Wenn der Sommer wiederkommt...

Gen gegen Hitzestress

Jetzt für den nächsten Sommer vorsorgen: Neben dem Management gibt es züchterische Möglichkeiten, um die Wärmebelastung für Kühe erträglicher zu machen. Hitzestress dämpft nämlich die Milchleistung.

Zunehmend heißere Sommer beeinflussen auch in Deutschland das Wohlbefinden von Rindern. Zusätzlich zu kühlenden Maßnahmen wie Ventilatoren oder Kuhduschen wird Hitzetoleranz auch aus züchterischer Sicht ­wichtiger. Australische und US-amerikanische Studien­ergebnisse zeigen, wo die Rinderzucht an­setzen kann.

Aktuell gibt es drei wesentliche Stellschrauben:

  • Gezielte Selektion auf Hitze­toleranz innerhalb einer Rasse und Vermeiden einer weiteren Milchleistungssteigerung.
  • Nutzung des Slick-Gens speziell bei Holsteins.
  • Einkreuzung von Jerseys, vor ­allem im Fleckviehbereich.

Was ist Hitzestress?

Die thermoneutrale Zone einer Holstein­kuh liegt zwischen 4 und 20 °C. Oberhalb dieses Temperaturbereichs beginnen Kühe zum Beispiel durch das Erhöhen der Atemfrequenz, überschüssige Körperwärme an die Umgebung ab­zugeben. Das geschieht zu 15 % über die Atmung und zu 85 % über die Haut.

Sind die Außentemperatur und die relative Luftfeuchte extrem hoch, werden Kühe die eigens erzeugte Stoffwechselwärme nicht in aus­reichendem Maße los. Die Folge: Hitzestress.

Die Grenzen für Hitzestress richten sich jedoch auch nach tierbezogenen Faktoren wie Milchleistung, Rasse, Alter und Trächtigkeitsstadium. Eine Kuh mit etwa 700 kg Körpergewicht und einer jährlichen Leistung von 12  000 kg energiekorrigierter Milch (ECM) produziert etwa 15 % mehr Wärme, als eine Stallkollegin mit 8000 kg ECM pro Jahr.

Die Effekte von Hitzestresses sind vielfältig: Während Futteraufnahme, Milchleistung, Fruchtbarkeit, Pansenfunktion und Immunabwehr sinken, stiegen Wasserkonsum, Milchzellgehalt, und das Mastitisrisiko.

In der Rasse selektieren

In der Praxis lässt sich beobachten, dass hochleistende Kühe innerhalb einer Rasse unterschiedlich stark auf Wärmebelastung rea­gieren. Das bietet die Chance, hitze­tolerantere Zuchttiere aus­zuwählen. Wissenschaftlich sind verschiedene Indikatoren geprüft worden, um die genetische Varianz bei Hitzestress zu bewerten:

  • Atemfrequenz,
  • Körpertemperatur (Rektaltemperatur oder Vormagentemperatur mittels Bolus),
  • Milchleistung (Übersicht 1),
  • Fettsäureprofil in der Milch.

Wenn Kühe Hitzestress empfinden, bricht die Milchleistungskurve kurzweilig ein und bleibt langfristig unter dem Niveau von Tieren, die keinen Hitzestess hatten. (Bildquelle: Brade)

In Deutschland ist aktuell noch keine Zuchtwertschätzung für das Merkmal Hitzetoleranz zu er­warten. Allerdings könnten neu eingestallte Besamungsbullen mittels der australischen Zuchtwertschätzung (siehe Kasten „Von Austra­lien lernen“) zusätzlich in diesem Merkmal bewertet werden. Diesen Weg könnte man kurzfristig gehen, er wäre aber auch mit Kosten verbunden.

Von Australien lernen

Hitzestress spielt in der australischen Landwirtschaft bereits eine enorme Rolle. Weltweit erstmalig hat sich hier eine Zuchtwertschätzung für Holsteinrinder etabliert.

Der australische Zuchtwert für Hitzetoleranz basiert auf der Abnahme der Milch-, Fett- und Eiweißmenge unter Hitzestress. Als Maß für die Wärmebelastung dienen die gemittelten Tageswerte für Temperatur und Luftfeuchte jeweils am Tag der Milchleistungsprüfung und den vier Tagen zuvor. Die Wetterstation sollte nicht mehr als 60 km von der Milchkuhherde entfernt sein.

Die Toleranz gegen Hitze wird für jede Kuh einzeln geschätzt. Auch eine Schätzung des Zuchtwertes auf genomischer Basis ist möglich, um schon im frühen Kälberalter Informationen zu haben. Die Sicherheit der Zuchtwerte von geno­typisierten Holstein-Kälbern und damit auch von Jungbullen ohne Töchterbewertung ist ausreichend hoch. Sie ist vergleichbar mit den deutschen Zuchtwerten für Gesundheitsmerkmale.

Slick-Gen: Glatthaarige Kühe

Rinder, die das Slick-Gen tragen, sind weniger sensibel für warme Temperaturen als Tiere, die nicht damit ausgestattet sind. Das Gen kommt ursprünglich aus der karibischen Rinderrasse Senepol und bedeutet „glatthaarig“. Der Haartyp ist dominant erbbar und bringt ein kurzes und glattes Haarkleid hervor. Zudem haben Genträger mehr und größere Schweißdrüsen. Wissenschaftler der Universität Florida (USA) haben das Gen durch Einkreuzung von Senepol-Sperma in der universitären Herde etabliert. Anschließend hat das Team Holsteins mit dem Slick-Genotyp verglichen mit solchen Holsteins, die ein normales Haarkleid hatten. Bei heißem Wetter zeigten Slick-Kühe signifikant geringere Vaginal­temperaturen.

Wärmebelastung messen

Die Rektaltemperatur und die Atemfrequenz sind leicht messbare Indikatoren für das Wohlbefinden von Milchkühen. Aus den Werten lassen sich folgende Stufen ableiten:

- Stressbeginn: Mehr als 60 Atemzüge/min, erste Milchertragsver­luste, Rektaltemperatur überschreitet 38,5 °C.

- mäßiger Stress: Mehr als 75 Atemzüge/min. Die Rektaltemperatur überschreitet 39 °C.

- schwerer Stress: Mehr als 85 Atemzüge/min und über 40 °C Körpertemperatur.

- lebensbedrohlicher Stress: Mehr als 120 Atemzüge/min und über 41 °C.

Die Universität Florida hat nun ein Holstein-Zuchtprogramm initiiert, um „Slick“-Holsteins systematisch für subtropische Gebiete zu erzeugen. In den USA sind erste Besamungsbullen verfügbar, die die Slick-Mutation weitervererben. Allerdings ist ihr Leistungsniveau oft noch nicht ausreichend, sodass ein breiter Absatz bislang ausblieb. Die Hoffnung besteht auf wettbewerbsfähige nachkommengeprüfte Vatertiere.

Interessierte deutsche Züchter könnten ihre besten Bullenmütter mit solchen US-Bullen anpaaren, um züchterischen Vorlauf zu ­haben und die Genotypen unter hiesigen Bedingungen zu prüfen.

Tolerante Jerseys

Die kleinrahmigen leichten Jerseys haben gegenüber Holstein- und Fleckviehkühen einen besonderen Vorteil: Ihre Körperoberfläche ist in der Relation größer als die von schwereren Tieren. Zudem haben sie mehr Schweißdrüsen und ein glatteres Haarkleid.

Eine Doktorarbeit an der Universität Georgia zeigt, dass Hitzestress bezogen auf die Milchleistung bei Jerseykühen erst bei etwa 2,5 °C höheren Umgebungstemperaturen auftritt im Vergleich zu Holsteins.Das deckt sich mit anderen Studien: Die Rektaltemperatur und die Atemfrequenz von Holsteins und Jerseys unterschieden sich unter normalen Bedingungen kaum (siehe Übersicht 2). Bei Hitzestress reagieren beide Rassen – jedoch verschieden. Unter Hitzestress hatten die Holsteinkühe eine ­deutlich höhere Atemfrequenz (98,4 Atemzüge/min) gegenüber den Jerseys (81,8 Atemzüge/min). Holsteins zeigten zudem gestie­gene Rektaltemperaturen.

Die Atemfrequenz und die Rektaltemperarut steigen unter Hitze bei Holsteins deutlich mehr an als bei Jerseys. (Bildquelle: Kim et. al 2020)

Insbesondere bei der grünlandbasierten Milchproduktion können Jerseys von hohem Interesse sein. Denn dort ist Hitzestress im Sommer ein großes Thema: Schatten ist die einzige Kühlmöglichkeit. Zudem leidet der Grasaufwuchs und damit das qualitative und kontinuierliche Angebot von Futter. Eigene Beobachtungen bestätigen, dass reinrassige Jerseys sowie Jersey-­Fleckvieh-Kreuzungen deutlich hitzetoleranter sind als reinrassige Fleckviehkühe.

Jerseykühe sind hitzetoleranter als Holsteins oder Fleckvieh. Das kommt den Tieren besonders auf der Weide zugute, wo es keine Ventilatoren gibt. (Bildquelle: Püning)

Fazit für die Praxis

Landwirte sollten sich Gedanken machen, wie sie zunehmend wärmeren Sommern begegnen. Festhalten lässt sich: Hitzestress wirkt sich negativ auf Leistung und Gesundheit der Tiere aus.

  • Da mit zunehmender Stoffwechselaktivität auch die Wärmeproduktion der Kühe zunimmt, sollte die Hitzeanfälligkeit ein Bestand­teil künftiger Zuchtprogramme werden.
  • Aus genetisch-züchterischer Sicht bewirkt eine weiter steigende Milchleistung gleichzeitig eine gerin­gere Hitzetoleranz.
  • Um die Hitzetoleranz kurzfristig zu verbessern, könnten deutsche Holstein-Besamungsbullen über das australische Zuchtwertschätzsystem bewertet werden.
  • Auch das Slick-Gen reduziert die Wärmebelastung von Holsteins.
  • Das Einkreuzen von Jerseys ist für die Weidehaltung zum Beispiel im alpinen Raum und für Fleckviehbetriebe eine Alternative.
  • Die Rinderzucht bleibt gefordert, alle Strategien zu nutzen, ­damit künftige Milchkuhgenerationen nicht noch hitzeempfind­licher werden.

Was tun gegen Hitzestess?

Wirksame Mittel, um Hitzeperioden für Kühe erträglicher zu gestalten und hohe Leistungen zu sichern, liegen im Management: Zum Beispiel Kalbungen von Mai bis August vermeiden, damit die Höchstleistungsphase nicht in den Sommer fällt. Bauliche Maßnahmen wie Dachisolation, Großraumlüfter und Sprinkleranlagen fördern ein kühleres Stallklima.

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