Fütterungsempfehlungen

Milchkuhfütterung: Das Ende von NEL und nXP

Es gibt neue, offizielle Empfehlungen für die Energie- und Nährstoff­versorgung von Milchkühen. Was heißt das für die Praxis?

Herr Dr. Böttger, die Gesellschaft für Ernährungsphysiologie (GfE) hat neue Fütterungs­empfehlungen für Milchkühe herausgebracht. Weshalb?

Kurz gesagt: Weil es an der Zeit war. Die bisherigen Empfehlungen sind mehr als 20 Jahre alt, weniger umfangreich und entsprechen nicht mehr dem aktuellen Stand der internationalen Forschung. Zum Teil haben sich die Analysemöglichkeiten verbessert, zum Beispiel, um die Verwertung verschiedener Aminosäuren zu beurteilen. Mit den neuen Empfehlungen können wir die Milchkuhfütterung präziser gestalten. Das heißt den Bedarf genauer schätzen und die Energie und Nährstoffe aus dem Futter besser beurteilen bzw. Rationen passgenauer gestalten.

Dr. Christian Böttger ist Fütterungs­referent bei der Landwirtschafts­kammer NRW. (Bildquelle: privat)

Energiebedarf und Energiegehalt von Futter soll bei Milchkühen in ME dargestellt werden, statt bisher NEL. Welche Vorteile hat das?

Die Nettoenergie Laktation (NEL) ist definiert als Futterenergie, die für die Milchproduktion nutzbar ist. Aber ob die Energie wirklich dafür genutzt wird, ist vom Stoffwechsel des Tieres abhängig. Mit der Umsetzbaren Energie (ME) lässt sich klarer unterscheiden zwischen dem Energielieferungsvermögen des Futtermittels und der Verwertung der Energie – also dem Bedarf des Tieres.

Auch für Ausbildung und Lehre ist ME sinnvoll, weil alle anderen Nutztierarten damit rechnen. ­Zudem ist es schwer erklärbar, ­warum eine Trockensteherration mit NEL kalkuliert wird.

Wie wird die ME berechnet?

Die ME ist der Brennwert des Futters abzüglich der Energieverluste über Kot, Harn und Methan. Ein wichtiger Indikator ist die Verdaulichkeit der Organischen Masse (OMD). Je besser verdaulich ein Futtermittel ist, umso mehr Energie liefert es. Berücksichtigt wird dabei auch die Futteraufnahmemenge.

Der Energiebedarf von Milchkühen wird zudem anders bewertet: So schätzen die Wissenschaftler der GfE den Erhaltungsbedarf im Schnitt um ein Drittel höher ein, während der Energiebedarf für die Milchbildung um etwa 10 % sinkt. Bei der Bedarfsberechnung wird die Laktationsphase und -anzahl berücksichtigt.

Welche Vorteile hat das neue Proteinbewertungssystem?

Bei den Kennzahlen dünndarmverdauliches Protein (sidP) und dünndarmverdauliche Aminosäuren (sidAA) werden Unterschiede in der Verdaulichkeit von Protein aus verschiedenen Futtermitteln berücksichtigt. Das war bei nXP nicht der Fall. Mit sidP soll sich die Proteinmenge, die dem Tier zur Verfügung steht, realistischer berechnen lassen.

Es spielen weitere Faktoren hi­nein, wie zum Beispiel die Futteraufnahme. Wenn eine Kuh 26 statt 20 kg Trockenmasse (TM) pro Tag frisst, hat das Einfluss auf die Passagerate und die mikrobielle Proteinbildung sowie die Umsetzung des Futterproteins im Pansen.

Darüber hinaus werden nun einzelne Aminosäuren betrachtet. Das erleichtert zukünftig die gezielte Versorgung zum Beispiel mit den limitierenden Aminosäuren Methionin oder Lysin bei reduzierter Proteinkonzentration im Futter. So lassen sich die Stickstoffeffizienz verbessern und die Tiere optimal versorgen.

Neue Fütterungsempfehlungen
Der Ausschuss für Bedarfsnormen der Gesellschaft für Ernährungsphysiologie (GfE) hat neue und umfangreichere Empfehlungen für die Energie- und Nährstoffversorgung von Milchkühen vorgelegt. Das jetzt veröffentlichte Buch umfasst knapp 300 Seiten und ersetzt die weniger umfangreiche Version von 2001. Die GfE besteht aus Wissen­schaftlern der Tierernährung. Sie bündeln den aktuellen Stand der Forschung und schaffen Grundlagen für die Praxis. Daher macht es Sinn, die GfE-Empfehlungen anzuwenden. Es wird noch dauern, bis Rationen mit den neuen Kennzahlen berechnet werden und praktische Erfahrungen vor­liegen. Es lohnt sich aber schon jetzt, die Konzepte grundsätzlich zu verstehen.

US-amerikanische Futter­modelle unterscheiden schon länger einzelne Aminosäuren. Passt sich Deutschland jetzt an?

Ich kann nicht für die GfE sprechen, würde aber sagen: Nein, denn die GfE-Empfehlungen sind rein fachlich begründet. Es ist logisch, dass einige Änderungen in eine ähn­liche Richtung gehen. Schließlich beziehen sich alle auf den neuesten Stand des Wissens. Vorteil der GfE ist der mitteleuropäische bzw. deutsche Blickwinkel und somit die Berück­sichtigung der hiesigen Verhältnisse, beispielsweise was typische Rationsbestandteile angeht.

Welche Änderungen gibt es noch?

Die GfE-Empfehlungen fassen den kompletten Stand des Wissens zur Ernährung von Milchkühen zusammen. Die lassen sich nicht in Kürze zusammenfassen. Aber beispielsweise wird der Calcium- und Phosphorbedarf erstmals indivi­duell je Milchrasse beschrieben. Studien haben gezeigt, dass die Phosphorverwertung aus dem Futter besser ist, als bisher angenommen. Das ist in den Bedarfsempfehlungen berücksichtigt. Die GfE gibt auch einen Überblick zu Methan: Wie wird es gebildet, wie lässt sich die Emission schätzen und wie lässt es sich mit der Fütterung beeinflussen?

Was ändert sich für Landwirte?

Erst einmal nichts. Es wird kein Landwirt in zwei Monaten nur noch ME oder sidAA auf seinem Lieferschein oder der Futteranalyse finden. Natürlich könnten Futtermittelhersteller und Beratung die GfE-Empfehlungen bereits nutzen. Aber es wird noch ­einige Zeit dauern, bis Futterwerttabellen, Softwareprogramme und Lehrbücher aktualisiert sind.

Wie geht es jetzt weiter?

Die GfE-Empfehlungen sind offiziell veröffentlicht. Umgesetzt werden sollen sie durch den DLG-Arbeitskreis Futter und Fütterung. Dabei sollen möglichst viele Akteure eingebunden werden, das heißt Landwirtschaftskammern mit Versuchseinrichtungen und Anstalten der Länder, aber auch die Futtermittelindustrie und Labore.

Dann sind wir in der Beratung gefragt, uns damit intensiv zu beschäftigen und damit zu rechnen. Die Berechnungen von Rationen werden sich ändern, ob sich dadurch auch Rationen ändern, müssen wir in der Praxis prüfen. An der Verdauung von Milchkühen hat sich nichts geändert. Aber wir können Futtermittel effizienter nutzen.

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