Kontrovers: Pressestimmen

Glyphosat-Einsatz in der EU: Vertagt, aber nicht entschieden

Zukunft des Pflanzenschutzmittels Glyphosat: Die „Nicht-Einigung“ der EU-Mitgliedstaaten sorgt für reichlich Kommentarstoff in den Medien.

Frankfurter Rundschau
Dürfen die Bauern in der EU ihre Äcker weiter mit „Roundup“ und Co. einnebeln oder nicht? Die Entscheidung darüber ist vertagt, nachdem die nötige Mehrheit der EU-Staaten nicht zustande kam, um den Vorschlag der Kommission abzunicken. Die hatte dem Druck der Agrarlobby nachgegeben und eine Verlängerung der Zulassung um zehn Jahre vorgeschlagen. Dabei trägt das Totalherbizid Glyphosat als Wirkstoff in diesen Spritzmitteln zum grassierenden Schwund der Artenvielfalt bei. ­Eine Entwicklung, die umgekehrt werden muss. Die Vertagung gibt den Gegnerinnen und Gegnern des Glyphosats die Chance, eine durchdachte Alternative doch noch durchzubringen: einen Ausstiegsplan kom­biniert mit Hilfen für die Bauern zum Umstieg auf weniger kritische Alternativen. Dazu müsste aber die Bundesregierung zu einer klaren Haltung finden und sich nicht wie am Freitag erneut enthalten.

Kieler Nachrichten
Für die einen ist das Unkrautvernichtungsmittel Symbol für eine Agrarindustrie, die aus Profitgier Umwelt- und Gesundheitsschutz ignoriert. Für die anderen steht es für Arbeitserleichterung in der Landwirtschaft, weil es Zeit und Maschineneinsatz spart.
Die Fronten sind verhärtet, das ist bedauerlich, weil es einer Lösung im Weg steht. Und die braucht es im Umgang mit Pestiziden dringend. Die Unbedenklichkeitsbescheinigungen etwa der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit sind nicht überzeugend: Die Behörde selbst verweist auf die mangelhafte Datenlage. Dass die EU-Kommission eine weitere, schon die dritte, Verlängerung der Glyphosatzulassung empfohlen hat, ist daher umso erstaunlicher.
Natürlich wäre ein Glyphosatverbot mühsam: Viele Landwirte müssten sich umstellen, schließlich ist Glyphosat eines der am meisten verwendeten Herbizide. Sie bräuchten Unterstützung. Und weil nicht einfach das nächste Pestizid kommen sollte, bedeutet das unter anderem, die Förderpolitik weiter umzustellen, noch konsequenter weg vom schieren Ertrag.

Die Tageszeitung
Die Grünen – hier in Person von Bundes­agrarminister Cem Özdemir – haben sich wieder einmal von der FDP unterbuttern lassen. Özdemir hatte sich gegen eine neue Zulassung ausgesprochen. Aber wenn sich die Regierung nicht einigen kann, muss sie sich ihrer Geschäftsordnung zufolge enthalten. Das hat Özdemir veranlasst – anders als 2017 CSU-Agrarminister Christian Schmidt, der damals gegen den Willen des Koalitionspartners SPD für Glyphosat stimmte.
Özdemir versucht jetzt sein Gesicht zu wahren. Er erklärt, dass die Enthaltung wie ein Nein gewertet werde, weil es ja keine „qualifizierte Mehrheit“ – 55 % der EU-Mitgliedstaaten, auf die mindestens 65 % der Bevölkerung entfallen – für die Zulassung gegeben habe. Doch: Solange auch keine qualifizierte Mehrheit dagegenstimmt, kann die EU-Kommission ihren Vorschlag im Alleingang in Kraft setzen. Das wird sie sicherlich tun, denn sonst hätte sie ihn ja nicht präsentiert.

Straubinger Tageblatt
Wie zuvor schon bei Chlorhühnchen wird die Debatte wie ein Glaubenskrieg geführt. Nur die Internationale Organisation für Krebsforschung (IARC) meint, Glyphosat sei „wahrscheinlich krebserregend“. Sollte man dann nicht auf Nummer sicher gehen? Würde man stets die IARC als Maßstab für politisches Handeln machen, müssten ­rotes Fleisch, Kaminfeuer oder sehr heiße Getränke verboten werden. All das hält die UN-Behörde ebenfalls für „wahrscheinlich krebserregend“.
Anders verhält es sich beim Artenschutz. Dass Glyphosat für ihn eine verheerende Wirkung hat, steht außer Frage. Wo das Breitband-Herbizid ausgebracht wird, geht alles Grün ein. Doch was sind die Alternativen? Andere Herbizide, häufige Wechsel in der Fruchtfolge, intensivere Bodenbearbeitung, geringere Erträge und höherer Bodenbedarf. Man kann dafür sein. Die ­Debatte darüber muss aber auf der Basis von Fakten und nicht von diffusen Ängsten geführt werden.

Kölner Stadt-Anzeiger
Statt die Sache abzuhaken, wird Bayer weiter die Werbetrommel für den umstrittenen Breitband-Unkrautvernichter rühren müssen. Damit begannen die Leverkusener unmittelbar nach der Nicht-Entscheidung am Freitag. Die wurde flugs zu einem Erfolg umgedeutet: Die Mehrheit der Ländervertreter habe schließlich für die Zulassungsverlängerung gestimmt. Naturschutzverbände bewerten das Zwischenergebnis ganz anders. Sie schöpfen neue Hoffnung, dass das Pflanzengift nach rund 50 Jahren wenigstens in Europa von den Äckern und aus der Nahrungskette verschwindet.
Der Bayer-Konzern macht mit Glyphosat Milliarden. Über die könnte man sich in Leverkusen noch mehr freuen, wenn nicht ein großer Teil dieses Geldes in den USA gleich wieder ausgegeben werden müsste. Dort muss sich Bayer teuer mit Anwendern vergleichen, die sicher sind, von der Monsanto-Erfindung vergiftet worden zu sein. Würde die EU Glyphosat-frei, wäre das ein weiterer Schlag ins Kontor – und die Debatte um die teure Monsanto-Übernahme neu entfachen.

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