Henner Freyer hatte nie viel Freude an der Schule. Er wollte lieber zu Hause auf der Farm sein und mit den Tieren arbeiten. Zu Hause, das heißt für ihn „Claratal“, eine 16 000 ha große Farm in Namibia, etwa eine Autostunde von der Hauptstadt Windhoek entfernt. „Warum ich jetzt in Deutschland bin? Das war ein Deal mit meinen Eltern“, erzählt der 17-Jährige. „Ich durfte mit der Mittleren Reife von der Schule abgehen, sollte dann aber die Farm verlassen, um Landwirtschaft zu lernen.“
Zur Auswahl standen das Nachbarland Südafrika oder Deutschland. „Meinen Eltern war die politische Lage in Südafrika zu unsicher. In Deutschland haben wir viele Bekannte und Verwandte“, sagt Henner. Denn seine Mutter zog erst 1999 aus Deutschland nach Namibia (ihre Geschichte lesen Sie hier). So kam es, dass Henner im August dieses Jahres seine Ausbildung auf dem Betrieb von Robert Kasper in Liederbach, einem Stadtteil von Alsfeld im mittelhessischen Vogelsbergkreis, begann.
Schule ist nicht gleich Schule
Sprachbarrieren gibt es keine, denn in Henners Familie sprechen alle deutsch miteinander. „Nur mit unseren Mitarbeitern auf der Farm sprechen wir in den unterschiedlichen Stammessprachen, in denen kann ich aber nur die nötigsten Arbeitsanweisungen sagen“, ergänzt er. In der deutschen Berufsschule läuft es für Henner besser als in der Internationalen Schule in Namibia. „Hier weiß ich, worauf ich hinarbeite“, sagt Henner. Denn er hat ein großes Ziel: gut ausgebildet zurück auf die Farm. Doch vorher will er noch einiges Lernen. Und davon gibt es genug auf dem rund 300 ha großen Betrieb mit Grünland und Ackerbau der Familie Kasper. Neben 50 Mastbullen kümmert sich Henner auch um die 70 Mutterkühe auf dem Hof.
Ideen für zu Hause
Doch ehe Henner sich den Aufgaben auf dem Hof widmen konnte, musste er einige Behördengänge absolvieren. „Das war ganz schön viel Bürokratie“, findet er. Denn neben dem Gang zum Einwohnermeldeamt musste er sich auch noch um seinen Traktorführerschein kümmern. „In Namibia braucht man so einen Führerschein nicht“, sagt er. Auf dem Traktor, beim Mähen im Sommer, kamen Henner Ideen für den Betrieb zu Hause: „Wir könnten unsere Flächen entlang der Straße auch heuen, dann wären wir unabhängiger von den Futterpreisen.“ Doch wenn der Regen ausbleibt, wächst nicht genug in den Kamps, um die Bosmara-Bullen satt zu bekommen. „Wir müssen dann Futter zukaufen oder Rinder verkaufen“, ergänzt Henner, „doch da die Trockenheit viele Farmer trifft, sind die Rinderpreise dann meist im Keller.“ Die Wildtiere auf der Farm verknappen das Futter zusätzlich. „Vier Springböcke fressen etwa so viel wie ein Rind“, rechnet der Junglandwirt vor.
Bei der Heuernte hat Henner noch weitere Ideen für zu Hause gesammelt: die Drohnen, die auf dem Betrieb in Hessen zur Kitzrettung zum Einsatz kommen. In Namibia muss die Familie regelmäßig die 800 Tiere von einem Kamp, so heißen die Weiden, ins nächste treiben. „Da kann es schon mal passieren, dass wir ein paar Tiere übersehen“, sagt Henner. Mit der Drohne könnte er das Areal künftig überfliegen, um das zu verhindern. Denn jedes Tier ist wertvoll.
Landwirt und Jäger
Um das Einkommen der Farm in Namibia auch in trockenen Zeiten zu stabilisieren, haben seine Eltern vor etwa fünf Jahren begonnen, Touristen aufzunehmen. Sie bauten einen kleinen Campingplatz mit zwei Hütten. Heute machen Menschen aus aller Welt hier Urlaub, um Natur und Weite zu genießen. „Auf unserer Farm gibt es Kudus, Zebras, Geparden und auch Leoparden“, erzählt Henner, „manchmal ziehen Giraffen durch.“
Henner könnte sich vorstellen, später vermehrt auf Jagdtourismus zu setzen. Dafür müsste er eine Ausbildung zum „Jagdführer“ machen. Doch erst mal will er nun seinen deutschen Jagdschein machen. In Namibia auf der Farm brauchte er keine Lizenz.
Heimweh stillen
Über die Weihnachtsfeiertage fliegt der Auszubildende nach Hause zu seinen Eltern und seinen drei Geschwistern. Drei Wochen darf er Urlaub nehmen, um mit ihnen feiern zu können. Auf seine Freunde freut er sich sehr. Denn so einfach ist es für ihn nicht, im Ort Anschluss zu finden.
Hin und wieder hat Henner ein bisschen Heimweh. „Manchmal fehlen mir die Weite, Ruhe und die Einsamkeit. Wenn ich hier loslaufe, stehe ich direkt im nächsten Ort“, beschreibt Henner. Und das, obwohl in Liederbach nur 500 Menschen leben, rund 70 Menschen je km². Rund 20-mal mehr als in Namibia. Dort sind es etwa 3 je km².
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