkammer. Doch im Ackerbau passiert jetzt fast nichts: Die Mitarbeiter verteidigen ihr Land. Sie fehlen für die Frühjahrsarbeiten. Diesel, Dünger, Saatgut und Pflanzenschutz sind aus oder unbezahlbar. In Russland ist es ähnlich. Deshalb dürften die Getreideerträge beider Länder stark sinken. Und die Ernte im eigenen Land bleiben. Noch 2021 stellten die Ukraine und Russland zusammen fast 30% der Weizenexporte auf dem Weltmarkt.

Die Befürchtungen sind schon an den Börsen sichtbar: Die Weizenkurse in Chicago sind auf ein 14-Jahres-Hoch gesprungen. Das trifft vor allem Länder in Afrika und Asien, weil diese bisher Getreide aus der Ukraine und Russland importierten. Sie sind ohnehin von Dürren und Kriegen gebeutelt. Noch höhere Weizenpreise können sie sich nicht leisten. Analysten schließen massive Hungersnöte nicht aus.

Klimaschutz vs. Versorgungssicherheit

Das hat eine hitzige Debatte über die europäische Agrarpolitik ausgelöst. Brüssel will mit der Agrar­reform 2023 sowie dem Europäischen Green Deal mehr Umwelt- sowie Klimaschutz – und senkt damit die Erträge, weil Landwirte weniger Dünger sowie Pflanzenschutz einsetzen dürfen und 4% ihrer Ackerflächen stilllegen müssen. Für die einen ist das nach wie vor richtig, weil die Umwelt- und Klimakrise auch mit Blick auf die künftige Versorgungssicherheit nicht aus dem Fokus geraten dürfe. Für die anderen ist es völlig falsch, weil eine Gunstregion auf Erträge verzichte und importieren müsse – selbst wenn die Tierproduktion weiter sinke und mehr Futterflächen direkt zur menschlichen Versorgung genutzt würden.

Die Lösung kann nur eine bessere Kombination von Umwelt- sowie Klimaschutz und Ernährungssouveränität sein. Zuletzt schien es hier ein Ungleichgewicht zu geben. Dem zweifelsohne wichtigen Green Deal war gefühlt alles untergeordnet – ohne ehrlichen Blick darauf, was das für die Versorgungssicherheit bedeutet. Bei Corona kam es auf, der Krieg zeigt es in aller Deutlichkeit: Eine starke regionale Landwirtschaft ist unerlässlich, um die Bevölkerung zu ernähren – immer, aber vor allem in Krisen. Und davon gibt’s leider zusehend mehr.

Signale aus Berlin und Brüssel

Erste Signale zum Nachjustieren kommen aus Berlin und Brüssel: Für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist die Versorgungssicherheit nun „im Zweifel“ wichtiger als der Klimaschutz. Und EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski will die Ziele des Green Deal noch mal mit Blick auf die Versorgungssicherheit prüfen. Das ist gut. Denn es braucht beim agrarpolitischen Rahmen keine Extreme oder Aktionismus, sondern Pragmatismus und Krisenfestigkeit.

Bei allen wichtigen agrarpolitischen Diskussionen ist aber vor allem eines unerlässlich: ein Ende des Krieges in Europa. Das ist zuallererst den Menschen in der Ukraine zu wünschen!

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