Milchforum

Borchert als Chance sehen

Welche Zukunft braucht Milchwirtschaft? Die Milchbranche ist sich einig: Kriterien und Finanzierung des Borchert-Plans für mehr Tierwohl hätten besser gestern als heute stehen müssen.

Immer neue Anforderungen seitens Politik und Handel belasten die Milcherzeugung. So werden verstärkt bisherige Produktionsverfahren hinterfragt und neue, vor allem kostenintensive Vorgaben an Haltungssysteme gefordert. Grund genug für die Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW bei ihrem diesjährigen Milchforum am gestrigen Abend eine Frage in den Fokus zu stellen: Welche Zukunft braucht die Milchwirtschaft?

Konkreter Fahrplan

So richtig wagte keiner der vier Podiumsteilnehmer den Blick in die Glaskugel. Einig zeigten sie sich allerdings schon: Die deutsche Milchviehhaltung hat Zukunft. Es fragt sich nur, in welcher Form. Ludwig Börger, Geschäftsführer von QM Milch und Referatsleiter Milch beim DBV in Berlin, brachte es auf den Punkt: „Die Milchwirtschaft benötigt für den langfristigen Erfolg vor allem Unternehmer, die bereit sind, die Erwartungen des Marktes zu erfüllen.“

Dabei begrüßte er die Ziele der Borchert-Kommission, kritisierte jedoch, dass die Details­ – in erster Linie die genauen Kriterien und die Finanzierung des Ganzen – bislang unbeantwortet blieben. „Die Antworten auf diese Fragen hätten wir schon gestern gebraucht“, gab Börger zu bedenken. Hier sehe er vor allem die Politik in der Pflicht: „Mit der neuen Regierung brauchen wir jetzt einen konkreten Fahrplan für Borchert“, so seine Forderung.

Abgabe statt erhöhter Mehrwertsteuer

Doch der Fahrplan wird wohl auf sich warten lassen. Dies bestätige NRW-Ministerin Ursula Heinen-Esser, die als Ehrengast zum Forum Milch geladen war. Es sei ärgerlich, dass es nicht gelungen sei, die Ergebnisse aus der Borchert-Kommission vor der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag umzusetzen. „Jetzt wird es wird dauern“, kündigte sie an und weiter: „Vermutlich wird es Mitte 2022 sein, bis sich die neue Regierung mit diesem Thema beschäftigt.“ Klare Worte fand sie zudem in punkto Finanzierung der angedachten Tierwohl-, Klima- und Umweltschutz-Maßnahmen: „Es muss sich für jeden Landwirt rechnen.“

Doch die Wunschvorstellung, dass der Verbraucher sein Kaufverhalten ändert und für Mehrwert auch mehr bezahlt, sei unrealistisch. „Ein Umerziehen wird schwer. Der Deutsche fährt mit seinem Porsche zum Discounter, während der Franzose mit seinem Renault Clio den Feinkostladen ansteuert.“ Eine Finanzierung durch eine höhere Mehrwertsteuer lehnt sie deshalb ab. „Mir wäre eine Abgabe, beispielsweise 20 Cent/kg Fleisch, die liebste Methode, um Betriebe, die umstellen wollen, zu unterstützen“, erklärte Heinen-Esser.

Verlässliche Rahmenbedingungen

Für eine vernünftige Umstellung der Tierhaltung sind allerdings klar definierte Rahmenbedingungen notwendig, so der Appell von Georg Geuecke, Vorsitzender von Bundesverband Rind und Schwein und selbst Milchviehhalter: „Die Politik muss die Leitplanken setzen.“ Und diese müssten breit genug, damit sinngemäß entlang des Weges noch Platz vorhanden ist, an Maßnahmen, die eventuell nicht so gut umsetzbar sind, noch justiert werden kann.

Als Sprecher vor allem für Familienbetriebe verdeutlichte er, wie wichtig die Verlässlichkeit für Praktiker sind. Hier knüpfte auch der zweite Praktiker im Podium, Benedikt Langemeyer, an. Mit verlässlichen Rahmenbedingungen seien vor allem verlässliche Finanzierungsaussichten gemeint, die den einzelnen Betrieben auf viele Jahre gesehen, Planungssicherheiten bieten. Ihm fehlt zudem die ehrliche Diskussionskultur zwischen Erzeugern, Handel und Verbrauchern. Ebenfalls wünscht er sich von allen Beteiligten mehr Respekt auf Augenhöhe.

Verbraucher orientiertes Produktportfolio

Wie knallhart das Business rund um Milch und Milchprodukte sein kann, erläuterte Heinrich Gropper, Geschäftsführer der Molkerei Gropper in Bissingen. Seit 30 Jahren ist Gropper im Geschäft tätig. Verhandlungen mit dem LEH sind oftmals schwierig und keinesfalls auf Augenhöhe. „In Gesprächen mit den wenig großen Handelsplayern wird die Austauschbarkeit ganz deutlich gemacht“, betonte er. Anders formuliert: Wenn das eine Molkereiunternehmen nicht zu einem genannten Preis liefert, wird es ein anderes tun.

Entscheidend für ihn als Unternehmer ist die Fähigkeit, ein an den Bedürfnissen der Verbraucher orientiertes Produktportfolio realisieren zu können. „Augen auf, alle Antennen auf an und schauen was der Markt uns abverlangt“, so lautet seine Devise. Bereits 2017 ist Gropper mit einem eigenen Tierschutz-Label (basierend auf Vorgaben des deutschen Tierschutzbundes) für Frischmilch auf den Markt gegangen. Und das mit Erfolg. Wie eine Teilnehmerin aus dem Publikum berichtete, erhält sie bis zu 4 Cent/kg mehr für besagte Milch: „Die Anforderungen sind realisierbar, die Audits konstruktiv und es fühlt sich sehr gut an, dass endlich mehr im Portemonnaie ankommt“.

Das Fazit am Ende der Veranstaltung war einheitlich:

  • Mit Mut und Zuversicht in die Zukunft blicken.
  • Die Borchert-Pläne sollten als Chance und nicht als Gefahr betrachtet werden.
  • Für eine realistische Umsetzung sind verlässliche Finanzierungspläne auf lange Sicht unabdingbar.

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