Lebenshof für Rinder

Kuh-Kuscheln

Die Rinder von Simone Möller verdienen sich ihren Lebensunterhalt allein mit Kuscheln.

Vor einer bunt gemischten Rinderherde steht eine bunt gemischte Menschentraube auf einer Weide in Meinerzhagen. In der Luft liegt der Geruch von Regen, feuchtem Gras und freudige Erwartung – Letzteres zumindest aufseiten der Menschengruppe.

„Bis auf die beiden Kühe, die uns am nächsten stehen“, sagt Simone Möller und deutet auf zwei braune Exemplare, „kuscheln alle Kühe mehr oder weniger für ihr Leben gern.“ Damit haben die Rinder etwas mit der Menschenansammlung gemein. Bei den zehn in Gummistiefel und Regenjacken gehüllten Frauen und Männern handelt es sich nämlich um „Kuh-Paten“. Sie alle haben sich zum monatlichen Patentag auf dem Bergwaldshof von Simone und Falco Möller versammelt und dürfen heute mit ihren Schützlingen schmusen.

Aus dem Wochenblatt

„Am Anfang erzähle ich den Paten immer etwas über Landwirtschaft im Allgemeinen, die Kühe und ihre unterschiedlichen Charaktere“, erklärt die 54-Jährige. Für einige ist heute nämlich nicht nur der Tag, an dem sie ihre Paten-Kühe das erste Mal kennenlernen, sondern auch der erste nahe Kontakt zu Rindern im Allgemeinen.

Doch von vorn: Bis 2017 züchtete Simone Rinder der seltenen Rasse Hinterwäldler auf ihrem Hof. Dabei traf sie immer wieder auf ein Problem: Was sollte sie mit den männlichen Tieren, die nicht als Zuchtbullen genutzt werden können, machen? „Gibst du die Bullen in die Vermarktung?“, wurde sie häufig gefragt. Das wollte Simone eigentlich nicht. Auch Silvan, ein Bulle, der 2008 auf ihrem Hof geboren wurde, brachte sie in einen solchen Konflikt. Sie hatte ihn ins Herz geschlossen, doch seine Mutter attackierte ihn immer wieder. Erst einmal suchte sie Silvan einen Stall-Kameraden, einen zahmen Jersey-Bullen namens Savanna. Die beiden wuchsen gemeinsam auf. Als die Bullen älter wurden, kam der Tag, an dem sich die Frage erneut stellte: Wohin mit den Bullen?

Liebling Silvan ist 15 Jahre alt und Mitbegründer des Kuh-Kuschelns. (Bildquelle: Nienhaus)

Kuh führt Mensch

Glücklicherweise erschien wenige Zeit später im Wochenblatt ein Artikel zum niederländischen „Koe knuffelen“, zu Deutsch Kuh-Kuscheln. „Ich dachte: Wenn die Niederländer Kuh-Kuscheln können, können wir das im Sauerland schon lange“, erinnert sich Simone schmunzelnd.

Das Konzept der Niederländer einfach kopieren wollte sie allerdings nicht und ergänzte es deshalb um Kuh-Spaziergänge. Nebenbei ließ Simone – die 25 Jahre als Pädagogin gearbeitet hatte – eine Theorieeinheit zur Landwirtschaft einfließen. „Das funktionierte gut“, erzählt die Kuh-Liebhaberin. „Bis zu dem Zeitpunkt, als Silvan und Savanna, mittlerweile Ochsen, merkten, wie groß und stark sie waren. Da begannen die zwei, die Besucher am Strick zu führen, statt anders he­rum.“ Und so strich Simone das Spazieren wieder aus dem Programm. Der Rest ist aber geblieben.

Die Züchterin selektierte nach besonders nahbaren Tieren, die später mit in ihre Kuschel-Herde aufgenommen werden sollten – und so ihren Lebensabend selbst verdienen können. Heute leben insgesamt 20 Rinder auf ihrem Hof, der im Nebenerwerb geführt wird. Die Zucht hat Simone Möller mittlerweile aufgegeben, sie arbeitet nun halbtags als Milchkontrolleurin.

Kühe auf dem T-Shirt

In Meinerzhagen trocknen Sonnenstrahlen die nasse Weide. Die Menschentraube wagt sich vorsichtigen Schrittes näher an die Rinder. „Das hier ist Paula, sie liebt kuscheln und zeigt hier ein natürliches Verhalten der Rinder“, erklärt Simone, während sie die Kuh am Hals streichelt „Sie sabbert, was das Zeug hält. Das heißt, sie ist entspannt.“ Die Gruppe lacht.

„Hast du unsere schon gesehen?“, flüstert da eine der Besucherinnen ihrem Partner zu und reckt den Hals. Unsere? Ja, tatsächlich, die hier Versammelten sind nämlich nicht einfach die klassischen Kuschler, wie die, die einmal im Monat vorbeikommen. Die Paten unterstützen „ihr“ Rind mit 25 € pro Monat. Das Ziel von zehn Paten pro Kuh hat Simone derzeit fast erfüllt. „Für mich und meinen Mann bleibt nach den Kosten für Futter, Tierarzt, Versicherung und Co nichts übrig, aber es geht ja auch um den Lebensunterhalt der Kühe, nicht um unseren“, sagt Simone.

Patenschaft als Geschenk

Dass die Kuh-Paten diesen Preis gern zahlen, sieht man auf den ersten Blick. „Cows make me happy“ (auf Deutsch: Kühe machen mich glücklich) prangt es auf Rüdigers ­T-Shirt – und damit ist er nicht der einzige Kuschler mit „Kuh-Kleidung“. „Wir sind schon etwas Kuh-verrückt“, sagt er mit einem Grinsen und striegelt den vor ihm stehenden Ochsen mit der eigens mitgebrachten Bürste.

Kuh-Pate Rüdiger hat für seine Lieblinge eine Bürste mitgebracht und macht sich so besonders beliebt. (Bildquelle: Nienhaus)

Die Patenschaft war ein Geschenk zum Jahrestag mit seiner Freundin. „Wir finden das viel besser als das fünfte Parfüm“, sagt er überzeugt. Auch für viele andere, die heute hier sind, war die Patenschaft ein Geschenk. Sie alle eint die Leidenschaft für Kühe, der Bezug zum Land variiert jedoch stark. Ein Paar ist neu dabei und hat bis aufs Reiten bislang wenig Berührungspunkte zum Land gehabt. Ein anderes Paar erzählt, dass es nun gemeinsam in die Stadt zieht und die Kuh-Patenschaft als Ausgleich dient. Denn die Paten dürfen – anders als die fest geleiteten monatlichen Kuschelkurse – jederzeit vorbeikommen.

Wie spreche ich Bauern an?

Manche Paten kommen auch vorbei, um mit anzupacken. „Wir haben ab und an Helfertage, an denen wir größere Projekte angehen, wie eine Koppel anzulegen“, erzählt Simone Möller. An diesen Tagen können alle Paten mitmachen, die Zeit und Lust haben.

Manchen ist das aber nicht genug. „In der Nähe wohnt ein Paar, das sich selbst einmal Großvieh anschaffen möchte“, sagt die Landwirtin. „Deshalb kommt der Mann jede Woche montags vorbei und greift mir bei der Fütterung unter die Arme. Zum Ausmisten kommt das Paar einmal im Monat gemeinsam.“ Die Unterstützung nimmt Simone gern an. Schließlich hat sie mit ihrer halben Stelle als Milchkontrolleurin, dem Hof, den Rindern – und den drei Eseln, die hier ebenfalls ihren Lebensabend verbringen dürfen – genug zu tun.

Fotos machen, weiches Fell kraulen und entspannen – beim Kuh-Kuscheln ist alles möglich, solange die Tiere mitmachen. (Bildquelle: Nienhaus)

Neben den einzelnen Rindern, die aus ihrer Zucht übrig geblieben sind, gibt es auch einige Pensions-Kühe. „Die Nachfrage nach solchen Plätzen ist extrem groß“, erzählt Simone. Die Anfragen kämen dabei von ganz unterschiedlichen Personen. So habe eine Frau, die nach Chile ausgewandert ist, eine Bleibe für ihre Kuh gesucht, die nicht mit konnte. Eine andere Frau, Landwirtin von Beruf, suchte ein neues Zuhause für eine ihrer liebsten Kühe, die ein tief hängendes Euter hatte und deshalb nicht mehr gemolken werden konnte.

Erstkontakt am Zaun

„Es sind aber auch oft Menschen, die beim Spazieren am Zaun einen Kuh-Mensch-Kontakt aufbauen“, sagt die 54-Jährige. Wenn die Passanten dann mit dem zugehörigen Bauern in Kontakt kommen und hören, dass die Tage der Tiere gezählt sind, melden sie sich bei Simone Möller. „Oft sie rufen an und fragen mich, wie sie den Bauern fragen können, ob sie dessen Kuh abkaufen können“, erzählt Simone. „Dann sag ich ihnen: ,Frag doch einfach.‘“ Tatsächlich kämen die Landwirte am Ende meist finanziell besser weg, als bei Schlachter und Co, sodass es sich für alle lohne.

Nachdem Ochse Charly heute bei der Klauenpflege war, blieb er mit seiner Mama Heidi im Stall. Die Kuh-Paten dürfen natürlich trotzdem Hallo sagen. (Bildquelle: Nienhaus)

Offen sein muss sein

Natürlich können nicht alle diese Rinder bei Simone wohnen. Stattdessen kann die langjährige Kuh-Altenpflegerin auf ein großes Netzwerk zugreifen und vermittelt die Tiere dann gern weiter.

„Mir gefällt es sehr, einen Lebenshof zu betreiben. Man muss aber auch offen für Diskussionen sein“, sagt die Landwirtin. So sind viele der Besucher Vegetarier oder teilweise Veganer und stellen vor allem die konventionelle Tierhaltung infrage. Dann fragt Simone manchmal bei den Milchviehbesitzern an, bei denen sie als Milchkontrolleurin ohnehin unterwegs ist und nimmt die Leute mit auf die Betriebe.

Auch heute, auf dem Rückweg zum Hof, kommt sie mit einigen Paten über das landwirtschaftlich bedeutsame Thema Wolf ins Gespräch. Es entstehen viele Fragen und ein offener Austausch. Dann stapfen alle glücklich zum gemeinsamen Kaffee und Kuchen – in der Tasche die „Lizenz“, das nächste Mal allein zum Kuscheln vorbeikommen zu können.

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