Inmitten von bunten Rinderfiguren, Trinkhörnern und uralten Jochen steht Michael Brackmann. „Das Rind ist in unendlich viele Lebensbereiche verstrickt und mit uns Menschen verbunden!“, erzählt er begeistert. Der Tierarzt und Biologe hat in den vergangenen 40 Jahren knapp 3000 Exponate „Rund ums Rind“ angesammelt.
Aus der Sammlung ist mittlerweile ein Museum in Ostercappeln, im Landkreis Osnabrück geworden. Von außen ist dieses Museum eine Wassermühle, die idyllisch am Venner Mühlenbach liegt. Drinnen knubbeln sich die Ausstellungsstücke. Der Heimat- und Wanderverein Venne, dem die Mühle gehört, hat Michael Brackmann unterstützt. Mit der Gründung der gemeinnützigen Stiftung „Kühe-Kunst-Kulturen“ durften seine Exponate 2019 in die Mühle einziehen.
Dort können Besucher nun ein in Europa einzigartiges Museum entdecken. Die Führungen des 69-Jährigen Rinderliebhabers durch die rund 90 m2 kleinen Räumlichkeiten geben Einblicke in die facettenreiche Geschichte von Rindern. Dabei erzählt er von Sagen und Mythen und berichtet vom wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Nutzen der Tiere.
Geschichten-Sammler
Doch wie kam Brackmann darauf, so viele Gegenstände zum Thema „Rind“ zu sammeln?
Nach dem Studium spezialisierte sich der Tierarzt beruflich auf Rinder. Aus reiner Neugierde fing er dann vor 40 Jahren an, fernab von Medizin und Biologie mehr über die Tiere zu recherchieren. „Mir fiel sehr schnell auf, dass das Rind etwas ganz Wichtiges ist,“ erinnert er sich.
Als Beispiel verweist Brackmann auf einen getrockneten Kuhfladen, der als Uhr umfunktioniert neben ihm an der Wand hängt. Vor etwa 9000 Jahren hätte der Kuhmist maßgeblich zum Beginn von Ackerbau und Viehzucht beigetragen, erklärt er. Viele Menschen lebten zu diesem Zeitpunkt als Nomaden. Ein fester Wohnsitz lohnte sich nicht, da die Wiesen nach wenigen Jahren nicht mehr genug Nahrung für ihr Vieh bereithielten.
Die Entdeckung, dass der Kuhmist das Gras besser nachwachsen ließ brachte den Durchbruch. „Somit ist der Kuhfladen das Fundament der Hochkultur!“, schließt der Biologe seine Schilderungen.
Zahlungsmittel: Rind
„Es hat mich beeindruckt, welchen Stellenwert das Rind in verschiedenen Kulturen hat“, sagt Brackmann. In Madagaskar beispielsweise, erzählt er, wäre das Rind gleichermaßen Währung, Transportmittel und wichtiger Teil der Religion.
Die „Ombys“, wie die Einheimischen ihre Rinder nennen, stellen die Verbindungen zum Totenreich dar. Stirbt ein reicher Mann, so werden seine Ochsen getötet und ihre Köpfe auf dem Grab gestapelt. Daneben werden „Alo-Alo-Stelen“ aufgestellt. Das sind kunstvoll geschnitzte Säulen, die am oberen Ende mit Rinderfiguren verziert sind. Nur die reiche Oberschicht kann sich diese Skulpturen leisten, denn die Herstellung dauert einige Jahre. Bezahlt werden die Arbeiter – natürlich – mit Ochsen. Auch soziale Vergehen, wie zum Beispiel der Ehebruch, sind mit Ochsen auszugleichen.
Glaube, Sage, Mythologie
Symbolisch steht das Rind oft für den Kreislauf des Lebens und der Natur: Das Rind frisst Gras, gibt Milch, scheidet den Dung wieder aus und sorgt so für einen wiederkehrenden Zyklus.
In der hinduistischen Mythologie ist der Buckelstier Nandi das treue Reittier des Hindu-Gottes Shiva. Gemeinsam symbolisieren sie sowohl die Schöpfung als auch die Zerstörung des Lebens.
In Teilen Afrikas sehen einige Völker ihre Seele nicht nur in sich selbst, sondern gleichsam auch im Rind. „Wenn diese Menschen dann auf eine Herde Rinder blicken, blicken sie auch auf sich selbst und ihre Vorfahren und Verwandten“, erläutert Brackmann. „Dieses Verständnis finde ich faszinierend.“
Derzeit verfasst der Rentner ein Buch über das Zusammenspiel von Kultur und Rind. Es soll den Titel „Kuh(ltur)geschichten“ tragen.
Rinder-Reisen
Um all die Geschichten zu sammeln hat der Vater und Großvater viele Reisen gemacht. „Mich zieht es dorthin, wo auch Rinder sind. Mittlerweile habe ich sozusagen einen Rinder-Blick: Egal wo ich bin, meine Augen finden die Kuh im Raum“, sagt Brackmann augenzwinkernd. Für die Ausstellung hat er Stücke aus allen Kontinenten zusammengetragen. „Auch Rinder haben die ganze Welt bereist,“ schildert der Tierarzt. Drei auserwählte Tiere seien beispielsweise einst mit dem berühmten Polarforscher Ernest Shackleton auf eine Polarexpedition gegangen, um die Crew mit Milch zu versorgen.
Die Rinder-Reise von Michael Brackmann ist noch lange nicht zu Ende. „Je mehr man weiß, desto mehr Fragen kommen auf“, erzählt er mit strahlenden Augen.
Ordnung im Wimmelbild
Hobbymäßig hat Brackmann sogar selbst schon mal Rinder gehalten. „Das musste ich leider aufgeben“, berichtet er. „Wer Tiere hält, muss ihnen auch gerecht werden. Das konnte ich aus Zeitgründen leider nicht.“
Allein das fachmännische Aufstellen der Exponate hat beispielsweise ein knappes Jahr in Anspruch genommen. Nun sammeln sich in Glasvitrinen nach Regionen geordnete Figuren von Rindern. Auch praktische Gegenstände, hergestellt aus Fellen, Hufen und Hörnern von Rindern lassen sich hier finden. So sind Pulverhörner zur Lagerung von Munition ebenso anzutreffen, wie ein Ochsenschwanz, der als Fliegenwedel dient. Michael Brackmann lacht: „Der ist wirklich praktisch, den habe ich selbst auf Reisen schon benutzt!“
Fernab solcher sonderbaren Stücke haben auch die in Norddeutschland heimischen „Schwarzbunten“ ihren Platz in den Vitrinen. „Manche Darstellungen der Milchkühe sind künstlerisch recht frei gestaltet“, meint Brackmann und deutet auf einige kleinere Exemplare. „Die Grundfarbe sollte weiß, nicht schwarz sein“, macht er klar. Dennoch sei der Fehler lehrreich.
Wieso – das erklärt der Biologe im nächsten Atemzug. „Der berühmte Römer Tacitus stellte damals fest, dass die Kühe aus dem Norden besonders viel Milch gaben. Für den Kuhhandel brauchte es daher klare Erkennungsmerkmale“, schildert Brackmann. „Deshalb war die Zeichnung entscheidend.“
Durch Erzählungen wie diese wird das Wimmelbild-ähnliche Museum besonders lebendig.
Stimme im Ohr
Um die Geschichten zukünftig jedem Besucher zugängig zu machen hat Brackmann 25 Geschichten für einen Audioguide eingesprochen. Per QR-Code werden die Geschichten so allen Gästen zugänglich sein.
Sein Wissen über die Wiederkäuer weiterzugeben, ist für ihn vor allem zur aktuellen Zeit von besonderer Bedeutung: „Durch den Vorwurf, dass das Rind ein Klima-Killer sei, hat das Image der Tiere schwer gelitten. Umso wichtiger ist das Museum!“, ist sich Michael Brackmann sicher.
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