Nachhaltige Kälbererzeugung

Blick auf das Kalb

Die Aufzucht entscheidet über die spätere Leistung und den Marktwert eines Tieres – unabhängig davon, ob es als Milchkuh oder Mastbulle gehalten wird.

Der Bund fordert ein deutliches Abstocken der Tierbestände. Allerdings ohne genaue Zielvorgaben. „In der Politik fehlt es an einer Strategie“, ärgerte sich Prof. Dr. Friedhelm Jaeger von der Projektgruppe Nutztierstrategie des Landwirtschaftsministeriums NRW. Ein geringerer Tierbestand habe Auswirkungen auf die Nährstoffbilanzen und könne eine kritische Untergrenze darstellen.

Nun sollen Landwirte zwar mehr Weizen anbauen, fraglich sei aber dann, womit sie diesen düngen sollen. Aus Umweltaspekten würde es keinen Nutzen haben, Mineraldünger statt Wirtschaftsdünger auf landwirtschaftliche Flächen auszubringen. Denn die Erzeugung von Mineraldünger ist extrem energieaufwendig. Zudem ist dieser zurzeit kaum zu bekommen. Auch eine befristete Abstockung der Tierbestände sei Unsinn. „Wenn Bauern die Tierhaltung einstellen, sind die Türen zu. Landwirte brauchen dringend klare Antworten“, forderte Jaeger.

Kälbergesundheit stärken

Im vergangenen Jahr ist ein „Rinderstrategiepapier“ um die Themenfelder Milchvieh, Kälber, Markt und Klima entstanden. Beteiligt waren neben dem NRW-Landwirtschaftsministerium etliche Akteure aus der Branche, von Verbänden über Zucht- und Fleischunternehmen. Um die Umsetzung des Papiers ging es auch vergangene Woche beim Workshop im Ministerium in Düsseldorf. In diesem Rahmen stellte Prof. Dr. Marc Boelhauve von der Fachhochschule Südwestfalen wissenschaftliche Zahlen zur Kälbergesundheit vor.

Die Kälbersterblichkeit liege auf deutschen Milchviehbetrieben immer noch zwischen 8 und 15 %. Die Ursachen seien vielfältig. Hinzu komme, dass die Marktsituation nicht unbedingt kostendeckend und stark schwankend sei.

Besonders wichtig für eine gute Aufzucht und folglich einer guten Vermarktung der Kälber sind laut Boelhauve die Bildung der

  • passiven Immunität: „Je schneller und mehr Kolostrum Kälber von bester Qualität erhalten, desto besser ist die passive Immunität“, erklärte der Professor. Die Brix-Grenze des Kolostrums sollte bei 22 % liegen. „Das Kalb hat keine Antikörper, bevor es die erste Biestmilch bekommen hat“, führte er weiter aus.
  • aktiven Immunität: Diese ist ­abhängig von der Versorgung des Kalbes und den Haltungsbedingungen.

Insgesamt sollte Ziel sein, eine immunologische Lücke möglichst zu verhindern. Gerade im Hinblick auf das Transportverbot von Kälbern unter 28 Tagen ab 2023. Dafür muss das Kalb viel passive sowie eine gute aktive Immunität haben und der Erregerdruck muss gering sein, sagte Boelhauve.

Die Kälberaufzucht ist entscheidend für die spätere Leistung der Tiere. (Bildquelle: Lütke Hockenbeck)

„Wenn die Umgebung stimmt, können Holstein-Friesian (HF)- Bullenkälber in den ersten Lebenswochen in der Spitze bis zu 2 kg pro Tag zunehmen.“ Zu Beginn sei das Gewicht kaum abhängig vom Geschlecht, sondern von der Fütterung.

„Das Problem ist, dass wir uns alle um die ,Cash-Cow‘ kümmern“, betonte der Wissenschaftler. Meistens stehe die laktierende Kuh im Vordergrund statt das gesamte Tier. Denn es sei zu belegen, dass gut aufgezogene Kälber später auch nachweislich mehr Milch geben. Außerdem gebe es eine Korrelation zwischen Kälberkrankheiten und Kuhabgängen. „Besser versorgte Kälber bleiben länger im Bestand“, brachte es Boelhauve auf den Punkt.

Nachhaltig Kälber erzeugen

Bisher kommen Fleckviehkälber für die Bullenmast häufig aus Bayern. Dort gebe es zwar kleine Strukturen, jedoch große Auktionen mit einem standardisierten Kalb, erklärte Heribert Qualbrink, Einkaufsleiter bei der Westfleisch. Das sei ein systemischer Vorteil des Südens. In NRW und Niedersachsen gebe es aber die Profi-Milchviehbetriebe. „Die Langstreckentransporte mit Kälbern sind auf Dauer problematisch. Wir können die Wertschöpfung besser in NRW bringen.“ Denn von hier aus werden die HF-Bullenkälber häufig in die Niederlande in die Kälbermast gefahren, anstelle vor Ort gemästet zu werden.

Für die Kälbermast funktionieren HF-Bullenkälber definitiv gut. Für die Bullenmast seien allerdings Kreuzungskälber gefragt. Ziel müsse sein, dass das Kreuzungskalb aus dem regionalen Milchviehbetrieb in die regionale Mast geht. Auch für weibliche Kreuzungstieren gebe es einen Markt. „Die Färse hat eine gute Perspektive in der Gastronomie“, so Qualbrink. Insgesamt seien Schlachtgewichte sowie Nettozuwächse von Kreuzungen, wie mit der synthetischen Rasse INRA oder Weiß-Blauen Belgiern, mit denen von Fleckvieh vergleichbar.

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