Strafzinsen, Verwahrentgelte, Minuszinsen

Die Mär vom Minuszins der EZB

Immer mehr Banken verlangen von ihren Kunden "Verwahrentgelte". Dabei ist die tatsächliche Belastung der Geschäftsbanken durch den EZB-Minuszins überraschend gering - wie eine einfache Rechnung zeigt.

Bargeld auf dem Konto ist immer weniger wert. Der Grund: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat einen Minus-Zinssatz eingeführt. In der Folge verschärft sich der Ton zwischen Banken und Privatkunden. Dabei ist die tatsächliche Belastung der Geschäftsbanken durch EZB-Minuszins ist überraschend gering. Minuszinsen - eine Mär? Die Rechnung sagt: Ja!

Die Ausgangslage: Wer macht die Strafzinsen?

Der Zusammenhang ist so bekannt wie leidig: Die EZB hat zur Umsetzung ihrer ultra-lockeren Geldpolitik einen Zinssatz von zunächst minus 0,3 % aktuell aber schon minus 0,5 % für Einlagen der Geschäftsbanken eingeführt, die diese bei der EZB unterhalten. Und die Geschäftsbanken geben diesen Negativzins – teils als Strafzins, teils beschönigend als „Verwahrentgelt“ bezeichnet, immer stärker an die Endkunden weiter.

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Die Freibeträge sinken

Während anfangs nur wenige Kreditinstitute den negativen Zins an ihre Kunden weiterberechneten und dies nur bei sehr hohen Guthaben von mehr als 1 Mio. € oder zumindest 500 000 € hat sich die Situation im Laufe des Jahres 2021 zusehends verschärft. Aktuell berechnen mehr als 500 der zirka 1300 Kreditinstitute in unserem Land schon Strafzinsen, also deutlich mehr als ein Drittel und mit wöchentlich steigender Tendenz.

Die meisten orientieren sich in der Höhe an den von der EZB verlangten minus 0,5 %, jedoch gibt es sogar Institute, die ihren Kunden ein noch größeres Minus als die EZB berechnen. Und die Freibeträge sind im Laufe des Jahres 2021 ebenfalls stark gefallen. Häufig werden Freibeträge von 100000 € oder auch 50000 € genannt, jedoch gibt es Kreditinstitute die bereits viel früher Strafzinsen in Rechnung stellen.

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Belastung für Banken ist geringer als angenommen

Die tatsächliche Belastung der Geschäftsbanken durch EZB-Minuszins ist überraschend gering. Während die meisten Kunden die Weiterbelastung der EZB-Minuszinsen mit Verständnis hinnehmen, rechnen Verbraucherschützer und Bankexperten vor, dass die durchschnittliche Belastung der Kreditwirtschaft durch die minus 0,5 % aufgrund der hohen Freibeträge viel geringer ist, als angenommen. Die Verbraucher tappen an dieser Stelle in eine Plausibilitätsfalle: Was plausibel aussieht, ist noch lange nicht wahr.

"Die ersten 6 % sind für Banken kostenfrei"

Keineswegs zahlen die Geschäftsbanken 0,5 % Negativzins auf all ihre Einlagen. Sondern nur den vergleichsweise geringen Teil der Einlagen, die auf den EZB-Konten liegen. Und das können durchaus nur ein Zehntel oder weniger der Einlagen sein, da die Geschäftsbanken den größten Teil ihrer Einlagen zur Kreditvergabe an andere Kunden nutzen sowie Bargeldreserven halten.

Da die EZB den Kreditinstituten zusätzlich großzügige Freibeträge einräumt, sind die ersten 6 % ohnehin stets kostenfrei.

Rechnung vereinfacht auf 100 € Einlagen:
0,5 % von 10 €, die hiervon bei der EZB liegen, minus 6 € Freibetrag
=> 0,5 %* 4 €, also 2 ct.
Und auf die gesamten 100 € Einlagen bezogen sind 2 ct eben nur noch 0,02 %.

Fazit - was Bankkunden wissen sollten: Würde die Geschäftsbank also ihren Kunden die 0,5 % ohne jegliche Freibeträge weiterbelasten, so hätte sie auf ihr gesamtes Einlagevolumen eine zusätzliche Gewinnmarge von 0,48 %. Oder mit anderen Worten gesagt: Nur 4 % der von ihr weiterbelasteten „Verwahrentgelte“ müsste sie an die EZB tatsächlich abführen und 96 % könnte sie ertragssteigernd für sich verwenden.

Nun geben die meisten Geschäftsbanken ihren Kunden auch Freibeträge weiter, so dass sich die obige Rechnung etwas relativiert. Und es ist nur eine Durchschnittsbetrachtung, d. h. im Einzelfall kann die tatsächliche Belastung des Kreditinstituts höher oder niedriger liegen. Trotzdem ist anzunehmen, dass die meisten Banken und Sparkassen an der fortschreitenden Weitergabe von Negativzinsen ein schönes Zubrot verdienen. Allzuviel Mitleid ist an dieser Stelle also wohl nicht angebracht.

Das Klima zwischen Bank und Kunden wird deutlich rauher

Dass Sie die Mär von der hohen Minuszinsbelastung Ihrer Bank nun durchschaut haben, wird Ihnen wenig helfen, wenn Sie keine Verhandlungsmacht haben oder zu den Glücklichen gehören, die eine faire langfristige Bank-Kunden-Beziehung genießen.

Denn die Argumentation mit den EZB-Minuszinsen wird bankseitig häufig sehr rigide als Instrument der Kundensteuerung genutzt. Beispielsweise berichten viele Kunden, dass ihre Hausbank ihnen ganz unterschiedliche Freibeträge für die Berechnung von Verwahrentgelten in Aussicht stellte. Und zwar recht durchschaubar abhängig davon, ob die Kunden bereit seien, anderer Bankleistungen mit attraktivem Ertragspotenzial für das Haus zu kaufen.

Beispiele: So werden Kunden gesteuert

Beispiel 1: Die Bank kündigt einem Kunden die Halbierung des aktuellen Freibetrag von 200000 € an. Zur Vermeidung von Strafzinsen empfiehlt sie den Abschluss einer Rentenversicherung mit Einmalzahlung über die verbleibenden 100000 €. Den Kunden, die weiterhin die 200000 € Liquiditätsreserve verfügbar haben wollen, bietet sie die Fortführung des bisherigen Freibetrages unter der Bedingung an, dass diese parallel ein kostenintensives Ansparprodukt wie z. B. eine kapitalbildende Lebensversicherung mit 25 Jahren Laufzeit und monatlicher Sparrate von 300 € abschließen.

Beispiel 2: Noch unfreundlicher wurde es in anderen Fällen, wenn die Kunden die Halbierung des Freibetrages in Kaufnahmen und ihre Einlagen durch Umschichtung zu einem anderen Kreditinsitutes reduzieren – ohne provisionsintensive Zusatzgeschäfte abzuschließen. Hier setzte die enttäuschte Bank einfach erneut den Freibetrag herunter und nach einer Rückfrage bei der Kundenbetreuerin wurde die völlige Streichung des Freibetrages – also Strafzins aber dem ersten Euro in Aussicht gestellt.

Hier finden Sie Analysen, Einschätzungen und Tipps wie Sie Ihre Finanzen auch in Zeiten von Null- und Negativzinsen fest im Griff behalten.

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