Haltungswechsel

Bullenmast: Wird Haltungsform 3 bald Standard?

Die Marktführer geben den Takt an. Eher als angekündigt wollen „die Großen“ ihr Rindfrischfleischsortiment nun ausschließlich aus Haltungsform 3 anbieten. Leidtragende sind die Erzeuger.

Bullenmäster berichten, dass sie aktuell vermehrt von Händlern angefahren werden. Der Grund: Jungbullen aus Haltungsform (HF) 3 sind extrem gefragt. Landwirte werden dazu aufgefordert, ihre Betriebe umzustellen – und das möglichst schnell. Zu den wichtigsten Kriterien der HF 3 gehören in den letzten sechs Monaten vor der Schlachtung:

  • Endmast: 4 m2 Platz je Tier,
  • Offenfrontlaufstall,
  • gentechnikfreie Fütterung.

Die meisten Mäster produzieren derzeit den Standard-QS-Bullen (HF 1). Einige Bauern könnten mit relativ wenig Aufwand auf HF 3 umstellen, beispielsweise die Strohbetriebe in NRW. Für andere ist es eine Mammutaufgabe oder schier unmöglich. Zum einen, weil die Ställe keine Außenklimareize zulassen oder weil es sich für einen Bonus um die 25 Cent/kg Schlachtgewicht nicht rechnet.

Einzelhandel macht Druck

Woher kommt dieser Druck hin zu den hohen HF? Hört man sich um, ist eindeutig der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) die treibende Kraft. Ursprünglich hatte dieser den Haltungswechsel bis 2030 angekündigt. Dann soll das Fleisch nur noch aus HF 3 und 4 (Bio) stammen. Doch plötzlich – und in der Branche recht unerwartet – hat es der Handel scheinbar eiliger.

Grund genug, bei „den Großen“ des deutschen LEHs nachzufragen. Unter anderem wollten wir wissen, welche Menge (t) in den jeweiligen HF 1 bis 4 an Rindfleisch verkauft wird. Unisono wurde diese Frage ignoriert. Offener zeigten sie sich bei der angedachten Zeitangabe – sprich, wann der Wechsel erfolgen soll. Zudem inte­ressierte uns, ob die Handelshäuser bei ihrem „Upgrade“ auf deutsche Ware setzen. Schnell fällt auf, dass die Discounter in Sachen Haltungswechsel zügiger unterwegs sind als die Vollsortimenter. Im Folgenden die wichtigsten Aussagen zusammengefasst:

Lidl: Schon Anfang 2024 soll das gesamte festgelistete Sortiment an Rindfrischfleisch aus mindestens HF 3 stammen (ausländische Spezialitäten ausgenommen). Als einziger Einzelhändler sagt Lidl: „Als Partner der deutschen Landwirtschaft denken wir dabei Haltung und Herkunft gemeinsam. Deswegen setzen wir für diesen Schritt vollständig auf deutsches Jungbullenfleisch.“ Für das Rindfrischfleisch in HF 3 muss ein bestandenes Audit nach den Kriterien der Initiative Tierwohl (ITW) Rindermast vorliegen.

Somit erreicht der Discounter vorzeitig sein Ziel, mindestens 25 % des gesamten Frischfleischsortiments bis Ende 2024 aus HF 3 und 4 anzubieten. Lidl gibt auch an, nahezu das gesamte Wurst- und Frischfleischsortiment auf „5 x D“ umgestellt zu haben. Außerdem zeigt sich der Discounter zuversichtlich, den Anteil an HF 3 und 4 bis 2030 für alle Tierarten auf 100 % ausbauen zu können. Dabei wird in einer Pressemitteilung betont, dass die HF-3-Waren weiterhin vollständig aus hiesiger Landwirtschaft stammen sollen.

Aldi Süd: Die Umstellung des gesamten Sortiments an Frischfleisch sowie der gekühlten Fleisch- und Wurstwaren der Eigenmarken auf HF 3 und 4 soll bis 2030 geschehen – ausgenommen internationale Spezialitäten und gekühlte Ware. Weiter meldet Aldi Süd: „Das Unternehmen arbeitet mit Hochdruck daran, neben der Pute auch diese Tierart (Rind) komplett auf HF 3 und 4 umzustellen.“

Spätestens 2025 soll beim Frischfleischsortiment komplett auf HF 1 verzichtet werden. Aldi Süd plant bei Rindfrischfleisch dann ausschließlich die HF 3 und 4. Dabei setze der Discounter „wo immer möglich auf deutsche Herkunft“.

Beim Rindfrischfleischsortiment sollen Artikel aus den höheren HF mehr als 70 % des Umsatzes ausmachen. Rund 95 % des konventionellen Rindfleischsortiments stammt aus Deutschland. Bei ausgewählten Spezialitäten im Aktionsartikelbereich sowie verfügbarkeitsbedingt bei HF 4 greife das Unternehmen teilweise auf ausländische Rohware zurück.

Aldi Nord: Generell plant der Discounter, ebenfalls bis 2030 auf HF 3 und 4 umzustellen. Beim Rindfleisch soll der „Prozess“ ähnlich wie bei Aldi Süd bereits Ende 2025 abgeschlossen sein. Rund 90 % der verkauften Frischfleischprodukte stammen von deutschen Erzeugern.

Rewe: Der Vollsortimenter hält grundsätzlich an den bereits kommunizierten Zielen fest:

  • 100 % Frischfleisch mit mindestens HF 2 bei den Eigenmarken bis Ende 2025.
  • 100 % Frischfleisch mit mindestens HF 3 und 4 bei den Eigenmarken bis Ende 2030.
  • 100 % deutsches Rindfleisch aus HF 3 und 4 in den Bedienungstheken bis Ende 2030.

Bei den Frischfleisch-Eigenmarken strebe Rewe die deutsche Herkunft zu 100 % an. „Unser 5 x D Eigenmarken-Frischfleisch liegt im Bereich Rind bereits bei rund 87 %. Ausnahmen sind bei Rewe und Penny Spezialitäten aus dem Ausland“, so das Unternehmen. Rindfleisch der HF 3 wird bei Rewe am stärksten an der Bedientheke nachgefragt, Biorindfleisch (HF 4) vor allem im SB-Bereich. Die Herkunft sei je nach Region und Programm unterschiedlich und kann auch aus Frankreich oder Irland stammen.

Edeka: Der Edeka-Verbund sieht sich mit den regionalen Markenfleischprogrammen als Treiber für den „Haltungswandel“ in Deutschland. Die zugehörigen Fleischwerke würden die Erzeuger aktiv in ihre Programme einbinden und sie mit langen Vertragslaufzeiten und garantierten Abnahmemengen unterstützen. „Parallel bauen wir den Anteil von Fleisch- und Wurstwaren (verarbeitet oder frisch) der HF 3 und 4 massiv weiter aus – dazu zählt neben dem Biosortiment eben auch der Ausbau von Rindfleisch in HF 3“, so Edeka.

Bei Fleisch und Wurst setze der Vollsortimenter auf Herkunft aus Deutschland. Allerdings soll den Kunden eine Vielfalt an Waren geboten werden: „... daher finden sie auch im geringen Maße ausgewählte ausländische Spezialitäten.“ Auffällig bei Edeka: Zeitangaben werden nicht genannt.

Die befragten LEH gaben alle zu, ihnen sei bewusst, dass die Umstellung auf HF 3 bei Rind für die Höfe nicht einfach ist. Folglich wäre auch noch nicht flächendeckend ausreichend Menge aus Deutschland im Markt verfügbar.

Das sagen Metzger und Gastronomen

Doch wie sieht es in anderen Bereichen der Branche aus? Im Fleischerhandwerk spielt die HF-Kennzeichnung bislang eine untergeordnete Rolle. Dort sind die direkten Beziehungen zwischen Fleischerei und Erzeuger wichtig. Die Kunden an der Theke interessieren sich zum Teil auch für Herkunft und Haltung, aber genauso fragen sie nach Zubereitungsmöglichkeiten. Das erklärt Veterinärin Dr. Farina Mieloch vom Deutschen Fleischer-Verband.

Laut Stefanie Heckel, Pressesprecherin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands, können HF-Stufen ein Qualitätsmerkmal sein. Entscheidend ist für sie der Wunsch der Kunden bzw. Gäste und letztlich deren Geldbeutel: Höhere Anforderungen an Tierhalter und strengere Kriterien müssen bezahlt werden – zunächst vom Gastronomen, der das teurere Fleisch für seine Speisen einkauft, und schließlich von den Gästen. „Und dies bei den ohnehin gestiegenen Preisen für Lebensmittel und der seit Januar angehobenen Mehrwertsteuer für die Gastronomie von 7 % auf 19 %.“ Im Unterschied beträgt die Mehrwertsteuer auf Fleisch im Supermarkt weiterhin nur 7 %.

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