Rindfleisch aus höheren Haltungsformen? Bisher nicht wirklich vertreten im Lebensmitteleinzelhandel. Einzelne Programme aus Haltungsform 3, wie beispielsweise bei Edeka Bauernliebe, gibt es. Doch ist der Großteil des deutschen Rindfleisches mit Haltungsform 1 ausgeflaggt. Nun wirbt der Handel mit seinem Haltungswechsel: Bereits 2030 soll alles Frischfleisch der Eigenmarken aus den höchsten Haltungsformen 3 und 4 stammen. Das bedeutet für Stufe 3 nur noch Fleisch aus Tierhaltung mit Außenklima und für Stufe 4 nur noch Auslauf und Bio. Haltungsform 1 wäre Stallhaltung und 2 Stallhaltung mit mehr Platz.
Aldi kündigte vor kurzem an, dass der Riese neben Frischfleisch auch gekühlte Wurst- und Fleischwaren in Deutschland bis 2030 vollständig auf die höchsten Haltungsformen umstellen will. Nur ausländische Spezialitäten bleiben von alldem ausgenommen.
Knallharter Handel
Die großen Lebensmitteleinzelhändler haben extreme Macht. Gerade seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine verstärkt sich ihre Konzentration und harte Konkurrenz vor allem bei den Eigenmarken. Mehr als 70 % Marktmacht haben die „Großen 5“ in Deutschland. Dazu gehören Edeka, Aldi, Rewe und die Schwarz-Gruppe. Doch wo stehen wir in Sachen Haltungswechsel eigentlich beim Rindfleisch? Auf Wochenblatt-Nachfrage machen die „Großen 5“ folgende Angaben:
Edeka: Der Konzern will mit seinen regionalen Markenfleischprogrammen in den höheren Haltungsformen mit Vertrags-Landwirten gezielt auf die Herkunft aus den jeweiligen deutschen Regionen setzen. Für Haltungsform 2 fehlt es derzeit an zertifizierter Ware für eine breite Angebotsführung im Markt.
Aldi Süd und Aldi Nord: Die beiden Konzerne verfolgen den Haltungswechsel in einer gemeinsamen Strategie.
- Aldi Süd gibt an, dass 30 % des Rindfleischsortiments bereits aus den höheren Haltungsformen stammen. Seit November 2022 verkauft das Unternehmen Rindfleisch aus Haltungsform 3. Zehn Artikel werden unter der Eigenmarke „Fair & Gut“ angeboten. Haltungsform 4 ist seit 2018 fester Bestandteil. Außerdem stammen mehr als 95 % des konventionellen Rindfleischsortiments aus Deutschland. Allerdings gibt das Unternehmen auch an: „Lediglich bei ausgewählten Spezialitäten im Aktionsartikelbereich sowie verfügbarkeitsbedingt bei Haltungsform 4 greift das Unternehmen teilweise auf ausländische Rohware zurück.“
- Aldi Nord gibt ebenfalls an, auf deutsches Rindfleisch zu setzen, Ausnahmen gebe es bei Bio-Artikeln. Das erklärt, warum Biorinderhack auch aus dem Ausland stammen kann.
Rewe und Penny: Die Unternehmen wollen bis Ende 2025 das gesamte Frischfleischsortiment der Eigenmarken auf Haltungsform 2 umstellen. Bei den Rindfleisch-Eigenmarken stammen rund 87 % aus Deutschland,
100 % sind angestrebt. Ausnahmen gelten wieder für ausländische Spezialitäten.
Schwarz-Gruppe: Dazu gehören der Discounter Lidl und der Vollsortimenter Kaufland. Beide beschreiben sich als zuverlässige Partner der heimischen Landwirtschaft.
- Lidl will bis 2025 die Haltungsstufe 2 (Stallhaltung Plus) als Mindeststandard für das Frischfleischsegment der Eigenmarken setzen. Ausgenommen sind internationale Spezialitäten. Haltungsformen 3 und 4 sollen 2024 mindestens 25 % des Frischfleischsortiments ausmachen.
- Kaufland arbeitet nach eigenen Angaben weiter daran, frisches Rindfleisch der Eigenmarken bis Ende 2023 auf Haltungsform 2 umzustellen. Allerdings gibt der Markt dies momentan nicht her. Rindfleisch aus Haltungsform 3 gibt es seit 2021 unter der Eigenmarke „K-Wertschätze“ im Regal.
Woher kommt das Fleisch?
Der Handel will die Eigenmarken im Frischfleischsegment also bis 2030 auf die beiden höchsten Haltungsformen umstellen, Aldi das gesamte Fleischsortiment. Doch kann das mit Rindfleisch aus Deutschland klappen?
„Meines Erachtens ist es sehr fraglich, ob es innerhalb dieser kurzen Zeit gelingt, dass Frisch- und Wurstwarensortiment im Rinder-, Schweine- und Geflügelbereich vollständig auf die Haltungsformen 3 und 4 umzustellen. Zumindest aus deutscher Produktion wird dies voraussichtlich ausgesprochen schwierig werden“, sagt Dr. Albert Hortmann-Scholten, Marktexperte bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen und empfiehlt: „Vor der Umstellung sollten Landwirte auf eine konkrete vertraglich abgesicherte Zusage warten, in der für höherwertige Haltungsformen 2, 3 und 4 kostenabgeleitete Preise, garantierte Mengen und Laufzeiten abgestimmt werden.“
Was kaufen Verbraucher?
Offen bleibt auch, ob die Verbraucher wirklich bereit sind mehr Geld für Lebensmittel zu zahlen. Der Verband Deutscher Fleischwirtschaft (VDF) geht davon aus, dass Verbraucher bei den steigenden Lebenshaltungskosten und Unsicherheiten zu künftigen Entwicklungen wieder vermehrt zu den günstigen Produkten greifen.
„Wir beobachten eine Diskrepanz zwischen geäußerter Bereitschaft für mehr Tierwohl und tatsächlichem Einkaufsverhalten“, erklärt Dr. Heike Harstick, Geschäftsführerin beim VDF. Das bezeichnet man als „Bürger-Konsumenten-Lücke“: Der Bürger fordert mehr Tierwohl, der Konsument zahlt es aber nicht.
Deshalb stehe der Verband weiter hinter dem Borchert-Konzept als Lösung. Auch Hortmann-Scholten bezweifelt, dass auf das hohe Preisniveau für Rindfleisch noch große Boni aufgesattelt werden können, ohne die Verbraucher zu vergraulen. Es bleibt also spannend, wie der Handel seine großen Versprechen umsetzt.
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