Vier brisante Vorschläge

Wittgenstein: Wie geht's weiter mit den Wisenten?

Wie sieht die Zukunft der freilaufenden Wisente am Rothaarsteig aus? Werden sie umgesiedelt? Als „herrenlos“ erklärt? Vier Möglichkeiten erwägt ein Gutachtenentwurf, der jetzt bekannt geworden ist.

Die Spannung steigt: In drei Wochen, am 15. Juli, trifft das Oberlandesgericht in Hamm die Entscheidung, ob bzw. wie lange zwei Schmallenberger Waldbesitzer die von der frei laufenden Wisentherde verursachten Schäden an ihren Bäumen noch dulden müssen. Für Gesprächsstoff sorgen unterdessen in der „Westfalenpost“ (WP) und in der „Siegener Zeitung“ veröffentlichte Details aus dem Entwurf eines Gutachtens, das seitens des Kreises Wittgensteins beim Institut für Wildtierforschung an der Tierärztlichen Hochschule Hannover in Auftrag gegeben worden war.

Vier Szenarien

Laut WP werden in dem Entwurf vier Szenarien zur Zukunft des juristisch und politisch umstrittenen Artenschutzprojektes vorgestellt:

  • Großgatter: Das Großgatter wäre die aufwendigste Lösung. Es müsste mindestens 5000 ha groß sein, die Zaunlänge würde etwa 45 km betragen. Für ein solches Gatter, das ausschließlich Wisente einzäunt, müsste ein ausreichend großes, zusammenhängendes Gebiet zur Verfügung stehen, „was nur auf den Flächen der Wittgenstein-Berleburg’schen Rentkammer mit 13.000 ha Waldfläche gewährleistet werden könnte“, zitiert die WP aus dem Entwurf des Gutachtens. Demnach würde ein solches Großgatter in den ersten drei Jahren insgesamt etwa 2,6 Mio. € kosten, der jährliche Folgeaufwand zwischen 250.000 und 300 .000 €.
  • Umsiedlung: Das Szenario „Abbruch des Projektes“ mit einer Umsiedlung der Tiere in eine andere Region würde mit 400.000 € zu Buche schlagen. Allerdings wären mögliche Einnahmen aus dem Verkauf noch gegenzurechnen. Die schon jetzt eingezäunte „Wisent-Wildnis“ könnte als Tierpark und Erlebniszentrum weiter betrieben werden, „verliert aber an Attraktivität ohne das frei lebende Pendant“, heißt es laut „WP“ im Entwurf.
  • Herrenlosigkeit: Die Überführung der Tiere in die Herrenlosigkeit hätte zur Folge, dass die Wisente niemandem mehr gehören. Derzeit befinden sie sich im Besitz des Trägervereins. Ein dauerhaftes Monitoring und Management der mit GPS-Sendern ausgestatteten Herde wäre trotzdem erforderlich, um die Tiere zurückzutreiben, falls sie ihr Gebiet verlassen. Im Entwurf ist von einem virtuellen Zaun die Rede. Gesamtkosten für die ersten drei Jahre: rund 1,4 Mio. €. Jährlicher Folgeaufwand: mindestens 500.000 €, auch wegen der Personalkosten (Wisentranger).
  • Tötung: Die „letale Entnahme“ der Tiere, also das Töten, kostet laut WP-Bericht 48 .000 € – „sollte sich das Fleisch vermarkten lassen, sogar nur 28.500 €“. Alle befragten Wisent-Experten lehnten das Töten der Tiere jedoch kategorisch ab.

Kritik am Wisent-Verein

Wie die Westfalen-Post berichtet, üben die Wissenschaftler in dem insgesamt rund 180 Seiten starken Gutachten-Entwurf am Wisent-Verein scharfe Kritik. Er habe das Projekt von 2016 bis 2018 nach Beendigung der wissenschaftlichen Begleitforschung nur unzureichend betreut. Die erhobenen Daten seien lückenhaft und unsauber dokumentiert.

Der WP zufolge machen die Wissenschaftler in dem Entwurfpapier keinen Hehl daraus, dass sie den Trä­gerverein für überfordert halten. Sie ­fordern, dass ein Expertengremium einen Managementplan erstellen soll. Zudem laute die Empfehlung, einen großen internationalen Projektträger zu finden. „Der Wisent-Verein wäre dann raus“, so das Fazit in dem Artikel.

Gutachten bald fertig?

Gegenüber der „WP“ wollte sich der Verein zu den Inhalten des Entwurfs nicht äußern. „Alle Beteiligten sind sich weiterhin einig, zu dem Gutachten erst dann etwas zu sagen, wenn es auch tatsächlich in seiner abschließenden Fassung vorliegt“, teilte Torsten Manges, Pressereferent beim Kreis Siegen-Wittgenstein, auf Nachfrage des Wochenblattes mit. Der Kreis hatte das Gutachten im Auftrag der Koordinierungsgruppe, die zur Begleitung der Freisetzungsphase der Wisente eingesetzt worden war, in Auftrag gegeben. Sie besteht unter anderem aus Vertretern der Kreise, der Bezirksregierung, des WLV, des Waldbauernverbandes, des Landesbetriebes Wald und Holz NRW sowie des Naturschutzes.

„Erst wenn das Gutachten fertig ist und den Mitgliedern der Koordinierungsgruppe vorgelegt wird, wird es auch veröffentlicht“, erläuterte Manges weiter. Da aber noch in diesem Jahr abschließende Entscheidungen auf Basis des Gutachtens getroffen werden sollen, sei von einem „überschaubaren“ Zeitrahmen auszugehen, bis das Gutachten fertiggestellt sein wird.

Die Wisente am Rothaarsteig standen erneut im Mittelpunkt einer Verhandlung. Ein Urteil wurde noch nicht gesprochen. Doch vieles spricht dafür, dass es eine politische Lösung geben wird.

Bereits 2007 hatte die Forschungsstelle für Jagdkunde dem NRW-Umwelt­ministerium empfohlen, die Wisent-Freisetzung im Rothaargebirge nicht zu befürworten. Ein Grund: das „erhebliche...