Teilnehmer berichten von den Bauern-Demonstrationen

„Wow, das wird wirklich groß“

Bauernproteste in und um Westfalen: Eindrücke von Beteiligten, Beobachtern, Organisatoren und der Polizei

Marian Redlich, Schweinemäster in Beverungen-Tietelsen (Kreis Höxter)
Die Landwirte in unserem Ort haben während der Aktionswoche alle an einem Strang gezogen. Betriebliche Differenzen spielten keine Rolle mehr! Mit 16 Schleppern sind wir aus den kleinen Dörfern Tietelsen und Rothe zur Sternfahrt nach Höxter aufgebrochen. Organisiert haben es die Junglandwirte per WhatsApp. Ein Unternehmer hat uns mit einem Versorgungswagen unterstützt. Zuvor haben wir mit unseren Familien Plakate gemalt und an die Schlepper befestigt.
In Höxter nahmen an der Kundgebung auch viele Handwerker und Bauunternehmer teil. Sogar der Vorstand der Volksbank sprach. Vereinzelte antidemokratische Stimmen wurden sofort verbannt. Am Samstag gab es in Tietelsen noch eine kleine Demo mit 15 Trampeltreckern.
Jeden Morgen ließen wir die Schlepper mit den Plakaten an der Ortsdurchfahrt stehen, damit der Berufsverkehr unsere Forderungen sah. Mit Lichthupe und Daumen hoch zeigten die Pendler ihre Zustimmung. Am Mittwoch veranstalten wir ein Mahnfeuer und luden unser Mitbürger ein. Gemeinsam grillten wir und sprachen über unseren Unmut. Der richtet sich nicht nur gegen die Streichung der Subventionen des Agrardiesels, sondern geht tiefer. Seit fast 20 Jahren gibt es Kompromisse aus Landwirtschaft und Tierschutz zur Zukunft der Tierhaltung, doch es wird politisch nicht umgesetzt. Höhepunkt war, dass die Ergebnisse der Borchert-Kommission aus parteipolitischen Gründen nicht angepackt werden. Darum reicht es! Es muss Schluss sein mit dieser unzuverlässigen Agrarpolitik!
Wichtig ist, dass wir den Schwung und das Echo der Aktionswoche mitnehmen und immer wieder gezielte Nadelstiche im Laufe des Jahres mit unseren Forderungen setzen können.

Julia Holzgräfe, Landwirtin in Hessisch Oldendorf (Landkreis Hameln-Pyrmont)
Im Weserbergland waren sicherlich mehr als 1000 Schlepper unterwegs, zahlreich unterstützt durch PKW, LKW, Bullis aus dem Speditionsgewebe, Handwerker oder auch Privatpersonen. Die Unterstützung war überwältigend. wir wurden seitens der Bevölkerung, den Landfrauen, von Firmen, Bäckereien, Schlachtereien etc mit Kaffee, Brötchen, Würstchen und vielem mehr den ganzen Tag versorgt. Am Straßenrand standen Menschen, die uns zugewunken, den Daumen hoch oder ein Herz mit ihren Händen geformt haben, oder die durch selbstgebastelte Schilder ihr Verständnis, ihren Unmut oder Sympathie ausgedrückt haben.
Uns hat auch sehr gefreut, wie kooperativ unsere Behörden waren. Seitens der Polizei gab es ausschließlich positives Feedback für unsere Aktionen, auch für die spontanen.
Was uns nicht so gut gefallen hat, waren die vielen Versuche der Medien, uns ins „rechte“ Licht zu rücken. Wir haben friedlich demonstriert, und auch im Weserbergland ist „Landwirtschaft bunt, nicht braun!“
Wir hatten also eine gute Aktionswoche mit vielen guten Gesprächen und Begegnungen mit Bevölkerung und Politik. Jetzt gilt es, die Haushaltsitzungen und die Entscheidungen im Parlament abzuwarten. Wir hoffen, dass es zu einem allgemeinen Umdenken in der Politik kommt, zu mehr Sachverstand und Anerkennung der Wissenschaft.

8. Januar, Gütersloher Ring: "So standen wir dann erst mal anderthalb Stunden, weil nichts mehr ging." (Bildquelle: A. Hollenbeck)

Andreas Hollenbeck, Lohnunternehmer in Rietberg-Druffel (Kreis Gütersloh)
Einige Landwirte kamen zu uns auf dem Hof, und so starteten wir gemeinsam. Unterwegs reihten sich weitere Trecker ein. Ein Gefühl des Zusammenhaltes baute sich auf. Nach 2 km fuhren wir durch Neuenkirchen, wo uns eine älteres Paar in ihrem Auto entgegenkam und die Frau nur kopfschüttelnd einen Vogel zeigte. Das war natürlich etwas ernüchternd. Was ich noch nicht ahnen konnte: Sie gehörte mit der Reaktion klar zur Minderheit.
Einige Meter weiter reckte der erste Autofahrer den Daumen nach oben aus dem Fenster und fuhr hupend an uns vorbei. In Rietberg war eine Verkäuferin in ihrem Laden gerade dabei, die Schaufenster zu dekorieren. Als wir vorbei kamen, reckte sie strahlend beide Daumen nach oben.
Zum Treffpunkt kamen wir gar nicht, da das Industriegebiet bereits komplett voll stand und einfach kein Platz mehr war. Der Gedanke dazu war Begeisterung und: „Wow, das wird wirklich groß heute.“
Eine 3,3 km lange Kolonne war alleine aus Rietberg auf dem Weg nach Gütersloh. Dort war dann auch relativ schnell Schluss, da niemand damit gerechnet hat, dass die Treckerkolonnen den Ring komplett umschließen. Das gab dann sogar Respekt von der Polizei, die sich für diesen recht entspannten Demotag bedankte.
Die Kindergarten-Gruppe an der Ampel winkte genauso fröhlich wie viele andere. Besonders LKW haben gehupt oder uns im Vorbeifahren zugerufen, dass sie es super finden und wir durchhalten sollen – und das, obwohl sie zum Teil über eine Stunde im Stau standen.
Was bleibt: Freude über die positiven Reaktionen, gute Stimmung während der Demonstration, besonders auch zu der Polizei, und Ungewissheit, da die Ampelregierung trotz oder gerade wegen der Proteste die Kürzungen beschlossen hat. Negativ fiel mir eine kleine Gruppe Jugendlicher auf, die sagten :“Guck mal, die ganzen Bauern-Spinner mit ihren stinkenden Treckern…“ Als wir sie zum Gespräch aufgefordert haben, waren sie allerdings schnell weg.

Gerburgis Brosthaus, Wochenblatt-Redakteurin und Landwirtin in Coesfeld-Lette
Tiere versorgt, Futter geholt, Trecker vollgetankt – los geht‘s nach Münster. Ein tolles Gefühl, wie viele Berufskollegen – jung und alt, Nebenerwerb und Haupterwerb – für die gemeinsame Sache antreten. In Kolonne fahren wir aus unserem Ort zum Sammelplatz nach Nottuln. 800 (!) Schlepper starten von dort nach Münster. Gänsehautfeeling, als sich die Reihen nach und nach in Bewegung setzen.
Unterwegs viele Menschen am Straßenrand. Winkende Kinder mit leuchtenden Augen. Erwachsene, die uns ihre Zustimmung mit erhobenem Daumen zeigen. Eine Gärtnerei verteilt Blumen an uns. Die Polizei sperrt Kreuzungen und schleust uns über rote Ampeln, damit der Tross nicht ins Stocken gerät. Doch schon in Roxel beginnt der Rückstau. Es wird anstrengend für die Fahrer. Stop and go, blinkende Lichter und pulsierende Rundumleuchten, dazu Autofahrer (in Münster dann auch Radler), die sich in die Kolonne drängen – eine Spazierfahrt ist das nicht.
Dann steht der Tross 20 Minuten. WhatsApp-Nachrichten und Telefonanrufe gehen hin und her: „Wo steht Ihr? Wann geht‘s weiter?“ Ungeduld macht sich breit. Die ersten drehen ab, suchen eigene Wege in die Stadt. Die nächsten kündigen an „Wir blockieren die A 43!“
Respekt vor den Berufskollegen, die die Demo leiten – ein nervenaufreibender Job. Sie halten Kontakt zur Polizei und können sich in den Kolonnen durchsetzen. Als wir endlich am Schloss vorbeifahren, ist das wildeste Verkehrschaos vorbei. Auf der Heimfahrt fordert das Blitzeis noch einmal höchste Konzentration von den Fahrern. Sieben Stunden nach Abfahrt kommen wir heil, aber ziemlich groggy wieder zu Hause an.

Landwirt Hendrik Meier (in Warnweste) mit der Delegation von Land sichert Versorgung (LSV) NRW (von links: Theo Schulze Wierling, Hugo Hölken, Ansgar Tubes (Bildquelle: privat)

Hendrik Meier, Landwirt in Münster
Als Vertreter von LSV NRW durfte ich die Sternfahrten nach Münster organisieren. Ich hatte mit einer riesigen Resonanz gerechnet, aber die Proteste haben alles übertroffen. Mit mehr als 2000 Traktoren haben wir ein ziemliches Verkehrschaos veranstaltet. Trotzdem sind alle friedlich geblieben. Auch das Gespräch mit den Grünen-Politikern am Donnerstag habe ich positiv wahrgenommen. Ich hatte den Eindruck, die Situation in der Landwirtschaft eindrücklich darstellen zu können. Jetzt hoffe ich, dass es auch funkt. Der Protest muss aber noch weiter gehen, damit wir in Berlin richtig vorwärts kommen.

Christiane Bregen-Meiners, Bäuerin in Gersten und Bezirksvorsitzende der Landfrauen im Emsland und in der Grafschaft Bentheim

Christiane Bregen-Meiners, Bäuerin in Gersten und Bezirksvorsitzende der Landfrauen im Emsland und der Grafschaft Bentheim
Ich war total beeindruckt von den vielen jungen Leuten auf den Demos. Unsere vier Kinder brennen allesamt für die Landwirtschaft. Auch viele andere junge Menschen begeistern sich für die Landwirtschaft und das Dorfleben. Sie tauschen sich bei den Kundgebungen aus und setzen sich für ihre Zukunft ein. Da sind wir in der Verantwortung, dass sie auch eine Zukunftsperspektive in der Landwirtschaft haben.
Mut macht mir, dass auch der Mittelstand sich beteiligt und zu Wort meldet. Viele Handwerker und Gewerbetreibende aus der Region haben an den Demonstrationen mitgewirkt oder diese auf vielfältige Weise unterstützt. Diesen Zusammenschluss müssen wir unbedingt weiterverfolgen. Unsere Wirkung wächst, wenn wir den Schulterschluss mit der Wirtschaft suchen. Der LsV ist durch die vielen, untereinander gut vernetzten Gruppen ein wesentlicher Motor der Proteste und nicht mehr wegzudenken.
Die lokalen Gruppen haben unheimlich viel mobilisiert in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. Ebenso die Landfrauen, die in vielen Bereichen mitgemischt und unterstützt haben. Mit unseren friedlichen und eindrucksvollen Aktionen haben wir viel mehr in Bewegung gesetzt als nur unsere Trecker.

Britta Venker ist Kriminalhauptkommissarin beim Kreis Coesfeld.

Britta Venker, Kriminalhauptkommissarin beim Kreis Coesfeld
Eine Woche gespickt mit Protestaktionen liegt hinter uns. Für eine kleine Polizeibehörde ein unglaublicher Planungsaufwand. Alles hat aus unserer Sicht gut geklappt. Die Anmelder der unterschiedlichen Versammlungen verhielten sich durchweg kooperativ. Sie waren jederzeit erreichbar und gaben kurzfristige Änderungen, die aus polizeilicher Sicht erforderlich wurden, direkt an die die Teilnehmenden weiter. Die Verkehrsbeeinträchtigungen waren durchaus nicht unerheblich, fanden jedoch bei den meisten Verkehrsteilnehmern Verständnis.
Ich habe am Montag (08.Januar) eine Versammlung aus dem Dienstgebäude heraus begleitet, zu der 200 Teilnehmer angemeldet waren. Am Ende des Tages hatten in der Spitze rund 900 Fahrzeuge an der Versammlung teilgenommen. Einen Korso mussten wir aufgrund der Größe kurzfristig splitten. Die Vielzahl der Traktoren führte dazu, dass der anvisierte Platz für den geplanten Abschluss viel zu klein war. Daher war es den Teilnehmern nicht möglich, diesen anzufahren. Trotzdem hat alles gut geklappt. Das absolute Verkehrschaos, das es aus polizeilicher Sicht zu verhindern galt, blieb aus.
So hat es mich auch nicht gewundert, dass sich am Donnerstag erneut 500 bis 600 Fahrzeuge auf den Weg nach Münster gemacht haben. Hier konnte ich mir vor Ort einen Eindruck verschaffen. Ich kann nur sagen, dass es beindruckend war zu beobachten, wie alle Fahrzeuge sich auf den Weg machten und es trotzdem gelang, einen Großteil des Fahrzeugverkehrs an den Teilnehmenden vorbei zu lotsen.

Leonhard Große Kintrup, Milch-Direktvermarkter in Münster
Mit Trecker und Teleskoplader waren unsere Auszubildende und andere Mitarbeiter bei beiden großen Demonstrationen in Münster dabei. Sie haben ein tolles Wir-Gefühl erlebt. Ich habe die Zeit genutzt, meine ersten vier Videos zur aktuellen politischen Lage für Facebook und Instagram aufzunehmen und unsere Anliegen zu erläutern. Dazu gab es viel positives Feedback, in der Berufsschule wurden die Inhalte meiner Videos sogar im Unterricht besprochen, und über den WLV ist die Interviewanfrage eines Gourmet-Magazins an uns herangetragen worden.
Ich glaube, dass jeder nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten etwas zum Erfolg unserer Sache beitragen kann. Je diverser wir dabei vorgehen, desto größer die Wirkung. Über unsere Milchhofseite erreichen wir zum Beispiel viele Verbraucher.

Britta Schulze zur Heide, Sprecherin des Kreislandfrauenverbandes Soest. (Bildquelle: privat)

Britta Schulze zur Heide, Teamsprecherin des Kreislandfrauenverbandes Soest
Wir Landfrauen im Kreis Soest haben spontan entschieden, auf drei Wochenmärkten präsent zu sein. Innerhalb von vier Tagen haben sich über WhatsApp-Gruppen mehr als 25 Mitglieder bereit erklärt, Verbrauchern persönlich Rede und Antwort zu stehen. Es waren auch Frauen dabei, die nicht vom Hof kommen. Ihr Anliegen brachte eine Landfrau so auf den Punkt: „Der ländliche Raum wäre nichts ohne Landwirtschaft. Weil ich gern im ländlichen Raum lebe, bin ich verpflichtet, fühle ich mich verpflichtet, für den Erhalt der Landwirtschaft zu sorgen.“ Was mich etwas stört: In einigen öffentlichen WhatsApp-Gruppen, in denen Demos und andere Aktionen organisiert werden, tauchen immer wieder Bilder auf, auf denen Politiker mit Sprüchen verhöhnt werden. Das halte ich für wenig zielführend und sorgt für eine ungute Stimmung.

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Die Aktionswoche der Landwirte ist gestartet. Hier finden Sie unsere Berichterstattung auf einen Blick.

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