Einer Kehrtwende in der agrarpolitischen Ausrichtung erteile DBV-Präsident Joachim Rukwied eine klare Absage. Die Landwirtschaft wolle sich weiterentwickeln hin zu mehr Nachhaltigkeit, Tierwohl, Biodiversität und Klimaschutz. „Aber wir müssen nachjustieren und das ein oder andere besser sowie praxisgerechter aufsetzen“, sagte er in seiner Grundsatzrede und forderte die Politik auf, dass manche über die Hindernisse springen müssten.
Rukwied: Politik muss nachjustieren!
Dazu zitierte er Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, dass sich die Politik ändern müsse, wenn sich die Lage ändere. Genau das ist nach Rukwieds Überzeugung jetzt auch für die Landwirtschaft gefordert - denn bei der Agrarpolitik halte die Politik bisher an den Agrarreform-Beschlüssen sowie der Farm-to-Fork-Strategie des Green Deals aus der Zeit vor dem Krieg fest. Rukwied appelliert daher, diese dringend anzupassen und die Ernährungssicherung viel stärker in den Blick zu nehmen.
Als konkretes Beispiel nannte er die geplanten 4 % nicht-produktive Ackerfläche ab 2023. „Russland setzt Lebensmittel als Waffe, als Schwert ein. Wir können es stumpf machen, indem wir nur 2 % freigeben und das in der gesamten EU. Jede Tonne Weizen macht den Aggressor schwächer. Ich erwarte, dass die Politik dieses Instrument nutzt“, rief Rukwied unter Applaus. Der DBV trage alle Sanktionen gegen Russland mit, auch die, die schmerzhaft für die Landwirtschaft seien.
Beim Umgang mit der Politik setzt der Bauernverband aber nicht auf Konfrontation, sondern weiter auf Kooperation. „Ohne Zugang zu den Verantwortlichen in der Politik können wir nichts bewegen“, stellte Rukwied klar. Voraussetzung sei gegenseitiger Respekt auf beiden Seiten. Der Bauernverband werde keine Abstriche an seinen inhaltlichen Positionen machen und diese weiter in aller Klarheit vertreten. Welche das sind, stellte Rukwied in einem engagierten Ritt durch die Agrarpolitik vor:
- Tierhaltung: Es gibt dringenden politischen Handlungsbedarf zur Sicherung der Tierhaltung. Die Vorschläge verpflichtenden Haltungskennzeichnung seien trotz teilweise gravierender Defizite ein erster Schritt. Zwingend dazu gehöre aber neben einer gesicherten Finanzierung eine Herkunftskennzeichnung. Hier müsse die Bundesregierung liefern.
- Düngeverordnung: Die von der EU-Kommission genehmigte Neuausweisung der roten Gebieten ist für den DBV unangemessen. Sie gewährleistet keine Verursachergerechtigkeit.
- Pflanzenschutz: Rukwied will mehr wissenschaftsbasierte Entscheidungen und einen intelligenten Einsatz neuer Techniken. Bauern wollten Pflanzenschutzmittel reduzieren, bräuchten dafür aber Möglichkeiten. Bei CRISPR/Cas gelte es, die „German Angst“ zu überwinden. Ohne Pflanzenschutz funktioniere Landwirtschaft nicht – egal ob konventionell oder öko.
- Mindestlohn: Komme auf mittlere Sicht kein europäischer Mindestlohn, bedeute dies das Ende des Sonderkulturanbaus in Deutschland.
- Lebensmitteleinzelhandel: Wenn der Handel Regionalität und Stärkung der heimischen Landwirtschaft ernst meint, muss er auch regional einkaufen, fordert Rukwied. Die Dumpingangebote für Erdbeeren und Spargel kritisiert er scharf und fordert Unterstützung von der Politik – zum Beispiel beim Einkauf für Schulen und Kantinen.
Özdemir will Tierhaltung in Deutschland
„Ich plädiere hier für die Zukunft der Nutztierhaltung in Deutschland. Und das tue ich genauso auf unserem Parteitag,“ sagte Bundesagrarminister Cem Özdemir von den Grünen. Nur mit Nutztieren sei eine Kreislaufwirtschaft möglich. Ausdrücklich betonte er die hohe Bedeutung von Rindern, die Gras in Milch und Fleisch umwandeln könnten.
Keinen Zweifel ließ Özdemir aber daran, dass es eine Anpassung der deutschen Nutztierhaltung geben müsse: weniger Tiere und eine andere Verteilung. Dafür sei staatliche Unterstützung nötig – sonst verschwinde die Tierhaltung aus Deutschland, das Fleisch käme dann aus dem Ausland, produziert unter vermutlich schlechteren Bedingungen.
Özdemirs vierstufiger Plan: Tierhaltungskennzeichnung, Finanzierungskonzept, bessere Regeln beim Tierschutz und Anpassungen beim Bau- sowie Genehmigungsrecht.
Mit der Tierhaltungskennzeichnung sei er gestartet, „weil auch Sie hier auf dem Bauerntag in der Vergangenheit viele leere politische Versprechen bekommen haben und wir jetzt endlich anfangen müssen.“ Er betonte die Schlüsselfunktion einer ausreichenden staatlichen Finanzierung. Sie dürfe sich nicht auf die Investitionsförderung beschränken, sondern müsse auch die laufenden Mehrkosten ausgleichen.
Denn klar sei, dass sich die Kosten nicht am Markt erlösen ließen. Weil die FDP hier mauert, gab er dem Koalitionspartner einen Seitenhieb mit. „Wer nein zur Finanzierung sagt, sagt nein zur Tierhaltung in Deutschland.“
Weil der Agrarminister in seiner Rede an vielen Stellen unkonkret blieb, bohrte DBV-Präsident Joachim Rukwied nach und konnte Özdemir zumindest noch zwei konkretere Aussagen entlocken:
- Kommt bis Jahresende kein europäisches Modell zur Herkunftskennzeichnung, will er 2023 eine nationale Lösung vorantreiben.
- Für die Agrarpolitik ab 2023 will er mit dem DBV noch über die umstrittenen 4 % Stilllegung sowie die Ökoregelungen (Eco Schemes) sprechen.
Bauernverband startet #Zukunftsbauer
Mit großer Zustimmung (eine Gegenstimme, eine Enthaltung) haben die Delegierten den Startschuss für den Prozess „Zukunftsbauern“. Dieser soll die Landwirtschaft wieder in die Mitte der Gesellschaft rücken, mehr Wertschätzung für die Bauernfamilien und mehr Wertschöpfung für die Betriebe bringen (Wochenblatt 23/2022).
„Dafür sind Veränderungen in den Köpfen, im Handeln und in der Kommunikation nötig. Landwirte müssen raus aus der Opferrolle“, sagte DBV-Vizepräsident Werner Schwarz, der die bundesweite Arbeitsgruppe leitet.
Diese stellte sich in einem neuen Diskussionsformat den Fragen der Delegierten. Die Arbeitsgruppe stand auf der Bühne. Jedes Mitglied, das eine Frage zum Zukunftsbauern hatte, kam auf die Bühne und stellte die Frage. Die Resonanz war groß, in zweieinhalb Stunden gab es etliche Wortmeldungen.
Tenor: Viel Zustimmung und Unterstützung, den Prozess voranzutreiben und das Verhältnis Landwirtschaft-Gesellschaft zu verbessern. Aber auch die Erkenntnis, dass „Zukunftsbauern“ weder ein betriebliches Geschäftsmodell ist noch aktuelle Herausforderungen löst. Großer Wunsch der Delegierten ist, dass es mehr greifbares und konkretes zum Zukunftsbauern gibt.
Das soll in den kommenden Monaten erfolgen. Schwarz appellierte zum Abschluss der Diskussion an die Delegierten, die Vorschläge in den Landes- und Kreisbauernverbänden weiter zu diskutieren. Dabei müsse es darum gehen, das Konzept mit Leben zu erfüllen und an die jeweiligen regionalen Bedingungen anzupassen.
Schulze Bockeloh und Dr. Hennies im DBV-Vorstand
Als das Wahlergebnis auf der Leinwand erschien, gab es Applaus und stehende Ovationen: Fast 90 % der Delegierten stimmten für eine Satzungsänderung, die den Weg zur ersten Frau im DBV-Vorstand ebnet.
Mit der geänderten Satzung kann der Vorstand für die jeweilige Wahlperiode ein weiteres voll stimm- und vertretungsberechtigtes Mitglied zu kooptieren. Das soll für die laufende Wahlperiode Susanne Schulze Bockeloh sein.
Bisher gibt es neben dem Präsidenten vier Vize-Präsidenten. Sie sind alle Vorsitzende eines Landesbauernverbandes. Weil sich aktuell nicht abzeichnet, dass zeitnah eine Frau an der Spitze eines Landesbauernverbandes steht und somit in den DBV-Vorstand aufrücken könnte, gilt die Satzungsänderung als „Überholspur für Frauen“.
Schulze Bockeloh ist Vorsitzende des WLV-Kreisverbandes Münster und seit kurzem auch Vorsitzende des neu gegründeten DBV-Fachausschusses „Landwirtschaftliche Unternehmerinnen“. In den kommenden Wochen muss der DBV-Verbandsrat noch zustimmen, was aber als Formsache gilt. Dann ist mit Schulze Bockeloh als Vizepräsidentin erstmals eine Frau im Vorstand des DBV vertreten.
DBV-Präsident Joachim Rukwied freut sich darauf: „Für unserem Anspruch, jünger und weiblicher zu werden, haben wir jetzt eine erste wichtige Zielmarke erreicht. Wir brauchen dringend die Expertise der Unternehmerinnen auch bei unserer politischen Arbeit.“
Werner Schwarz aus Schleswig-Holstein legte sein Amt als DBV-Vizepräsident nieder. Zum Nachfolger wählten die Delegierten Dr. Holger Hennies. Der Präsident des Landvolkverbandes Niedersachsens erhielt fast 90 % der Stimmen. Der 52jährige studierte Landwirt aus Schwüblingsen östlich von Hannover sieht den Bauernverband als „obersten Bauernschutzbeauftragten".
Mit stehenden Ovationen verabschiedete die Mitgliederversammlung den scheidenden Vizepräsidenten Schwarz. DBV-Präsident Joachim Rukwied dankte Schwarz für seinen langjährigen unermüdlichen und außerordentlichen Einsatz als erster Vizepräsident für die deutschen Bauernfamilien. Schwarz war seit 2012 DBV-Vizepräsident und ist seit 2008 Präsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein. Es ist Vorsitzender der DBV-Fachausschüsse für Öffentlichkeitsarbeit sowie Berufsbildung und Bildungspolitik.