Einblick: Landapotheken haben Fieber

Apothekerpräsidentin Overwiening: „Wir versorgen am selben Tag“​

Onlinehandel, E-Rezept, Bürokratie: So sieht die Verbandspräsidentin Gabriele Regina Overwiening die Lage der Apotheken auf dem Land.​

WOCHENBLATT: Wie stark ist für die Apotheken die Konkurrenz durch den Onlinehandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten? Wie sieht es im ländlichen Raum aus: Ist dort die Konkurrenz des Online­handels größer als in den Städten?

OVERWIENING: Der Onlinehandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln ist für die Apotheke vor Ort keine Konkurrenz, weder in den Städten noch auf dem Land. Seit 2004 ist der Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland erlaubt. Aber nach wie vor werden weniger als eins von 100 Rezepten von den Päckchenversendern ­beliefert.

WOCHENBLATT: Woran liegt das?

OVERWIENING: Die Patientinnen und Patienten schätzen die persönliche Beratung, und die Präsenz­apotheke ist einfach schneller als der Versandhandel. Wir versorgen am selben Tag, auf Wunsch auch per Botendienst binnen weniger Stunden bis an die Haustür.

WOCHENBLATT: Seit dem 1. Juli wird das elektronische Rezept (E-Rezept) eingeführt. Wird es die Arbeit der Apotheken erleichtern?

OVERWIENING: Das E-Rezept, das bereits 2006 angekündigt worden ist, hat leider einen erneuten ­Stolperstart hingelegt. Derzeit stellen – großzügig gerechnet – vielleicht 3 bis 5 % der Arztpraxen überhaupt E-Rezepte aus. In vielen ­Fällen bereitet die Praxissoftware noch große Probleme, sodass uns in den Apotheken immer wieder fehlerhaft ausgestellte digitale Verordnungen erreichen, die wir nicht beliefern ­können oder dürfen. Das ist bedauerlich, weil inzwischen über 95 % der Apotheken startklar sind.
Das Ganze wird sich aber in den kommenden Monaten nach und nach einruckeln. Und dann werden wir alle vom E-Rezept profitieren. Es wird weniger unklare Verordnungen geben, schon deshalb, weil E-Rezepte besser lesbar sind. Verordnungen können von der Patientin und vom Patienten direkt nach dem Arzt­besuch per App an die Apotheke gesendet, die Medikamente somit noch schneller geliefert werden.

WOCHENBLATT: Viele Apotheken und ihre Kammern und Verbände beklagen bürokratische Hemmnisse. Können Sie markante Beispiele nennen? Welche ließen sich aus Ihrer Sicht zügig beiseiteräumen?

OVERWIENING:Die „Präqualifizierung“ ist derzeit noch eine Voraussetzung für die Versorgung mit Hilfs­mitteln, und hier wiehert der Amtsschimmel ungemein: Apothekeninhaber müssen zum Beispiel eine Nähmaschine und eine Bohr­maschine vorhalten. Sie müssen regelmäßige „Leiterschulungen“ durchführen. Damit ist ­gemeint, und das ist kein Witz, dass sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erklären, wie eine Leiter funktioniert!
Der Katalog an unsinniger Bürokratie ist riesengroß. Ich füge aber auch hinzu: Von diesen Hemmnissen müssen wir klar und deutlich ­eine Reihe komplexer arzneimittelrechtlicher Vorschriften unterscheiden, die der hohen Arzneimittelsicherheit dienen – dass beispielsweise kühlpflichtige Arzneimittel sorgsam behandelt werden oder dass wir den Weg jeder einzelnen Packung vom Hersteller über den Großhandel in die Apotheke nachver­folgen können. An diesen Qualitäten, die uns auch vom Versandhandel unterscheiden, müssen wir selbstverständlich festhalten.

WOCHENBLATT: Wie in der Medizin, so sind auch die Studien­plätze für Pharmazie begrenzt. Wie ließe sich das ändern?

OVERWIENING:Wir haben damit schon begonnen, weil der ­Bedarf an Apothekerinnen und Apothekern und der damit verbundene Druck so groß ist: Die Apothekerkammer Westfalen-Lippe hat in Münster für zehn Jahre die Finanzierung einer Stiftungsprofessur für individualisierte Pharmakotherapie übernommen. Es können jährlich zehn zusätzliche Pharmaziestudierende ausgebildet werden, finanziert von den Mitgliedern unserer Kammer – übrigens ein ­Novum für ganz Deutschland!
Das allein reicht natürlich nicht. Wir wünschen uns noch zusätzliche Studienplätze in Münster und an einem weiteren Standort in Ostwestfalen-Lippe.
Der Landesteil Westfalen-Lippe leidet darunter, dass wir nur ein Hochschulinstitut für Pharmazie haben. In Nordrhein sind es zwei: in Düsseldorf und in Bonn.

WOCHENBLATT: Wenn Sie Gesundheitsminister in Berlin bzw. in Düsseldorf wären: Was würden Sie tun, um die Lage der Apotheken im ländlichen Raum zu verbessern?

OVERWIENING:In einem ersten Schritt würde ich ein wirksames „Apothekenstärkungsgesetz“ auf den Weg bringen und darin eine Erhöhung unseres festen, packungsbezogenen Honorars von 8,35 auf 12 € festschreiben.

WOCHENBLATT: Mehr Geld also …

OVERWIENING:Das Honorar ist seit fast zwei Jahrzehnten nahezu eingefroren. Währenddessen steigen die Kosten Jahr für Jahr, die Inflation galoppiert und Karl Lauterbach hat uns sogar seit Februar eine Kürzung beschert. Der gesetzlichen Krankenversicherung wurde bis dahin auf das Packungshonorar ein Rabatt von 1,77 € gewährt. Diesen Zwangsrabatt hat die Bundesregierung jetzt für zunächst zwei Jahre auf 2 € erhöht. In der Folge ist die Zahl der Apothekenschließungen noch weiter nach oben geschossen.
Außerdem würde ich mir viel Zeit nehmen, um mit allen Heilberufen nachhaltige Strategien zu entwickeln, wie wir gemeinsam das Gesundheitssystem so ausrichten, dass es finanzierbar und leistungsfähig bleibt.

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