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Zukunfts-Bauer: Wieso, weshalb, warum?

Mit dem „Zukunfts-Bauer“ will der Bauernverband mehr Wertschätzung und Wertschöpfung auf die Höfe bringen. Doch viele Landwirte fragen sich: Was und wer ist damit konkret gemeint?

Kurz gefasst

  • Mit dem Projekt „Zukunfts-Bauer“ sollen neue Bilder und Geschichten für die Landwirtschaft entstehen.
  • Verbraucher sollen Land­wirte als Teil Lösung wahrnehmen – bei Nahrungsmittel- sowie Energieproduktion und Klima- sowie Artenschutz.
  • Dazu muss jeder einzelne sein Denken und Handeln ­ändern, aber auch der Bauernverband. Offen ist noch, ob es diesen Willen wirklich gibt.
  • Nötig ist auch eine professionelle Kommunikation – und das nötige Geld dafür. Auch diese Frage ist noch ungeklärt.

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Aktueller Stand und Ausblick: Erstes Zwischenfazit auf Bauerntag Ende Juni

Im Juni 2022 beschlossen die Delegierten des Bauerntags einstimmig, das „Zukunfts-Bauer-Projekt“ bundesweit voranzutreiben. Danach war es still. Seit Ende ver­gangenen Jahres steht fest, dass sich Hans-Heinrich Berghorn beim DBV hauptamtlich um das Thema kümmert. Er war vorher Pressesprecher beim WLV und hat die Rheingold-Studie mit angestoßen. Ebenfalls von der ersten Stunde an mit dabei ist Susanne Schulze Bocke­loh. Die WLV-Kreisverbandsvorsitzende aus Münster ist nun auch DBV-Vizepräsidentin und die verantwortliche Ehrenamtliche für den „Zukunfts-Bauer“. Beide reisen quer durch Deutschland, um in den Landesbauernverbänden das Projekt vorzustellen. Wie das läuft, entscheiden die Landesbauernverbände selbst: Einige organisieren große Versammlungen, andere laden ausgewählte Mitglieder zu Intensiv-Workshops ein.

Für den WLV ist Dr. Christina Große-Frericks, stellvertretende Kreisverbandsvorsitzende des Märkischen Kreises, Mitglied der bundesweiten Arbeitsgruppe. Zudem koordiniert sie das Projekt im WLV-Gebiet. Ende Februar fand ­eine Auftaktveranstaltung statt, zu der die Ortsverbandsvorsitzenden sowie Landjugendliche geladen waren. Vermutlich gab die dortige Diskussion das allgemeine Stimmungsbild an der Basis wieder:

Mit rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war die Resonanz und somit das Interesse groß. Ein Beleg dafür, dass Landwirte dringend eine tragfähige Perspektive suchen. Der Wissensstand war ganz unterschiedlich: Einige hatten noch nichts vom „Zukunfts-Bauer“ gehört, andere schon Projekte für die Umsetzung im Kopf.

"Zukunfts-Bauer" greifbar machen

Für viele ist noch unkonkret und nicht greifbar, was mit „Zukunfts-Bauer“ genau gemeint ist. Slogans wie „mehr Wertschätzung und Wertschöpfung auf die Höfe“ und „zurück in die Mitte der Gesellschaft“ finden allgemeine Zustimmung – aber wie soll der einzelne das umsetzen? Fragen wie „Wer ist Zukunfts-Bauer?“ und „Was sind Zukunfts-Bauer-Projekte?“ blieben auf der Auftaktveranstaltung vielfach unbeantwortet.

Es zeigte sich aber auch, dass ­einige Landwirte oder Projekte bereits Ideen des „Zukunfts-Bauer“ umsetzen – also lange bevor es den offiziellen Startschuss zum „Zukunfts-Bauer“ gab. Schon heute produzieren Landwirte erneuerbare Energie, schwächen auf Acker und Grünland die Folgen des Klima­wandels ab, fördern die Biodiversität und stärken regionale Kreisläufe. Und bereits jetzt engagieren sich viele Bäuerinnen und Bauern, Nicht-Landwirten die natürlichen Abläufe auf einem landwirtschaftlichen Betrieb zu erläutern. Knackpunkt: Die Aktionen sind meist nicht sichtbar genug, die Kommunikation zur Gesellschaft funktioniert noch nicht.

Allerdings klang auch durch, dass nicht jeder Betrieb künftig sein Betriebskonzept umkrempeln kann und Biopilze züchten oder ein Start-up-Unternehmen gründen kann. Gerade Landwirte ohne eine „Besonderheit“ haben Sorge, beim Prozess hintenüber zu fallen.

Mit Inhalten füllen

Und die Diskussion drehte sich schnell um eine professionelle Kommunikationskampagne. Erst seitdem es die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) nicht mehr gibt, zeigt sich, was fehlt. Viele Landwirte wünschen sich ein Nachfolgemodell. Und das wirft wiederum die Frage der Finanzierung auf.

Auf dem Bauerntag am 28./29. Juni in Münster will der Bauernverband einen Zwischenstand zur Umsetzung des Projektes in den Landesbauernverbänden präsentieren. Spannend dürfte werden, ob die Delegierten weiter geschlossen auf „Zukunfts-Bauer“-Kurs sind. Denn damit das Projekt eine Chance hat, muss nun jeder einzelne bereit sein, sich einzubringen und die Überschriften mit konkreten Inhalten zu füllen.

Viermal „Nein“
Was sagen Verbraucher zum „Zukunfts-Bauer“? Das haben wir drei Verbraucherzentralen (NRW, Berlin, Bund) gefragt – und drei Absagen auf unsere ­Anfrage erhalten. Auch eine Anfrage an den WDR blieb unbeantwortet.

Bundesweite Arbeitsgruppe „Zukunfts-Bauer“

Die Rheingold-Studie und der ­Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft zeigen auch Chancen, wie sich die Wahrnehmung der Landwirtschaft in Gesellschaft und Politik verbessern kann. Daher hat der Deutsche Bauernverband eine bundesweite Arbeitsgruppe eingesetzt. Sie sollte Empfehlungen entwickeln, wie Landwirtschaft wieder in die Mitte der Gesellschaft rückt.

Damit war der „Zukunfts-Bauer“ offiziell geboren. Das Wortspiel steht für „Wir bauen die Zukunft“ – und zwar nicht alleine, sondern gemeinsam mit der Gesellschaft. Und es steht für „Wir sind die Bauern der Zukunft“. Selbsterklärend ist das aber nicht.

Die Gruppe ist überzeugt, dass Landwirte es selbst in der Hand haben, die Dinge für die Landwirtschaft zum Besseren zu wenden. Dazu brauche es Ehrlichkeit, Veränderungsbereitschaft und Mut. Die Arbeitsgruppe schlägt vor

  • ein neues Selbstverständnis, heißt Veränderung in den Köpfen,
  • ein neues Rollenverständnis, heißt Veränderung im Handeln,
  • neue Bilder und Erzählungen (Narrative), heißt veränderte interne und externe Kommunikation.

Neues Selbstverständnis nötig

Dieser „erfolgreiche Paradigmenwechsel“ könne nur gelingen, wenn Bauernfamilien ein neues Rollen- und Selbstverständnis entwickeln. Das wiederum erfordere die Bereitschaft, die landwirtschaftliche Blase zu verlassen und sich auf die Gesellschaft zuzubewegen, um das „Schwarzer-Peter-Spiel“ zu beenden.

Für ein neues Selbstverständnis müsse die Branche offen sein für kritisch-konstruktive Stimmen, für Kooperationen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und für einen ehrlicheren Umgang mit Zielkonflikten. Zudem sollten sich Landwirte von der Opferrolle verabschieden. Das sei eine Mentalitätsfrage, sagt die Arbeitsgruppe.

Sie schlägt dazu ein neues Selbstverständnis vor. Dazu zählen: Klarer an den Wünschen des Kunden orientieren, den Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe konzentrieren, eigene Marken aufbauen und bereit sein, künftig als Dienstleister für den Natur- und Klimaschutz aufzutreten – natürlich bezahlt.

Einen fundamentalen Wandel empfiehlt die Arbeitsgruppe auch für die Bauernverbände auf Kreis-, Landes- und Bundesebene. Der Verband solle nicht länger Blockierer von Veränderungen sein, sondern Vordenker gesellschaftlicher Entwicklungen und Problemlöser für gesamtgesellschaftliche Anliegen. Landwirtschaft soll nicht länger Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein.

Denn die Branche sollte gesellschaftlichen Wandel nicht wie jetzt als Bedrohung sehen, sondern als Chance für neue Geschäftsmodelle. Die Rolle des Landwirts sei nicht mehr „Ablieferer“ von Produkten, sondern aktiver Unternehmer und Dienstleister für die Gesellschaft. Dabei gehe es nicht nur um die Versorgungssicherheit bei Nahrungsmitteln. Sondern auch bei Energie, was die aktuelle Energiekrise noch einmal verdeutlicht hat. Es gehe aber auch um regionale Wirtschaftskreisläufe und den Schutz von ­Klima und Ökosystemen. pl

Rheingold-Studie und Zukunftskommission Landwirtschaft sind Auslöser

Landwirte stehen gleich dreifach unter Druck: Wirtschaftlich ist es oft eng, weil immer höhere Auf­lagen die Kosten treiben. In der Gesell­schaft bestimmen kritische Nichtregierungsorganisationen die Debatten, Verbraucher legen zumindest in Umfragen mehr Wert auf Nachhaltigkeit. Und die Politik folgt den gesellschaftlichen Wünschen, mit zum Teil ganz neuen Regierungs­konstellationen.

In dieser Gemengelage gossen ­eine Studie des Marktforschungsunternehmens Rheingold Salon sowie die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) das Fundament für das Projekt „Zukunfts-Bauer“. Beides lief zeitlich nahezu parallel – und brachte ähnliche Ergebnisse.

Bestandsaufnahme ernüchternd

Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) und der Deutsche Bauernverband (DBV) gaben im Jahr 2020 eine Untersuchung bei Rheingold ­Salon in Auftrag. Fragestellung: Wie kann Landwirtschaft neue Wertschätzung bekommen? Die Bestandsaufnahme war ernüchternd:

  • Landwirte und Verbraucher leben in Parallelwelten. Sie haben gegenseitig Vorurteile, die selten der Realität entsprechen. Eine wirkliche Kommunikation findet nicht statt.
  • Beide Seiten beschuldigen sich, überholte Bilder vonei­nander zu haben. Selbst etwas ändern möchte aber keine Seite. Es läuft ein „Schwarzer-Peter-Spiel“, Selbstkritik gibt es kaum.
  • Die deutsche Bevölkerung nimmt zwar wahr, dass die heimischen Bauern die Ernährung sichern, honoriert das aber kaum.

Imagewechsel möglich

  • Die Studie weckte aber auch Hoffnung:
  • Ein Imagewechsel zu einem positiven Bild der Landwirtschaft ist möglich. Landwirte sollten dafür das Bild des „Zukunfts-Bauer“ ­leben und kommunizieren.
  • Für Verbraucher rücken Themen wie Tierwohl, Biodiversität, Klimaschutz oder regionale Lebensmittelerzeugung stärker in den Fokus.
  • Teile der deutschen Bevölkerung möchten wieder mehr Kontakt mit der Natur haben.
  • Und: Viele haben Verständnis für die schwierige Situation der Bauernfamilien und sind offen, wenn Landwirtschaft neue Weg in Produktion und Vertrieb geht.

Gemeinsame Empfehlung

Der Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) geht in eine ähnliche Richtung. Nach den Trecker-Demos im Jahr 2019 rief die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die ZKL ein. Am Tisch saßen rund 30 Vertreter aus Landwirtschaft, Umwelt- sowie Tierschutz, Wirtschaft, Verbraucher und Wissenschaft. Ziel: Den Streit über Landwirtschaft auflösen und einen Weg für eine zukunftsfähige Landwirtschaft in Deutschland aufzeigen.

Am Ende gab es tatsächlich einen Abschlussbericht und gemein­same Empfehlungen. Interessant war die Feststellung, dass Bauernfamilien den angestrebten Umbau der Landwirtschaft nicht alleine stemmen können, sondern dass das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Damit war eine erste Brücke geschlagen, wie Landwirtschaft und Nichtregierungsorganisationen Zukunft gestalten können.

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