Milcherzeugung Wisconsin

Selbstbewusste Milchbauern in den USA

Eine deutsche Delegation hat im Oktober den Weltmilchgipfel in Chicago sowie einige Betriebe besucht. Die Reise durch den mittleren Westen der USA hinterließ viel Staunen und bleibende Erkenntnisse.

Es zieht „wie Hechtsuppe“ auf der Stone Ridge Farm in Mansfiel, Illinois. Der 500 m lange Stall von George Kasbergen wirkt am kühlen Oktobermorgen wie ein Windkanal. Die 3500 Kühe der Farm stören sich nicht daran.

Es ist Tag fünf der Studienreise durch das Dreiländereck Wisconsin, Iowa und Illinois, eine der wichtigsten Regionen der US-amerikanischen Milcherzeugung. Diesen Hof besichtigt die 14-köpfige Gruppe, bestehend aus Landwirten und Vertretern milchwirtschaftlicher Organisationen und Verbänden, zu Fuß. In den vergangenen Tagen lief es öfter anders ab: the American way – mit dem Bus durch den Kuhstall.

Für die Amerikaner ganz normal - mit dem Bus über den Futtertisch fahren. (Bildquelle: Althoff)

Sieben Milchviehbetriebe und ihre Betriebsleiter lernt die Gruppe während der sechstägigen Studien­fahrt kennen, die meisten davon in Wisconsin. Hinzu kommen Besuche der University of Wisconsin, einer Farm-Brauerei und eines ­großen John-Deere-Werks, bevor es zum Kongress nach Chicago geht.

Beim Blick in die Ställe fällt auf, dass der Unterschied zur Milchviehhaltung in Deutschland, bis auf die Dimensionen, gar nicht so groß ist.

Riesige Dimensionen

Die besichtigten Betriebe haben Herdengrößen zwischen 230 und 3500 Tieren. Die Holsteinkühe in den USA sind etwas größer als hierzulande, gehalten werden sie ebenfalls in Liegeboxenlaufställen. Erst auf den zweiten Blick erkennt man Unterschiede: Die Liegeboxen sind mit Sand eingestreut, die Laufgänge planbefestigt. Entsprechend unterscheiden sich auch das Stall- und Güllemanagement. Zweimal wöchentlich werden die Liegeboxen nachgestreut, einmal jährlich wird der gesamte Sand ausgetauscht (zweimal jährlich im Abkalbestall).

Die besichtigten Betriebe hielten 250 bis 3500 Kühe. (Bildquelle: Althoff)

Die Laufgänge werden während der Melkzeiten gespült. Im Anschluss werden Gülle und Sand in Lagunen separiert, der Sand gewaschen und wiederverwendet. Mehr Mastitiden gab es nach der Umstellung auf Sand nicht, berichten die Farmer. Die Kühe sind im Schnitt drei bis vier Laktationen im Stall.

Dreimal melken ist Standard

Spanische Musik läuft im Radio des Stone-Ridge-Melkstands. Die meisten der Arbeitskräfte, die hier sechs Tage die Woche in drei Acht-Stunden-Schichten arbeiten, kommen aus Mexiko und Nicaragua. Arbeitskräfte sind auch in den USA knapp, dennoch melken alle besichtigten Betriebe dreimal täglich. Dabei erzielen sie enorme Tages­leistungen von durchschnittlich 40 bis 50 kg Milch pro Kuh.

Vor der Tür des Melkstands steht ein großer Lkw-Tank. „Hiervon wird alle vier Stunden einer von der Molkerei abgeholt“, sagt Landwirt George Kasbergen. Eine Heraus­forderung: Die Milchverarbeiter der Region sind am Kapazitätslimit, das erschwert die Vermarktung ab Hof. Nach Ablauf des Dreijahresvertrags eine Alternative zu finden, wäre schwierig. Diskussionen um den Milchpreis gibt es kaum. Eine wichtige Rolle spielt dagegen die Preisabsicherung, die in den USA über eine staatliche Versicherung stattfindet.

Heizung für Kälber

Einen wesentlichen Kontrast zu Deutschland bilden der Umgang und der Handel mit Kälbern. Bullenkälber werden auf den meisten Höfen schon in der ersten Lebenswoche gehandelt. Die Preise versetzen die deutschen Milchbauern in Staunen: 300 US-$ für ein Holsteinkalb, bis zu 700 US-$ für ein Kreuzungskalb. Die deutsche 28-Tage-Regelung trifft bei den Amerikanern auf Unverständnis.

Für männliche Holsteinkälber erhalten die Farmer um die 300 US-$. (Bildquelle: Althoff)

Die weibliche Nachzucht ist das Kapital. Besonders deutlich wird das bei Sheri Meinholz auf der Blue Star Dairy Farm. Die Betriebsleiterin hat sich mit großem Erfolg den Kälbern verschrieben, deren Vitalität man sofort bemerkt. Durch die Einhaltung eines Protokolls in den ersten Lebenswochen gab es bei gut 1000 geborenen Kälbern in diesem Jahr erst vier Verluste. Das Erfolgskonzept:

  • Die Kälber werden direkt nach der Geburt trocken geföhnt.
  • Im Anschluss kommen sie in Boxen mit Fußbodenheizung und doppelter Einstreu aus Spänen und Stroh. Bei kühler Witterung werden die Kälber zusätzlich eingedeckt.
  • Bei Kälbern, die zwei Fütterungen in Folge nicht auffressen, wird Fieber gemessen.

Diese Kälber bekommen Wärme von unten und oben: Von unten durch die Fußbodenheizung und von oben durch die Kälberdecke. (Bildquelle: Althoff)

Ab der zweiten Lebenswoche werden alle Kälber für drei Wochen einem wöchentlichen Lungencheck unterzogen. Erkrankungen werden so schon vor dem ­Auftreten der ersten Symptome identifiziert und behandelt.

Nachhaltigkeit mal anders

Gravierender als in der Haltung sind die Unterschiede in der Außenwirtschaft. Der Auflagendruck ist harmlos im Verhältnis zum hiesigen. „Amerikanische Landwirte tun, was sie können, um über die Fruchtfolge nachhaltiger zu wirtschaften“, erklärt die Reisebegleiterin, selbst Landwirtin. Doch die Fruchtfolge dient nicht der öko­logischen Nachhaltigkeit im Sinne der Bodengesundheit. Das Ziel ist, möglichst effizient Tierfutter an­zubauen.

Die typische Fruchtfolge ­eines Milchviehbetriebs besteht aus Mais, Luzerne und Wintergetreide, das im Frühjahr geschnitten und ebenfalls siliert wird. Grünland spielt für die Futtergewinnung keine Rolle. Grundsätzlich ist die Klima- und Nachhaltigkeitsdebatte aber ähnlich verankert. Spürbar ist auch: Nur noch 1,5 % der US-Einwohner sind Landwirte. Der landwirtschaftsferne Anteil in der Bevölkerung wächst, und mit ihm Forderungen und Kritik.

Weltmilchgipfel

Die letzten fünf Tage verbringt die deutsche Delegation beim Weltmilchgipfel in Chicago. Neben Wissenschaftssessions zu diversen Aspekten wie Milchmarkt, Ernährungsphysiologie, Milchqualität, Tiergesundheit und Nachhaltigkeit im Milchsektor bieten vor allem die Netzwerkveranstaltungen und der internationale Austausch eine nachhallende Bereicherung. Bedeutsame Herausforderungen für die Landwirtschaft in allen Weltregionen sind Klima und Nachhaltigkeit, die Verfügbarkeit von Arbeitskraft sowie die Hürden für landwirtschaftlichen Nachwuchs.

Die Berichte über regional spezifische Konflikte schaffen neue Perspektiven. Etwa die staatliche Priorisierung des Bergbaus, die in Südafrika zur Verdrängung bestehender Bauernhöfe führt, oder die Übertragung von Tuberkulose auf Milchkühe durch Dachse, die sich in Großbritannien an den Futtertischen offener Ställe bedienen. Seitens der Deutschen war es der Bericht über den Konflikt Wolf-Weidetierhaltung, der außerhalb der EU nicht vorkommt.

Beeindruckend war die Geschichte einer kenianischen Landwirtin, die mit dem Kauf einer zweiten Milchkuh über die Selbstversorgung hinaus produzieren und damit genug Geld für die Schulbildung der Kinder und die allmähliche Betriebsausweitung erwirtschaften konnte. Inzwischen hat sie eine kleine Genossenschaftsmolkerei entwickelt, die umliegenden Höfen Mikrokredite zahlt und wiederum den Aufbau weiterer Milchkuhherden fördert. Einen viel höheren Stellenwert hat die Milch auch in asia­tischen Ländern zur Ernährungssicherung.

Was bleibt?

Der Austausch mit Landwirten und milchwirtschaftlichen Vertretern anderer Weltregionen löst eine Art „Betriebsblindheit“ in kürzester Zeit auf. Diese bezieht sich nicht nur auf die Praxis, sondern auf Politik, Wertschätzung des Produkts und den wirtschaftlichen Status quo. Aber auch auf die mentale Haltung der Landwirte, die in Deutschland unter jahrelanger ­Kritik gelitten hat.

Sowohl in den USA als auch auf anderen Kontinenten vertreten Bauern ihren ­Beruf mit Selbstbewusstsein und einem positiven Blick in die Zukunft, von dem Deutsche etwas lernen können. Gezeigt hat die ­Reise: Der Aufbau von Struktur, Wirtschaftskraft, politischer Stabilität und ganz am Ende von gesellschaftlichem Wohlstand fußt auf das Fundament Ernährungssicherung, derer die Milcherzeugung ein wesentlicher Teil ist. Am Gunststandort Deutschland hat man all dies erreicht. Diese Erfolgsgeschichte ist ebenso wenig selbstverständlich wie von Dauer, wenn Gesellschaft und Politik sie aus den Augen verlieren.

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