Verträge zur betrieblichen Altersvorsorge (bAV)

Betrübliche Altersvorsorge​

Derzeit werden mit Hochdruck Verträge zur betrieblichen Altersvorsorge (bAV) aus Entgeltumwandlung verkauft. Experten und Verbraucherschützer warnen vor Haken und Tücken bei den Verträgen.

Klingt gut: 200 € vom Brutto für die Rente sparen und ­netto nur eine Belastung von 100 € haben.“ Dieses „Zwei-zu eins-Versprechen“ wird gern benutzt, wenn es um die betriebliche Altersvorsorge (bAV) mit Entgeltumwandlung geht. Aber es ist falsch. Von „Bauernfängerei“ sprechen viele Verbraucherschützer.

Argument ist falsch

Aber was genau ist daran falsch, wenn ein Arbeitnehmer 100 € ­netto aufwendet und mithilfe des Arbeitgebers ein doppelt so hoher Betrag für eine versicherungsgebundene Betriebsrente zur Verfügung steht? „Diese Sichtweise ist in mehrfacher Hinsicht verkürzt und irreführend“, sagt Detlef Lülsdorf, unabhängiger Renten- und Versicherungsberater sowie Sachverständiger für die Altersversorgung, Köln.

Sein Urteil stimmt mit der Einschätzung von Verbraucherzentralen und weiteren unabhängigen Finanzexperten überein. Sie sind sich längst einig, dass eine versicherungsgebundene bAV mit Entgeltumwandlung nicht vorteilhaft ist und warnen Arbeitnehmer und -geber vor dem immer wieder genannten „Zwei-zu-eins-Argument“. Hier sind die Gründe, ­warum dieses falsch ist:

  • Erstens fließen aus 100 € Nettolohnverzicht keineswegs 200 € in einen Sparprozess für die Betriebsrente. Vielmehr zweigen sich sowohl die Versicherungsvertriebe als auch die Versicherer selbst einen erheblichen Teil der 200 € als Kosten ab. Wie viel das insgesamt ist, lässt sich nicht so einfach nachvollziehen. Es kann jedoch gut sein, dass letztlich nur zum Beispiel 170 € wirklich für den Sparanteil zur Verfügung stehen. Mit der Folge, dass die Betriebsrente schon aus diesem Grund kleiner wird. Zu dem Urteil kommt Prof. Dr. Hartmut Walz, Hochschule Ludwigshafen am Rhein, der hierzu forscht.

  • Zweitens fallen auf bAV-Renten Steuern und Sozialabgaben an. „Beim Vertrieb von bAV-Verträgen wird häufig der Eindruck vermittelt, dass Arbeitnehmer durch die Entgeltumwandlung die hierauf anfallende Steuer tatsächlich einsparen. Das ist definitiv falsch“, betont Betriebswissenschaftler Walz, „wer heute Steuern und Sozial­abgaben durch Entgeltumwandlung in eine bAV spart, muss auf die spätere Betriebsrente dafür Steuern und Beiträge zur Krankenkasse und Pflegeversicherung zahlen.“ Und zwar sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberanteile. Dadurch bleibt von der Betriebsrente weniger übrig.

  • Das führt zum dritten Nachteil. So ergeben sich laut Verbraucherschützer Walz geringere Ansprüche auf Sozialleistungen und aus der gesetzlichen Rente: „Durch die Entgeltumwandlung zur Finan­zierung der bAV sinken nämlich sowohl die Sozialversicherungszahlungen des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers. Dies wird zwar verkaufswirksam als ,Netto­lohn­optimie­rung‘ bezeichnet, reduziert aber zwangsläufig die späteren Ansprüche des Arbeitnehmers an die gesetzliche Rente.“ Ein erheblicher Teil der Betriebsrente wird also schon allein dafür gebraucht, den Verlust bei der gesetzlichen Rente zu kompensieren. Für Walz ist das eine „betrübliche Altersvorsorge“.

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Steuerargument der Versicherungsvertriebe:
In diesem Zusammenhang spricht Professor Dr. Walz vom "Zynischen Steuerargument der Versicherungsvertriebe": "Der Argumentation der Verbraucherschützer, dass die bAV keine Steuerersparnis, sondern überwiegend eine Steuerverlagerung von der aktiven Arbeitsphase in die Rentenphase darstellt, wird von den Versicherungsvertrieben widersprochen:
"Ihre Argumentation besagt, dass bei ArbeitnehmerInnen, die langjährige bAV Entgeltumwandlungen leisten, jedoch wegen frühen Versterbens nur wenige Jahre die bAV-Rente erhalten, doch ein Steuervorteil eingetreten sei.
Dieses zynische Argument kann man auf die Spitze treiben. Wer am Tag des Renteneintritts verstirbt, hat sich steuerlich optimiert. Aber ist das wünschenswert und ist das der Sinn einer zusätzlichen Alterssicherung?"

Pflicht wird Haftungsfalle

Noch betrüblicher ist nach Einschätzung des Renten- und Versicherungsberaters Lülsdorf, dass für viele Arbeitgeber gerade von Kleinunternehmen Probleme und Haftungsfallen drohen. Der Gesetzgeber hat nämlich den Arbeitgeber verpflichtet, seine Arbeitnehmer zur bAV zu beraten. „Das Problem ist, wenn der Arbeitgeber hierzu nicht willens oder in der ­Lage ist, kann er einen Versicherungsberater hiermit beauftragen und vergüten“, ergänzt Walz.

In der Praxis ist es dann häufig so: Wo Großunternehmen oft eigene Fachleute haben, die die Mitarbeiter kompetent in bAV-Fragen beraten und bei Bedarf effiziente Rahmenverträge aushandeln können, stoßen kleine Unternehmen schnell an Grenzen und geben ihre gesetzliche Beratungspflicht zum Thema bAV an einen provisionsfinanzierten Versicherungsvermittler ab. Doch wenn der Arbeitgeber einen provisionsfinanzierten Versicherungsvermittler ins Haus lässt, sind nach Ansicht von Lülsdorf und Walz zwei negative Folgen unaus­weichlich:

  • Erstens ist dies keine ergebnisoffene und neutrale Beratung mehr. Denn am Ende steht stets der interessengeleitete Rat zur Entgeltumwandlung mittels Versicherungsvertrag.
  • Zweitens werden die Kosten der Vermittlungsleistung unzulässigerweise auf den Arbeitnehmer überwälzt, da diese in den Versicherungsvertrag einkalkuliert werden.

Folgen provisionsfinanzierter Scheinberatung
Verbraucherschützer Walz warnt Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor Folgen provisionsfinanzierter Scheinberatung bei der bAV:
Arbeitnehmer werden – ganz unabhängig von ihrer konkreten Lebenssituation – nahezu immer Entgeltumwandlungen in eine- regelmäßig unvorteilhafte - Lebensversicherung empfohlen, da nur bei einer Versicherungslösung Provisionen fließen. Die Praxis zeigt, dass bei einer ergebnissoffenen neutralen Beratung viele Arbeitnehmer auf den Abschluss versicherungsgebundener Entgeltumwandlungsverträgen verzichten, da sie deren Unvorteilhaftigkeit erkennen.
Arbeitgeber erzielen durch die Übertragung ihrer Beratungspflicht und Überwälzung der Beratungskosten auf den Arbeitnehmer (wahrscheinlich meist ohne böse Absicht) einen geldwerten Vorteil und werden damit ungewollt selbst zu Versicherungsmittler. Letzteres ist (noch) wenig bekannt, jedoch eine naheliegende Folge, jüngerer Gerichtsurteile.

Altersvermögen ohne bAV

Fazit: Finanzexperte Walz rät Arbeitgebern und -nehmern, sich unabhängig und ergebnisoffen unterstützen zu lassen. Er kennt keinen Fall, in dem sich bei den gesetzlich geforderten 15 % Arbeitgeberzuschuss eine versicherungsbasierte Entgeltumwandlung lohnen würde. In Fällen, in denen Arbeitgeber freiwillig höhere Zuschüsse zahlen, könnten diese alternativ besser eine kleine Gehaltserhöhung gewähren. Aus dem zusätzlichen Nettoeinkommen kann der Arbeitnehmer dann zum Beispiel mit einem ETF-Sparplan kostenarm und hochrentabel zusätzliches Altersvermögen aufbauen.

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