Wanderschäfer

Hier haben Schafe Vorfahrt

Lutz Rudack zieht mit seinen Schwarzköpfigen Fleischschafen von Weide zu Weide. Manchmal mitten durch die Stadt. Immer umrahmt von den Hütehunden.

Der Weg zu den Weiden beim Truppenübungsplatz geht mitten durch Hamm. Bedeutet: Die wolligen Vierbeiner – rund 1000 Stück – mit den schwarzen Köpfen blockieren die gesamte Straße. Das nimmt viel Schwung raus bei so manchem Autofahrer. Vorneweg läuft der junge Schäfermeister Lutz Rudack, weiter hinten ein Mitarbeiter und Vater Martin rahmt die Kolonne in Schrittgeschwindigkeit mit dem Auto ein. Die wichtigsten Mitarbeiter beim Umtreiben aber sind die Hütehunde. Auf jeder Seite der Herde ist ein Schäferhund und passt auf, dass kein Schaf von dannen kommt. Ob es nicht einfacher wäre, die Herde mit einem Transporter umzufahren, beantwortet Senior Martin ­Rudack eindeutig: „Die Schafe werden getrieben. Wir sind Schäfer und keine Spediteure.“ So gehört sich das für eine Wanderschäferei.

Drei Schäfermeister

Lutz Rudack lebt mit seinen Eltern auf dem Schäferhof in Dortmund, nah an Flughafen und Stadt. Der 27-Jährige ist frischgebackener Schäfermeister – und zwar mit beson­derer Auszeichnung: Er war der beste seines Jahrgangs. Dafür musste er nach Triesdorf, Bayern, denn Meisterschulen für Schäfer sind hier mau. Seine Ausbildung zuvor hat er auf dem elterlichen Betrieb gemacht. Beide Eltern tragen ebenfalls den Titel Schäfermeister. Mutter Ute hat sich mit 40 entschlossen den Meister zu machen – auch um sich abzusichern, falls ihrem Mann etwas zustößt.

Familie Rudack hält Schwarzköpfige Fleischschafe. (Bildquelle: Schmidtmann)

Doch die Familie hält nicht in der x-ten Generation Schafe. Im Gegenteil, Martin und Ute haben sich die Schafherde nach und nach aufgebaut. Angefangen hat es mit einigen Hobbyschafen, dann kam die Hofstelle, die große Halle für die Schafe zum Ablammen im Winter folgte. Wie auch für seine Eltern, war für Lutz absolut klar: „Mein Traumberuf ist Schäfer. Das wusste ich seit der 4. Klasse.“

Inzwischen gehören zur Schäferei Rudack rund 1000 schwarzköpfige Mutterschafe plus Zuchtböcke und Nachzucht. Für die Schwarzköpfe gibt es eine Rasseerhaltungsprämie – zur Freude der engagierten Schäfer. Deshalb sind sie auch im Schafzuchtverband. Denn als Nichtmitglied und ohne Zucht­böcke wären sie nicht förderfähig.

Zwischen Ruhr und Lippe

Die Schafe sind das ganze Jahr über draußen. In der Regel sind die Tiere in zwei Herden aufgeteilt. Im Sommer sieht das Konzept so aus:

  • Eine Gruppe steht auf den Weiden an der Ruhr,
  • die andere beim Truppenübungsplatz der Bundeswehr. ­Dieser ist etwa 90 ha groß.

„Im Winter treiben wir die Herde dann von einer Ackerfläche zur nächsten. Wir sind quasi überall zwischen Ruhr und Lippe“, fasst der groß gewachsene dunkelhaarige junge Mann zusammen. Besonders beliebt bei den Schafen sind Zwischenfrüchte. „Wir arbeiten mit festen Landwirten zusammen und sind immer willkommen.“

Die Schafe weiden ganzjährig draußen. (Bildquelle: Schmidtmann)

Alle zwei bis drei Tage stecken Rudacks die Netze um und ziehen ein Stück weiter. In den Stall kommen die Schafe erst kurz vor dem Lammen. Danach geht es schnell wieder raus. „Die Muttertiere sind etwa eine Woche im Stall“, erklärt der Schäfer. Im Sommer können sie draußen lammen. Eine richtige Ablammsaison haben Rudacks nicht. Sie leben vom Verkauf der Lämmer. „Wenn wir nur einmal jährlich Lämmer verkaufen, ist das schwierig mit sonstigen Betriebsausgaben. Deshalb haben wir ganzjährig Geburten.“

„Die Hunde sind unsere besten Mitarbeiter“
Besonders viel Spaß macht Lutz Rudack die Arbeit mit den Hütehunden. „Das sind unsere wichtigsten Mitarbeiter, ohne sie würde keine Wanderschäferei funktionieren.“ Beim Umtreiben der Tiere, sind mindestens zwei Hunde feste Begleiter. „Auf der Straße läuft links und rechts je ein Hund und begrenzt die Herde und passt auf, dass kein Schaf ausbricht. Beispielsweise auf Feldwegen neben Zwischenfrüchten brauchen wir zwei pro Seite, da die Schafe diese be­sonders schmackhaft finden“, erklärt Lutz.

Ohne Hütehunde funktioniert keine Wanderschäferei, sind Rudacks überzeugt. (Bildquelle: Schmidtmann)


Sein Vater und er haben feste Hunde. Insgesamt gibt es acht auf dem Hof. „Die Hunde suchen sich ihre Chefs aus und mit wem sie ar­beiten wollen“, erklärt Ute Rudack. Dabei sind ihre Wesen ganz unterschiedlich, manche lernen schnell, sind ruhig und konzentriert, andere nervöser. „Im Schnitt brauchen wir drei Jahre, bis die Hunde ihren Job beherrschen. Nach fünf Jahren sind sie selbstständige Mitarbeiter“, sagt Lutz.
Seine Familie ist überzeugt von Schäferhunden. „Wir achten aber darauf, dass ihre Rücken gerade und sie menschenlieb sind. Nur so können wir mit den Schafen überall hin.“ Die Hunde sind aufgeschlossen und warten auf das kleinste Kommando. Für andere Hunde ­haben sie nichts über – schließlich sind sie bei der Arbeit.

Rund um das Lammen

Damit die Tiere im Winter pünktlich vor dem Geburtstermin im Stall sind, haben Rudacks ein genaues Schema: Die Zuchtböcke tragen ein Geschirr mit einem Wachsblock vor der Brust, wenn sie zum Decken in der Herde sind. Bedeutet, Schafe, die besprungen wurden, sind farbig markiert. „Die Farbe verändern wir jeden Brunstzyklus“, erklärt Mutter Ute. Die Böcke sind also 17 Tage – so lange ist der Brunstzyklus eines Schafes – mit einer Farbe in der Herde. Dann ist eine Woche frei, dann geht es für die Böcke mit der nächsten Farbe in die Herde. „So können wir zwischen den einzelnen Ablammterminen kurz durchatmen“, erklärt Lutz. Ein Schaf ist in der ­Regel fünf Monate tragend.

Zuchtziel sind Zwillingsgeburten. (Bildquelle: Schmidtmann)

Auch die Lammungen stemmen Rudacks nur mit Familienarbeitskräften. „Ich stehe um 4 Uhr morgens auf und gehe in den Stall“, so der junge Schäfer. Ob es Lammungen gab, überprüft er vorher auf seinem Handy. Im Stall hängen zwei Kameras.

Die Neugeborenen und das Muttertier bringt er zusammen in eine Einzelbox. Diese grenzen direkt an den Laufstall auf Stroh an. Im Schnitt bekommt jedes Mutterschaf 1,5 Lämmer im Jahr mit einem Geburtsgewicht von 4 bis 5 kg. „Zuchtziel sind Zwillings­geburten“, erklärt Lutz. Weibliche Zwillinge markiert er mit extra Ohrmarken. „Die Tiere behalten wir zur Remontierung.“ Als Jährlinge lassen Rudacks die Tiere das erste Mal belegen. Im Schnitt bleiben die Schafe fünf Jahre in der Herde.

Im Stall bekommen die Schafe Biertreber und Heu. (Bildquelle: Schmidtmann)

Im Stall bekommen die Muttertiere Heu und Biertreber mit Getreide ad libitum. „Biertreber ist proteinreich und die Mütter geben genug Milch“, erklärt der Schäfermeister. Sind Lämmer und Mütter wohlauf, kommen sie zwei bis drei Tage nach der Geburt direkt wieder nach draußen.

Markt für Mastlämmer

Im Winter bleiben die männlichen Lämmer für die Mast im Stall. Dann wiegen sie nach drei bis vier Monaten knapp 50 kg. Dieses Gewicht erreichen sie im Sommer während der Weideperiode erst nach sechs Monaten. Dafür ist die Mast mit Gras günstiger. „Unsere Lämmer brauchen 3 kg Kraftfutter pro Kilogramm Zuwachs“, weiß Lutz. Die Ausschlachtung liegt bei etwa 48 %.

Im Winter mästen Rudacks die Lämmer im Stall. (Bildquelle: Schmidtmann)

Die ganzjährige Vermarktung der Lämmer funktioniert gut. „Wir bringen die Lämmer selbst zum Schlachter in Dortmund. Das sind nur 30 Minuten Fahrt und wir haben keinen Händler dazwischen, der auch noch Geld verdienen will“, erklärt Lutz. Er ist froh, dass ihr Schlachter ganzjährig Lämmer vermarkten kann. Für den motivierten Schäfer liegt der Grund dafür auf der Hand: „Hier ­leben sehr viele muslimische Menschen. Sie essen gerne und viel Lammfleisch.“

Insgesamt ist das Geschäft mit den kleinen Wiederkäuern nicht einfach. „Die Preise werden gemessen an denen aus Irland – wir sind nur schwer konkurrenzfähig“, so der Jungunternehmer. Zudem ärgert er sich darüber, dass es keinen Markt für Schafwolle gibt. „Im vergangenen Jahr hat der Wollhändler zumindest noch unsere Wolle abgeholt, aber keinen Cent gezahlt. Das ist das größte Verlustgeschäft.“

Rudacks scheren die Herde im Juni. Das kostet etwa 3600 €. Von dem Geld sehen sie allerdings nichts wieder. Lutz kennt die wirtschaftlichen Zahlen der einzelnen Sparten seines Betriebes so genau, weil er sich in seiner Meisterarbeit mit ihnen auseinandergesetzt hat.

Digitales Schäferbüro

Der Jungschäfer führt ein digitales Büro. Jedes Schaf hat eine digitale Ohrmarke, diese muss Lutz nur scannen und kann alle Infos zum Schaf eingeben oder Daten abrufen. Das kommt ihm auch in den Gesprächen mit Veterinären entgegen. Denn davon muss man als Wanderschäfer viele führen. Theoretisch ist in jedem Gebiet ein an­deres Veterinäramt zuständig. Eine Erlaubnis zur Wanderschäferei müssen Rudacks jährlich neu beantragen. „Also versuchen wir das zu machen, bevor wir die Schafe auf zu vielen verschiedenen Flächen haben, dann wird der Aufwand immer größer“, erklärt Lutz. Wirklich Kopf zerbrechen bereiten ihm diese Themen aber nicht. „Es hilft in der Regel, im Gespräch zu bleiben.“

Heilfroh ist er hingegen, dass der Wolf sich in Dortmund bisher nicht fest angesiedelt hat. „Hoffentlich ist hier so viel Besiedlung und Bewegung, dass kein Rudel sesshaft wird“, hofft er. Problematisch ist aller­dings, wenn Spaziergänger ­ihre Hunde – meist unwissentlich – in die Herde lassen und die Hunde die Schafe hetzten. Leider komme das immer wieder vor. Da versucht der Jungschäfer, viel aufzuklären, manchmal stößt er auf Gehör und Verständnis, manchmal nicht.

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