Haltungsform 3

Westfleisch: Die Umstellung auf Haltungsform 3 dauert nicht bis 2030

Haltungsform 3 könnte im Handel noch in diesem Jahr zum Standard werden. Das betrifft nicht nur die Erzeuger ­– auch die Schlachtindustrie muss sich darauf einstellen. So reagiert die Westfleisch.

Das Thema Haltungsform (HF) 3 treibt Landwirte um. Händler fahren Betriebe an und versuchen Mäster von der Umstellung zu überzeugen. Auch die Westfleisch ist auf der Suche. Herr Steinhoff, woher kommt diese Bewegung?

Steinhoff: Diese Bewegung ist getrieben durch den Handel und natürlich auch durch den Zeitgeist. Wir befinden uns in einem echten Transformationsprozess, der Landwirtschaft und Fleischwirtschaft besonders stark trifft. Daher kommt die Nachfrage nach HF 3. Ganz klar verbunden mit der Aussage vom Lebensmitteleinzelhandel (LEH), die Umstellung vorantreiben zu wollen.

Der LEH ist also Auslöser für den Druck?

Steinhoff: Ja. Der deutsche LEH ist unsere Kernkundschaft. Darauf sind wir stolz. Es ist die beste, die man haben kann – auch im Hinblick auf das Wohl der Landwirtschaft. Gehen wir nicht mit den Entwicklungen des LEH mit, schießen wir die deutsche Landwirtschaft aus dem Geschäft und zwingen sie in den Export.

Riekenbrauck: Auf den Absatz Richtung Gastronomie können wir uns dabei nicht verlassen. Diese bezieht viel internationale Ware – leider.

Ist der LEH also verlässlicher als die Gas­tronomie?

Steinhoff: Der deutsche Einzelhandel war in der Vergangenheit meist berechenbar. Natürlich sind für den Handel immer Preise wichtig und die Marktmacht dahinter ist riesig. Aber im Wesentlichen hat er sich an Absprachen gehalten. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass der Handel die Entwicklung zu den höheren HF zurückdreht. Wie will er das gegenüber dem Verbraucher kommunizieren?

Welche Einzelhändler treiben den Haltungswechsel besonders stark?

Steinhoff: Ein Treiber sind sicher die Discounter, aber auch die Supermärkte ziehen mit. Ganz neu kommt die Systemgastronomie dazu. Da setzen wir auf das nächste Jahr.

Bisher hat öffentlich nur Lidl angekündigt, noch 2024 Rindfrischfleisch ausschließlich aus den hohen Haltungsformen zu verkaufen. Aldi ab 2025, Edeka und Rewe ab 2030. Dann müsste doch momentan nur Lidl viel HF-3-Fleisch fordern ...

Steinhoff: Alle nennenswerten Player schließen sich der Entwicklung an. Der größte Druck kommt aber von den Discountern. Der Supermarktbereich zieht mit etwas anderen Konzepten und Qualitäten nach. Aber die Umstellung wird nicht bis 2030 dauern.

Welche andere Konzepte und Qualitäten meinen Sie konkret?

Steinhoff: Die Färse könnte so ein Konzept sein. Sie ist das Beste, was wir in Deutschland zu liefern haben. Damit können wir mit jeder Topqualität aus der ganzen Welt konkurrieren.

Schaut man bei haltungsform.de, kommen fast wöchentlich neue Label dazu. Bei Rind sind es jetzt 30 in HF 3. Wie viele der Label gehören zur Westfleisch?

Riekenbrauck: Wir haben bei den Rindern zwei feste Label: „BauernLiebe“ und unser eigenes Programm „Gute Haltung – direkt von Bauern“; darunter laufen ab Mitte März auch die Färsen.

Wie viele Bullenmastbetriebe liefern Westfleisch aktuell Tiere für HF 3?

Riekenbrauck: Aktuell sind wir bei mehr als 270 Betrieben. Jede Woche kommen neue hinzu. Vor allem sind große Betriebe interessiert.

Wie viele Bullen schlachtet Westfleisch ­wöchentlich für HF 3?

Steinhoff: Die absolute Zahl ist in dem Zusammenhang weniger interessant. Wir befinden uns nicht am Anfang der Umstellung, sondern haben eher das Ende der ganzen Entwicklung in Sicht. Das unterschätzen viele.

Bei den Jungbullen liegt der Zuschlag für HF 3 bei 22,7 Cent/kg Schlachtgewicht. Einigen Landwirten ist das zu wenig, um die Betriebe umzustellen. Gibt es da noch Spielraum?

Riekenbrauck: Wir unterstützen die Landwirte, wo wir können und haben beispielsweise auch eine Baubroschüre für die Beratung vor Ort auf dem Betrieb entwickelt. Am Ende ist es aber eine einzelbetriebliche Bewertung.

Steinhoff: Man darf aber auch nicht nur diese 22,7 Cent/kg sehen. Vor allem große Bullenmäster haben sich für das Programm entschieden. Wir wollen aber alle erreichen. Unsere Erfahrung ist, wenn die Nachfrage nicht gedeckt ist, sind bessere Preise durchzusetzen. In der Vergangenheit war es auch so. Das beste Beispiel dafür ist QS: Wer will noch Nicht-QS-Tiere haben?

HF 3 könnte auch dazu führen, dass Mäster, die nicht umbauen können, ihre Tore dauerhaft schließen.

Steinhoff: Als Vermarkter gefällt es uns natürlich nicht, wenn insgesamt weniger Bullen gehalten und somit geschlachtet werden. Aber vielleicht führt der Strukturwandel auch zu besseren Preisen. Wir haben es als namhafter Rindfleisch-Produzent geschafft, den Bullenpreis um 1 €/kg ganzjährig zu erhöhen. Da sehe ich noch weiter Luft. Aber jetzt müssen wir die HF-3-Hürde nehmen.

Sie ziehen den Vergleich mit QS. Wird HF 3 dann in einigen Jahren auch Standard?

Steinhoff: Im LEH sprechen wir nicht über ein paar Jahre. Das wird noch in diesem Jahr passieren. In den anderen Segmenten, wie Gastronomie, kann es etwas länger dauern.

Fällt der Bonus für HF 3 dann künftig weg?

Steinhoff: Es geht nicht um Zu- oder Abschlag, sondern um das Preisniveau insgesamt. Wenn wir die Bullenmast halten wollen, muss sie attraktiver werden. Das bekommen wir nur über einen höheren Grundpreis hin.

Müssen Mäster befürchten, dass QS-Bullen in Zukunft abgestraft werden?

Steinhoff: Die Sorge um die QS-Bullen kann ich nicht ganz nehmen. Deshalb ist der Grundpreis wichtig. Wir wollen keinen Landwirt ausschließen. Es kann auch sein, dass wir Marktphasen bekommen, in denen wir QS-Tiere nicht sofort abnehmen können. Grundsätzlich stehen wir aber selbstverständlich zu unseren vertraglichen Abnahmezusagen – auch, was QS-Tiere betrifft.

Können Mäster ihren Betrieb selbst auditieren lassen und die Bullen frei, ohne Vertrag, an Westfleisch verkaufen?

Riekenbrauck: Wir nehmen die Bullen aktuell alle nur mit Vertrag ab – die Kühe ohne.

Was passiert, wenn deutsche Landwirte es nicht schaffen, ihre Betriebe schnell genug umzustellen? Liefert dann das Ausland?

Steinhoff: Das Risiko ist da. Wenn wir nicht liefern können, besorgt der Handel seine Ware aus dem Ausland. Deshalb dürfen wir es nicht so weit kommen lassen.

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