Kommentar

Politik auf dem Rücken anderer

Das Vertrauen in Parteien und die Regierung sinkt - nicht nur bei Landwirten. Wer die Ampel als alleinigen Sündenbock ausmacht, greift jedoch zu kurz.

Die Zahlen sind ernüchternd: Mehr als jeder zweite 18- bis 30-Jährige (52 %) vertraut der Regierung nicht, 45 % misstrauen dem Parlament. Das zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung.

Überraschend sind die Zahlen nicht. Denn schaut man auf die Themen, die junge Erwachsene bewegen, kann im besten Fall von einem politischen Hin und Her gesprochen werden. Große Sorgen machen sich die Befragten um den Klimawandel. Das Ziel – Klimaneutralität – ist klar. Ein konkreter politischer Weg? Fehlanzeige! Stattdessen punktet die Ampel genauso wie die Große Koalition zuvor wahlweise mit Lethargie oder übereiltem Aktionismus: Union und SPD verfassen ein Klimaschutzgesetz, das 2021 vom Bundesverfassungsgericht als „unzureichend“ kassiert wird. Die Ampel streitet sich monatelang um ein Verbrenner-Aus. Oder lässt das Heizungsgesetz in einem Kommunikationsdesaster enden.

Plan und Weitsicht fehlen

Junge Menschen vermissen einen verlässlichen politischen Plan. Und sie vermissen bei den Regierenden politische Weitsicht für die Folgen übereilter Entscheidungen. Genau wie die Landwirte:

  • Nachdem die Große Koalition unter Ministerin Klöckner die Chance auf einen halbwegs geordneten Umbau der Tierhaltung verstreichen ließ, legte Agrarminister Cem Özdemir vergangene Woche zwar endlich ein Konzept für die Finanzierung des Tierwohlcents vor. Handfeste Vorschläge zur Erhebung der Abgabe sucht man darin allerdings vergebens. Stattdessen alter Wein in neuen Schläuchen: Es fehlt nach wie vor an einem Plan, wie die Gelder auch tatsächlich bei den Landwirten ankommen.
  • Die Streichungspläne der Ampel für die Kfz-Steuerbefreiung und Agrardieselbeihilfe wirkten ähnlich übereilt und unabgestimmt wie das Heizungsgesetz. Die Bundesregierung ruderte in beiden Fällen zumindest teilweise zurück.
  • Auch bei den geplanten Änderungen im Tierschutzgesetz scheinen die praktischen Folgen ausgeblendet. Beispiel Schwänzekupieren: Hier fordert der Gesetzgeber Standards, die er selbst unter Optimalbedingungen im bundesweiten Forschungsprojekt nicht erfüllen kann.

Wer vertritt die Landwirte?

Kaum verwunderlich, dass auch das Vertrauen der Landwirte in die Parteien leidet. Eine Studie der Universität Bochum diagnostizierte bereits 2022 Repräsentationsdefizite und Vertrauens­verlust. Rund 38 % der befragten Landwirte ­sahen ihre Interessen durch keine Partei mehr vertreten. Besser ist es wohl kaum geworden.

Statt politischem Rumgeeiere und immer neuen Wendemanövern braucht es eine Regierung mit geradem Rücken. Die handwerklich saubere und verlässliche Regierungsarbeit liefert. Die Vertrauen in Institutionen schafft, statt es zu verspielen.

Denn aktuell folgt die Ampel einer fragwürdigen Regierungstradition: Sie trägt ihre eigene Planlosigkeit auf dem Rücken anderer aus. Auf dem Rücken derjenigen, die unsere Versorgung sichern. Und auf dem Rücken zukünftiger Generationen.

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