Lippe: Seit 75 Jahren Teil von NRW

Zum Jubiläum haben wir Friedo Petig ums Lippe(n)bekenntnis gebeten. Der Landwirt und Humorist erklärt, wie der Lipper tickt und warum es gut ist, dass im Schloss Bellevue einer von ihnen sitzt.

Der Reimeschmied aus Lippe
Landwirt und Lipper, Schweinehalter und Schriftsteller: Friedo (Friedrich-Wilhelm) Petig hat nicht nur sechs Bücher über die Lipper geschaffen, sondern mittlerweile einen Krimi und einen Film, in dem er die Lipper Eigenheiten auf den Arm nimmt. Außerdem lässt er als Poetry-Slamer und Redner die lippischen Grenzen hinter sich.
Seit fast 500 Jahren gibt es den Hof der Familie Petig in Dörentrup-Bega. Dort hält der 62-Jährige mit seiner Familie Schweine und vermarktet einen Teil des Fleisches direkt.

Wochenblatt: „Den Lipper an sich“ beschreiben Sie in Reimform in mittlerweile sechs Büchern. Wie definieren Sie Lippe in wenigen Worten?

Petig: Diese Welt ist in Eile, sucht das Globale, jedoch das Lipperland bleibt Europas Zentrale.

Diese „europäische Zentrale“ ist jetzt seit 75 Jahren Teil von NRW. Ein Grund zur Freude?

Auf jeden Fall. Allein hätten wir nach dem Krieg nicht bestehen können. Düsseldorf ging damals stärker auf unsere Wünsche ein. Außerdem gab es auch vorher Beziehungen zu Münster. So sind wir bei euch und nicht bei den Niedersachsen gelandet. Auch wenn die Briten es gerne anders gehabt hätten.

Entscheidender Kopf bei den Verhandlungen war der lippische Landespräsident Heinrich Drake.

Heinrich Drake ist immer noch hoch angesehen in Lippe. Er war der einzige Landespräsident, der vor und nach dem Krieg das gleiche Amt bekleidete. Er holte bei den Verhandlungen das Beste für Lippe heraus. Eine belegte Anekdote: Bei den zähen Gesprächen fragten die Unterhändler nach einer Erfrischung. Heinrich Drake ging ans Fenster und öffnete es.

Diese Welt ist in Eile, sucht das Globale, jedoch das Lipperland bleibt Europas Zentrale.

Da wären wir schon bei der lippischen Sparsamkeit. Worin zeigte sie sich und woher rührt sie?

Die Lipper hatten schon im deutschen Reich das größte Sparguthaben und auch noch um 1970 die höchste Sparquote der Republik. Nicht umsonst ist das Sparbuch das Buch, in dem die alten Lipper jeden Tag lasen (lacht).

Alte Kalenderblätter wurden zerschnitten und wieder beschrieben. Elektrisches Licht am Tag war verpönt. Diese Sparsamkeit darf man aber nicht mit Geiz verwechseln. Lippe war vor allem im 19. Jahrhundert ein armes Land. Viele mussten auswandern oder als Ziegler fern der Heimat Geld verdienen. Das prägte die Leute.

Was können wir von den alten Lippern lernen?

Die lippischen Landfrauen haben nicht nur den Pickert (einen Kartoffelpfannkuchen, Anm. d. Red.), sondern auch unheimlich viele gute Eintopfrezepte kreiert. Sie ließen keine Lebensmittel verkommen. Die alten Lipper kannten das Wegwerfen nicht. Sie verwerteten alles wieder. Das Sparen von Energie und Ressourcen wäre eine lippische Botschaft für unsere Wohlstandsgesellschaft.

Doch bei aller Sparsamkeit sind die Lipper gastfreundlich und herzlich. Ihr Humor ist nicht so laut wie im Rheinland, dafür hintergründig.

Der letzte lippische Landespräsident Heinrich Drake (1881–1970) war gebürtiger Lemgoer und Sozialdemokrat. (Bildquelle: Landesverband Lippe )

Während Altkanzler Gerhard Schröder vermutlich selbst beim TuS Talle, für den er einst die lippischen Strafräume beackerte, seine letzten Fans verliert, sitzt mit Frank-Walter Steinmeier ein gebürtiger Detmolder im Schloss Bellevue. Wie viel Lippe steckt noch in dem Bundespräsidenten?

Frank-Walter Steinmeier hat seine Wurzeln nie vergessen. Er besucht öfters seine Familie in Brakelsiek. Manchmal, wenn er spricht, schimmert das lippische Wesen durch. Er ist besonnen und über Parteigrenzen anerkannt. Er will verbinden und nicht spalten.

Auch der Lipper sucht keinen Streit. Mit Frank-Walter Steinmeier geht ein bisschen von diesem lippischen Völkchen in die Welt hinaus.

Ross und Rhein bekamen Rose
Im vergangenen August feierte ganz Nordrhein-Westfalen seinen 75. Geburtstag. Ganz Nordrhein-Westfalen? Nicht ganz. Lippe kam fünf ­Monate später, am 21. Januar 1947, hinzu und die Rose auf das Landeswappen. Lippe war jahrhundertelang ein eigenständiges Territorium. Nach dem Zweiten Weltkrieg endete diese Selbstständigkeit. Der Freistaat sollte entweder in Niedersachsen oder in Nordrhein-Westfalen aufgehen.

Letztlich lag es an dem Verhandlungsgeschick des lippischen Landespräsidenten Heinrich Drake. Er „verkaufte“ Lippe so teuer wie möglich. Mit der damaligen NRW-Regierung einigte er sich auf Punkte, die Lippe eine gewisse Autonomie gewährten. Sie gingen als „Lippische Punktationen“ in die ­Geschichte ein: Das ehemalige Landesvermögen ging nicht an das Land NRW, sondern wird vom Landesverband Lippe verwaltet. Dazu gehörten neben den ehemaligen Besitzungen der lippischen Fürstenfamilie weitere Einrichtungen des Landes Lippe, wie das Landestheater Detmold, die Landesbibliothek und die Staatsbäder. Außerdem wanderte das Regierungspräsidium von Minden nach Detmold.

Wer mehr wissen will, erfährt das in der Ausstellung „UNSER LAND. 75 Jahre Nordrhein-Westfalen“ im Haus der Geschichte NRW in Düsseldorf.Sie läuft bis Ende August 2022. Vom 1. bis 3. April gibt es ein extra ­„Lippe-Wochenende“ mit einem bunten Programm für die ganze Familie.

Die Lipper gelten als friedfertig. Dennoch ragt ein Mann mit Schwert aus den lippischen Wäldern.

Das Hermannsdenkmal empfinde ich als Freiheitsstatue und nicht als nationalistisches Symbol. Die Lipper pflegen einen friedlichen Patriotismus, der mit Nationalismus nichts zu tun hat. Der Hermann wacht über uns. Deswegen hat Lippe vermutlich die niedrigste Kriminalitätsrate in NRW (grinst).

In einem Comic erklären Sie die wirklichen Hintergründe der Varusschlacht und wie die Funde nach Kalkriese kamen.

Für das Museum in Kalkriese könnte man einen Umnutzungs­antrag stellen. Denn nach der Schlacht gab Hermann den Germanen einen aus. Einem Schrotthändler aus dem Osnabrücker Land gab er den römischen Krempel mit. Zwei Jahrtausende später wurde dessen Wagenladung in Kalkriese ausgegraben. Denn es wird immer so bleiben: Wir Lipper sind einfach zu bescheiden.

Einigen wir uns darauf, dass Lippe vermutlich nie römisch, aber sicher nie preußisch war. Lange herrschte das lippische Adelshaus.

Dabei ist vor allem Fürstin Pauline (1769–1820) hervorzuheben. Sie sicherte Lippes Souveränität und befreite die Bauern aus der Leibeigenschaft. Die Regentin gründete den ersten Kindergarten auf deutschem Boden – eine Adelige mit sozialem Gewissen und Pflichtbewusstsein.

Schauspielerin Iris Berben, Moderator Matthias Opdenhövel und Richter Andreas Voßkuhle hatten ihre Wiege in Detmold. Ab wann darf man sich Lipper nennen?

In den vergangenen Jahren sind etliche Menschen nach Lippe gezogen. Diese Neulipper sind Beute-Lipper. Um das zu definieren: Wenn einer 50 Jahre als Beute-Lipper in Lippe gelebt hat, dann ist sie oder er ein akzeptierter Lipper. Aber diese 50 Jahre muss sie oder er erst mal schaffen.

Auf der 900-Jahr-Feier setzen wir alles auf eine Karte: Pickert, Wacholder und Bier von Strate.

Für alle Nicht-Lipper: Was muss man neben dem Hermann, dem Freilichtmuseum in Detmold und den Externsteinen unbedingt gesehen haben?

Das nördliche Lippe mit seinen Gemeinden Kalletal, Extertal, Barntrup und Dörentrup kann ich empfehlen. Diese hügelige Gegend hat viel Charme. Besucher finden viele Wanderwege und alte Dörfer mit Fachwerk und Bruchstein. Diese Region ist vielleicht nicht spektakulär, aber so wie die Lipper – herzlich und bodenständig.

Nachdem 2022 das Jubiläum leise gefeiert wurde, stehen 2023 zwei Jubiläen an: Der Kreis wird 50 und das historische Lippe 900 Jahre. Wie feiern die Lipper?

Auf der 900-Jahr-Feier setzen wir alles auf eine Karte: Pickert, Wacholder und Bier von Strate.

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