Wer auf die Farm Claratal gelangen will, der muss abseits der offiziellen Straße, einer „Schotterpad“ über einen sandigen und felsigen Weg, durch trockene Flussbetten folgen. Auf einer Anhöhe taucht das ockerfarbene Farmhaus, umgeben von einer hüfthohen Steinmauer, auf. Etwa das sah Annette, als sie vor gut 25 Jahren zu einem Praktikum auf die Farm nach Namibia kam. Sie hatte sich auf eine Zeitungsannonce gemeldet, in der eine Hilfe zum Einreiten von Jungpferden gesucht wurde. „Ich telefonierte 45 Minuten mit Petra, einer deutschen Freundin des Farmers und sie befand mich für „passend“ – drei Wochen später saß ich im Flugzeug“, erzählt die heute 52-Jährige. Ein dreimonatiges Praktikum in dem westafrikanischen Land, so war es geplant – doch es sollte anders kommen.
Pflegebett im Wohnzimmer
„Als ich bei der Ankunft aus dem Auto stieg, fühlte ich mich sofort wohl“, erinnert sich Annette an ihr erstes Zusammentreffen mit Heiko Freyer, dem Landwirt, der die Farm seinerzeit gemeinsam mit seinem Vater führte. Seine Mutter war zwei Jahre zuvor verstorben. „Bei meiner Ankunft stand noch ihr Pflegebett im Wohnzimmer“, erinnert sich Annette, „das war schon ein bisschen skurril.“ Zusammen mit Heiko räumte sie es weg. Sie genoss das Zusammenleben sowie das Arbeiten mit dem Vater-Sohn-Gespann. „Wir waren sofort ein gutes Team“, sagt Annette.Die junge Frau fühlte sich wie abgeschnitten von ihrem alten Leben, „im positiven Sinne“, ergänzt sie. Dabei wartete auf die ausgebildete Hauswirtschafterin und studierte Ökotrophologin zu Hause nicht nur die Jobsuche, sondern auch ihr Freund. Die Zeit verging wie im Flug und Annette verlängerte ihr Praktikum um einen weiteren Monat. Doch danach war die Rückreise unausweichlich – die Visabedingungen ließen nichts anderes zu.
Ein Brief und ein Ticket
„Wieder in Deutschland, habe ich nicht mehr Fuß gefasst“, erzählt Annette. Sie konnte sich weder auf die Jobsuche, noch auf das Leben mit ihrem Freund konzentrieren. Und dann kam ein Anruf von Heiko. Er bot ihr an, dass sie jederzeit zurückkommen und für ihn arbeiten könne. Damit war die Verwirrung komplett. „Ich wusste, dass ich es für meinen inneren Frieden wagen musste“, erinnert sich Annette. Kurzerhand kaufte sie ein Ticket, packte ihre Tasche, schrieb ihrem Freund einen Abschiedsbrief und stieg noch am gleichen Tag in den Flieger. Das Ziel: Zurück nach Namibia, nach Claratal.
Das Leben ruiniert?
Und so stand sie nun auf der 16 000 ha großen Farm, auf der Heiko mit seiner Familie in zweiter Generation Bonsmara Rinder und Trakehner Pferde züchtet. Doch anstelle der zu erwartenden Freude nagte der Zweifel in ihr: „Ich hatte das Gefühl, mein Leben nun wirklich ruiniert zu haben.“ Doch diese Sorgen verflogen bereits nach wenigen Wochen. Annette tauchte voll und ganz in das Farmleben ein. Sie ritt die jungen Pferde, versorgte die Tiere und half überall, wo sie gebraucht wurde. Heiko, sein Vater Ekki und sie wuchsen trotz Hitze weiter als Team zusammen.
Probezeit für die Liebe
Im September 1999, ein paar Monate nach ihrer zweiten Ankunft in Namibia, fuhren Heiko und Annette für ein Wochenende an die Atlantikküste nach Swakopmund. Und dort entschieden sie, dass sie es fortan gemeinsam als Paar versuchen wollten. Gleichzeitig vereinbarten sie eine zweijährige Probezeit. Beide hatten zu viele internationale Ehen und Beziehungen, wie die ihre, scheitern sehen: „Die harte Realität des Alltags hier in Afrika hat nichts mit dem romantischen Vorstellungen vieler Menschen zu tun, die zum ersten Mal nach Namibia kommen.“
Pass weg – zum Glück
Die Heirat mit einem Bürger Namibias erleichtert Einwanderern das Leben. Denn mit einem Touristenvisum darf man maximal 90 Tage im Land bleiben. Eine Arbeitserlaubnis ist schwer zu bekommen und teuer. Annette hatte Glück. Während ihrer Zeit der „Liebe auf Probe“ erhielt sie für anderthalb Jahre eine Arbeitserlaubnis. Doch die Verlängerung gelang nicht. „Die Dame auf dem Amt eröffnete mir ohne Umschweife, dass ich binnen 48 Stunden das Land verlassen müsste“, erzählt Annette, „für mich brach eine Welt zusammen.“ Sie musste also ausreisen. Wie der Zufall es wollte, plante ein Bekannter eine Reise nach Südafrika. Sie begleitete ihn und übertrat die Grenze nach Südafrika. Dort angekommen kam ihr glücklicherweise ihr Reisepass abhanden. Denn mit ihrem alten Pass hätte sie nicht mehr einreisen können. Sie wandte sich an die deutsche Botschaft und erhielt einen neuen Pass. „Da darin keine vorherigen Visa vermerkt waren, konnte ich an der Grenze als Tourist einreisen“, erzählt Annette, „heute, mit der gut vernetzten Technik, würde das vermutlich nicht mehr gelingen.“ Ein paar Monate später heirateten Annette und Heiko. Als Ehefrau eines Namibianers durfte sie fortan dauerhaft im Land leben und arbeiten.
Für den eigenen Frieden
Wenn Annette heute, rund 25 Jahre später, an ihren Aufbruch in diese fremde Welt denkt, dann umspielt ein Lächeln ihren Mund. „Heute würde ich mich nicht mehr per Brief von meinem Freund trennen. Damals konnte ich nicht anders“, sagt sie, „doch ich würde es wieder wagen, auszuwandern – sonst hätte ich nie meinen Frieden gefunden.“
Auswandern nach Namibia
Knapp 180 Deutsche verließen 2022 die Bundesrepublik und wanderten nach Namibia aus. Für viele ist das westafrikanische Land ein Ort der Sehnsucht. Dort leben schätzungsweise rund 20 000 deutschsprachige Menschen. Das liegt auch in der Geschichte des Landes begründet: Als frühere deutsche Kolonie „Südwestafrika“ erlangte es zwar durch die blutige Niederschlagung des sogenannten Hereroaufstands (1904 bis 1908) traurige Berühmtheit. Nach dem Ende der Kolonialzeit blieben einige deutschstämmige Siedler im Land und bauten sich ihr Leben auf.Wer heute nach Namibia auswandern oder auch nur reisen will, benötigt oftmals ein Visum. Touristen dürfen bis zu 90 Tage lang ohne Visum im Land bleiben. Für alle anderen Einreisegründe, wie geschäftlich, unbezahlte Tätigkeiten wie Praktika oder Freiwilligendienste – ist ein Visum erforderlich, das vorab beantragt werden muss. Wer studieren oder arbeiten will braucht obendrein eine Arbeitserlaubnis, die für einen maximalen Zeitraum von bis zu drei Jahren beantragt werden kann – dafür sind unter anderem Gesundheitszeugnisse erforderlich.
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