„Auf dem Land bricht die flächendeckende Versorgung weg“, sagt Elke Balkau, langjährige Apothekerin aus Leidenschaft. Mehr als vier Jahrzehnte hat sie in Brochterbeck im Tecklenburger Land die einzige Apotheke im Dorf betrieben. Erst vor Kurzem hat sie – nach langer Nachfolgesuche – den Betrieb ihrer Apotheke in jüngere Hände legen können.
Mehr als nur „Schublade auf und zu“
Wirtschaftlich sei es immer schwieriger geworden. Neben hohen bürokratischen Hürden und geringer Wertschätzung seitens der Politik beklagt Balkau vor allem eine „seit Jahrzehnten kaum angepasste Vergütung“. Dabei seien die Apotheken „mehr als nur ,Schublade auf, Schublade zu‘!“
Sie selbst habe sich immer als Problemlöserin gesehen, berichtet Balkau. Sie kenne viele Kundinnen und Kunden oft über Jahrzehnte hinweg und könne ihnen eine persönliche Beratung anbieten – und, wenn es sein muss, auch eine sehr schnelle Versorgung. Ein gut funktionierender Botendienst könne vier Mal täglich die geforderten Medikamente anliefern: Vorausgesetzt, die dahinter liegenden Lieferketten zwischen Pharmaherstellern, Lager- und Verteilstellen und der örtlichen Apotheke sind gerade nicht unterbrochen.
Apotheken sind Teil der medizinischen Grundversorgung – und auf dem Land „mehr als das“, wie Balkau unterstreicht. Denn geboten werde eine pharmazeutische Rundumdienstleistung für einen breiten, vielfältigen Kundenkreis. Während die Apotheken also Gesundheit in jeder Form und Dosierung anbieten, scheinen sie selbst zu fiebern. Sogar vom „Apothekensterben“ ist die Rede. Zu Recht?
In der Fläche noch gut versorgt?
Im Jahr 2000 gab es in Deutschland rund 21.600 Apotheken, so viele wie nie zuvor. Heute sind es noch rund 18.000.
Pro Jahr verschwanden also mehr als 160 Apotheken von der Landkarte. Doch das ist nur ein rechnerischer Durchschnitt. Denn das Tempo der Schließungen hat in jüngster Zeit stark zugenommen. Nach Angaben der ABDA, des bundesweiten Dachverbandes der Apothekerverbände und -kammern, haben allein im Jahr 2022 in Deutschland 461 Apotheken geschlossen.
Es öffnen auch neue Apotheken. In den letzten beiden Jahren waren es jeweils etwa 80. Doch es schließen deutlich mehr. Für 2022 spricht der Dachverband vom „größten jährlichen Verlust an Apotheken in der Geschichte der Bundesrepublik“. Der Dachverband beeilt sich hinzuzusetzen: „Die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ist derzeit aber überall gewährleistet.“
Ein Blick in die Landschaft scheint das zu bestätigen. So kommen in Deutschland auf 100 000 Einwohner 22 Apotheken. In Ballungsräumen wie Berlin, Hamburg oder Bremen sind es weniger. In ländlich geprägten Regionen hingegen sind es mehr – so etwa im Hochsauerlandkreis oder im Harz, in Ostfriesland oder in Vorpommern. In Bundesländern mit hohem ländlichen Anteil wie Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern teilen sich 100 000 Einwohner 24 Apotheken, in Sachsen-Anhalt 26 und im Saarland sogar 29 Apotheken.
Aber das sieht nur in der Statistik gut aus. Denn wenn ein ländlich geprägter Flächenkreis dünn besiedelt ist, dann müssen die Einwohner schon weit fahren, um ein Haus mit dem rot leuchtenden „A“ zu finden. Am Niederrhein etwa sind die Wege lang, ebenso in Schleswig oder in entlegenen Regionen Thüringens.
Auch im europäischen Vergleich bietet Deutschland ein klägliches Bild. Im EU-Durchschnitt (!) kommen 32 Apotheken auf 100 000 Einwohner – Deutschland liegt da im unteren Drittel.
Konkurrenz durch den Onlinehandel
Die Zahl der Apotheken dürfte hierzulande weiter zurückgehen. Denn sie stehen unter Druck:
- Zum einen setzt ihnen der Versandhandel zu. Er ist hierzulande seit knapp zwei Jahrzehnten erlaubt und erzielt inzwischen gut ein Fünftel des Gesamtumsatzes auf dem Arzneimittelmarkt. Einen hohen Marktanteil hat vor allem der Onlineversand rezeptfreier Medikamente. Er profitiert unter anderem von Steuervorteilen. So sind Arzneimittel in Deutschland mit 19 % Mehrwertsteuer belegt, in den Niederlanden hingegen nur mit 6 %.
Onlineanbieter profitieren auch, weil sie viele andere personal- und kostenintensive Leistungen nicht erbringen, wie die Brochterbecker Apothekerin Elke Balkau betont: etwa die Nacht- und Notdienste oder auch die Herstellung individueller Rezepturen wie Salben und Cremes. „Auch wenn ein vom Arzt verordnetes Arzneimittel nicht lieferbar ist, sind es die Apotheken vor Ort, die für die Patienten im Austausch mit der Praxis Lösungen finden.“
- Zum anderen ist in vielen Apotheken die Nachfolge ungeklärt. Jede dritte Inhaberin, jeder dritte Inhaber ist älter als 60 Jahre.
Die Nachfolge ist in Brochterbeck geregelt
In Brochterbeck konnte Elke Balkau die Nachfolge-Frage klären. Ihre Conrad-Apotheke wurde Anfang dieses Jahres von der 39-jährigen Stefanie Werner übernommen. Sie habe, so erzählt sie im Gespräch mit dem Wochenblatt, als Schülerin ein Praktikum in der Brochterbecker Apotheke absolviert. „Da habe ich diesen Beruf für mich entdeckt.“ Sie habe daraufhin später Pharmazie studiert. Eine Zeit lang habe sie woanders gearbeitet, aber die einstige Praktikantin und ihre „Chefin“ haben regelmäßig den Kontakt aufrechterhalten.
Zu ihrer Entscheidung, die Nachfolge der Conrad-Apotheke anzutreten, hat auch der Blick in die Nachbarschaft beigetragen. Denn in Fuß-nähe, etwa 300 m entfernt, liegt eine Hausarztpraxis. Dort wurde vor einiger Zeit ebenfalls die Nachfolge geklärt. Es arbeiten dort jetzt sogar drei neue Ärzte. „Das hat auch die Apotheke gerettet“, sind sich Elke Balkau und ihre Nachfolgerin Stefanie Werner einig.
Wie ihre Vorgängerin, so ist auch „die Neue“ Apothekerin aus Leidenschaft. „Mir bereitet es große Freude, den Kundinnen und Kunden weiterhelfen zu können“, erzählt Stefanie Werner aus ihren Erfahrungen der vergangenen Monate.
Untiefen der Bürokratie
In dieser kurzen Zeit hat sie allerdings auch bereits die Untiefen der Bürokratie kennengelernt, die Apothekern das Leben schwer macht. Stefanie Werner nennt als Beispiel die Vorschriften zur Lagerung medizinischer Trinknahrung. Bis ins kleinste Detail ist nicht nur geregelt, wie sie aufzubewahren ist, sondern auch, wie eine Apotheke die korrekte Lagerung nachzuweisen hat. Stefanie Werner musste dazu endlose Formulare auszufüllen. Und mehr noch: „Mir wurde sogar exakt vorgeschrieben, aus welchem Winkel ich die digitalen Fotos anzufertigen hatte, um die Lagerung zu dokumentieren.“
Auch beim Thema „E-Rezept“ weiß Stefanie Werner nicht, ob sie sich ärgern oder eher wundern soll. Denn: Für die Annahme und Abwicklung des digitalen Rezeptes muss sie die digitale Infrastruktur vorhalten. Kartenlesegerät, Software und Übertragungstechnik haben rund 5000 € gekostet. Doch mit den Gerätschaften, im Januar 2023 angeschafft, wurden in der Brochterbecker Apotheke gerade einmal fünf digitale Rezepte abgewickelt. Und diese fünf „E-Rezepte“ müssen am Ende dann doch wieder „ganz analog“ ausgedruckt und in der Apotheke aufbewahrt werden.
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