Mit kräftigen Kurssteigerungen bewegen sich die Weizenpreise in Chicago und Paris nach oben. Allein in den ersten Tagen seit dem Kriegsausbruch Ende Februar in der Ukraine stiegen die Weizenpreise in den Seehäfen Hamburg und Rostock über 60€/t auf 360€/t angeliefert an.
Anfang März 2022 erreichten die Weizenkurse in Chicago die höchsten Werte seit mehr als 14 Jahren. Die Sorge über eine gefährdete Versorgung der Märkte bestimmt derzeit das Geschehen.
Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine könnte schwerwiegende Auswirkungen auf die weltweite Getreideversorgung und die internationalen Preise haben. Die russische Weizenernte erreichte zur Ernte im vergangenen Jahr 75,5 Mio. t. Damit liegt der Anteil Russlands an der weltweiten Getreideerzeugung von 776,4 Mio. t bei knapp 9,7%.
Die Ukraine hat zur Ernte 2021 gut 33 Mio. t Weizen geerntet, das sind 4,3% der Welterzeugung. Der Anteil am Weltexportmarkt fällt dagegen deutlich höher aus: Russland hat einen Anteil von knapp 17%, die Ukraine von knapp 11,5%. Zusammen fast 30% der weltweiten Weizenexporte.
Laufen die Häfen noch?
Die russischen Getreideexporte werden meist über die vielfach neuen oder modernisierten Getreideterminals am Asowsche Meer abgewickelt. Auch die Ukraine hat dort einige Verladeanlagen. Aber der Großteil der ukrainischen Exporte wird über die Häfen in Odessa und Mykolaiv umgeschlagen.
In einem Katastrophenszenario hängt nach Angaben von Händlern zudem viel von der Türkei ab, denn das verladene Getreide aus dem Schwarzen Meer muss durch die Meerenge des Bosporus und diese wird von der Türkei kontrolliert, die Mitglied der NATO ist. Die Durchquerung von Kriegsschiffen wurde bereits gestoppt.
So hat Ägypten – weltweit größter Weizenimporteur – seine Ausschreibungen zurückgezogen. Ägypten bezog im vergangenen Jahr 50% der Weizenimporte aus Russland und 30% aus der Ukraine. Russland und die Ukraine sind weltweit wichtige Lieferanten für Getreide und Ölsaaten und könnten jetzt für Wochen oder gar Monate ausfallen.
Lieferungen aus Russland und der Ukraine von Ölsaaten und pflanzlichen Ölen hingegen sind so gut wie eingestellt. Große Mengen Sonnenblumensaat warten noch auf die Verschiffung. In fast allen Häfen wurden die Aktivitäten beendet.
Die Agrarkonzerne ADM und Bunge haben ihre Tätigkeiten in der Ukraine vorläufig eingestellt und ihre europäischen Mitarbeiter größtenteils abgezogen. Europäische Händler berichten von einem Run auf EU-Weizen seitens der Importeure, die mögliche Ausfälle in der Schwarzmeer-Region befürchten.
Trübe Ernteaussichten
Die Aussichten auf die neuen Ernten 2022 trüben sich ertragsmäßig durch unzureichende Pflanzenbehandlungen im Frühjahr 2022 ein. Russland wird durch die Sanktionen keine Pflanzenschutzmittel importieren können. Diese stammten in den vergangenen Jahren immer zum Großteil aus der Europäischen Union. Die weitere Marktentwicklung sowie die Warenströme an den internationalen Getreidemärkten sind fast unmöglich einzuschätzen.
Die Importeure weltweit suchen jetzt nach Alternativen für Getreide vom Schwarzen Meer. Der maßgebliche Faktor an den Börsen dürfte auch für die kommenden Wochen die Kriegshandlungen in der Ukraine sein.
Jegliche zusätzlichen Sanktionen, die von der westlichen Gemeinschaft gegen Russland verhängt würden, könnten die Verwerfungen am Weltmarkt erhöhen und das Angebot vermutlich weiter einschränken.
Nach Ansicht von Analysten könnte die Ukraine auf Exportverpflichtungen in Höhe von 14 Mio. t sitzen bleiben angesichts der Exportverwerfungen im Schwarzen Meer. Etwa die Hälfte dieser Menge entfällt auf Käufer aus China. Auch wachsen die Sorgen um die Aussaat für die Maisernte der kommenden Saison 2022/23.
Die Weizenpreise hierzulande könnten sowohl für die alte als auch für die neue Ernte 2022 im Falle eines fortgesetzt längerfristigen militärischen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine schnell um 20 bis 25% steigen. Bei der Annexion der Krim durch Russland 2014 stiegen die Kurse auf dieses Niveau an.
Viel wird davon abhängen, ob und wie lange es zu einer Unterbrechung des Getreidestroms aus der Schwarzmeer-Region kommen wird. Eine tatsächliche Unterbrechung über einige Monate hinaus dürfte durch die Zerstörung einiger Hafenanlagen in Mariupol bereits heute schon ziemlich sicher sein.
Zwei dramatische Folgen
Bestärkt hat diese Prognose eine Zoom-Konferenz in der vergangenen Woche, zu der Prof. Dr. Sebastian Lakner, Agrarökonom von der Universität Rostock, eingeladen hatte und an der internationale Experten auch aus der Ukraine teilnehmen. Als Fazit blieb:
Wenn die Annahmen der Agrarökonomen nur annähernd zutreffen, werden im kommenden Wirtschaftsjahr knapp 60Mio. t Weizen, 10,5Mio. t Gerste und 38Mio. t Mais zum Teil oder gänzlich fehlen.
Das hat zwei Folgen: Die Welt steht vor einer humanitären Katastrophe. Viele Schwellen- und Entwicklungsländer werden diese Preise nicht bezahlen können, sodass die Anzahl der Hungernden weltweit von derzeit 800 Mio. Menschen deutlich ansteigen dürfte.
Die Veredelungswirtschaft in Europa und darüber hinaus könnte in großer Gefahr sein, da sich die Kurse für Getreide, Ölsaaten und Proteinfuttermittel für die kommenden Monate auf hohem Niveau weiter befestigen.
Die aktuellen Preise der neuen Ernte 2022 von 660€/t für die Rapssaat, 275€/t für den Brotweizen und knapp 250€/t für die Gerste ab Hof ex Ernte könnten die niedrigsten Preise in der neuen Saison 2022/23 sein, wenn die prophezeiten Thesen stimmen.
Zu diesen Kursen wird man keine Tiere in Europa mehr mästen können. Oder die Verbraucher können die Preise für Lebensmittel nicht mehr bezahlen. Dies kann einen rapiden Umbau der europäischen Veredlungswirtschaft mit der Aufgabe vieler Betriebe zur Folge haben. Die Lebensmittel werden in Europa deutlich teurer. Sie dürften dann neben den weiter gestiegenen Öl- und Gaspreisen spürbare Inflationstreiber sein.
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