Erst bei Schwein und Geflügel, jetzt bei Rind: Gefühlt prasselt ständig ein neues Tierwohlprogramm auf Rinderhalter ein – mit immer neuen und höheren Anforderungen, aber ohne 1 Cent mehr Milchgeld.
Etabliert sind bisher die Qualitätssicherungssysteme QS sowie QM Milch. Doch schon bald soll es ein neues Modul QM Milch Tierwohl geben. Und die Initiative Tierwohl (ITW) soll auch für Rindfleisch gelten. Zudem arbeitet der Staat mit der Borchert-Kommission weiter am Umbau der Tierhaltung sowie einem staatlichen Tierwohlkennzeichen.
Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist mit seinen Haltungsformstufen bereits vorgeprescht und will diese weiter ausbauen. Die Deutsche Landwirtschafts Gesellschaft (DLG) hat auch noch ein eigenes Label entworfen und will es ausrollen. Und zu allem Überfluss gibt es noch unzählige Label verschiedener (Regional-)Programme oder Organisationen. Kurzum: Es überschlägt sich gerade nur so mit Tierwohlprogrammen.
Und das Fazit unserer Analyse zeigt: Viele Details der Initiativen sind noch offen. Aber es zeichnet sich ab, dass die Kriterien der verschiedenen Label nur zum Teil übereinanderpassen. Eine Verzahnung ist nicht immer möglich, teilweise vielleicht auch nicht gewünscht.
Völlig offen ist fast überall, ob und vor allem wie auch mehr Geld für mehr Tierwohl bei den Landwirten auf den Höfen ankommt.
Label: Wirtschaft, Staat und Co.
Die Tierwohllabel lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Wirtschaftsgetragene, staatliche und weitere. Zu den weiteren Tierwohllabeln zählen zum Beispiel Regionalprogramme wie „BauernLiebe“ oder das Label „Für Mehr Tierschutz“ des Deutsches Tierschutzbundes. Diese sind eher in kleinen Segmenten unterwegs. Deshalb haben wir sie in dieser Analyse außen vorgelassen.
Die wirtschaftsgetragenen Label haben dagegen Auswirkungen auf fast alle Landwirte. Zu dieser Kategorie zählen (Übersicht):
QM Milch: Der QM Milch-Standard ist ein Label zur Sicherung der Produktqualität. Es wurde nach dem BSE-Skandal 2000 gegründet. Heute produzieren rund 90 % der deutschen Milcherzeuger nach diesen Kriterien, sagt QM Milch-Geschäftsführer Ludwig Börger. Das Label ist ausschließlich für Geschäftspartner sichtbar (B 2 B, business to business). Verbraucher sehen es auf den Milchverpackungen dagegen nicht, es ist somit kein B 2 C-Label (business to costumer). Das soll sich aber ändern.
QM Milch Tierwohl: Tierwohl und Nachhaltigkeit rücken immer mehr in den Fokus der Verbraucher. Deshalb ist das Programm QM-Tierwohl mit höheren Ansprüchen an Tierwohl und Nachhaltigkeit in Arbeit. Dieser Mehrwert soll auch auf den Verpackungen für Verbraucher sichtbar sein. Ludwig Börger plädiert dafür, dass die Branche nun selbst proaktiv eigene Tierwohlkriterien formuliert.
ITW Rindfleisch: Seit 2015 engagieren sich Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und Lebensmittelhandel für mehr Tierwohl und eine entsprechende Entlohnung in der Schweine- sowie Geflügelhaltung. Das soll nun auch in der Rinderhaltung kommen. Die vorläufigen Kriterien stehen fest. Finanzierung und Organisation sind in Arbeit.
Haltungsform.de: Das Label vom LEH funktioniert anders: Es stuft bestehende Label sowie Programme in verschiedene Haltungsstufen ein. Für den Endkunden sichtbar sind die Haltungsstufen 1 bis 4 auf den Produkten.
DLG-Programm Milchviehhaltung: Im vergangenen Jahr hat die DLG ein eigenes Label für die Milchviehhaltung geschaffen: Sie liefert dem Lebensmittelhandel ein fachliches Kriterienset. Allerdings scheint sich die DLG nicht mit komplexen Themen wie Anbindehaltung zu beschäftigen. Erste Auditierungen sollen bereits laufen.
Daneben arbeitet auch der Staat an einem Tierwohlkennzeichen.
Borchert-Kommission: Die Borchert-Kommission plant den Umbau der Tierhaltung. In einer Arbeitsgruppe werden Vorschläge entwickelt. Diese diskutiert dann das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung. Die Kommission erarbeitet ein staatliches Tierwohlkennzeichen mit drei Haltungsstufen (Übersicht). Bisher drehen sich die Diskussionen um Milchkühe, Kriterien für Mastrinder oder Kälber wurden noch nicht definiert. Unklar ist, wie weit das Tierwohlkennzeichen vor der neuen Wahlperiode vorankommt.
Sind die Label aufeinander abgestimmt?
Ein Blick auf die Kriterien der verschiedenen Programme zeigt: Vieles dreht sich um Platzbedarf, Bewegung, Außenklima sowie Fütterung. Da kommen zwangsläufig die Fragen auf: Passen die Label aufeinander? Oder wird jedes Label einzeln auditiert und ausgewiesen? Ludwig Börger hat dazu eine klare Meinung: „Bei ITW und QM-Milch Tierwohl wird uns eine Verzahnung gelingen. Das Konzept soll im Sommer stehen.“ Verzahnung heißt: Gegenseitige Anerkennung und keine Doppelaudits. Zudem sollen ITW Rindfleisch und QM-Tierwohl künftig in Haltungsstufe 2 bei haltungsform.de anzuordnen sein.
Fraglich ist allerdings, ob diese Verzahnung auch mit dem staatlichen Tierwohlkennzeichen (Borchert-Kommission) gelingt. Ziel sei, QM-Tierwohl und ITW in Stufe 1 des staatlichen Labels zu etablieren. Anna Althoff, Milchreferentin beim WLV, hat da aber ihre Zweifel: „Momentan passt das nicht. Das Experten-Gremium des BMEL definiert Tierwohl mit dem Zollstock, während wir versuchen, einen praktikablen Weg zu finden.“
Und völlig offen ist für Branchenvertreter, wie das neue „DLG-Programm Milchviehhaltung“ in diese Gemengelage passt. Einzelne vermuten sogar, dass wirtschaftliche Interessen die DLG treiben. „Weil die großen Agrarmessen Corona-bedingt ausfallen, wittert die DLG mit den Audits wohl ein neues Geschäftsfeld“, sagt WLV-Vizepräsident Wilhelm Brüggemeier.
Mehr Geld für die Bauern?
Die für Landwirte entscheidende Frage ist: Bekommen sie über die Programme langfristig höhere Erlöse, mit denen sie mindestens die höheren Kosten decken und im Idealfall etwas Gewinn machen? Die Antwort fällt unterschiedlich aus.
Bei QM Milch gibt es keinen Mehrerlös. Das Label gilt in der Branche vielmehr als „Lizenz zum Melken“. Und aktuell ist weder bei haltungsform.de vom Handel noch beim DLG-Programm ein direkter Mehrerlös für die Landwirte erkennbar. Bei QM-Tierwohl, ITW und Borchert soll für Tierwohl Geld fließen.
Allerdings steht noch bei keinem Label ein Finanzierungsplan. „Für ITW Rindfleisch und QM-Tierwohl wird von neutralen Dritten ausgerechnet, welche Mehrkosten des Landwirts entlohnt werden müssen“, erklärt Börger, der zuversichtlich ist, dass das Geld auch kommt. Denn der Handel sei durchaus bereit, für Tierwohl auch mehr zu zahlen. Um die Höhe lasse sich aber streiten.
Der Borchert-Plan sieht Förderungen von 80 bis 90 % der Tierwohlmaßnahmen vor, allerdings nur für fünf bis sieben Jahre. Jedoch liegt die Finanzierung für einen neuen Stall bei 20 bis 25 Jahren. „In der Diskussion mit Landwirten ist gerade der Punkt Investitionen ein Problem beim Borchert-Plan. Beispielhaft reichen 2 Cent/kg mehr Milchgeld bei vielen Betrieben lange nicht aus, um den Stall für Stufe 1 umzubauen“, erklärt Anna Althoff.
Wann sind die Label sichtbar?
Bisher sichtbar für Verbraucher sind die Haltungsstufen des Handels auf Fleischprodukten. Bereits im kommenden Jahr könnte die Auslobung auf Milchprodukten folgen. Denn gerade bei Milch gibt es viele Handelsmarken, auf denen der LEH relativ leicht „sein Label“ ausflaggen kann.
QM Milch und QM-Tierwohl sollen zeitnah im Jahr 2022 in den Regalen des Handels sichtbar sein, prognostiziert Ludwig Börger. Gleiches gelte für ITW Rindfleisch. Das werde wahrscheinlich parallel laufen.
Offen ist auch, ob der LEH überhaupt auf das staatliche Tierwohlkennzeichen aufspringen will. Ohne Unterstützung des Handels dürfte es schwer sein, eine relevante Marktdurchdringung zu erreichen. Beim DLG-Siegel rechnen Branchenvertreter nicht damit, dass es noch in diesem Jahr erscheint.
LeseraufrufFühlen Sie sich überrannt von der Labelflut, liebe Leserinnen und Leser? Und was halten Sie von den einzelnen Labels?
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