Erfahrungsbericht

Älpler: Ein idyllischer Knochenjob

Zwischen Kühen und Ziegen in einer atemberaubenden Naturkulisse: Wochenblatt-Redakteurin Alina Schmidtmann tauchte für kurze Zeit ins Älplerleben der Familie Pfyl auf der Alp Tröligen (Schweiz) ein.

Ein Wochenende auf einer Alp – das wollte ich unbedingt erleben in meinem vierwöchigen Schweiz-Aufenthalt beim Landfreund. Meine Vorstellung: Ein idyllisches Leben zwischen Braun- und Fleckviehkühen, fern von jedem Alltagsstress. Die Tatsache, dass fast alles in Handarbeit passiert, hatte ich ehrlicherweise etwas ausgeblendet. Älpler Oskar Pfyl von der Alp Tröligen nahm mich für ein Wochenende auf. Oskar lebt dort den Sommer über gemeinsam mit seiner Frau Marianne, seinen vier Kindern und seinen Eltern, sowie zwei Lehrlingen, einer Angestellten und einer deutschen Helferin. Direkt am Wohnhaus ist seine kleine Käserei, gegenüber vom Stall.

Melken auf der Weide

Es ist Samstagmorgen, 4.45 Uhr, mein Wecker klingelt. Ich springe ins Bad, nur schnell die Zähne putzen, dann rein in die Klamotten und runter auf den Hof. Marina Bertolo, Mitarbeiterin von Oskar Pfyl, hat bereits drei Melkgeschirre und drei große Milchkannen ins Auto gepackt. Pünktlich um 5 Uhr fahren wir zusammen mit Ronya, die im zweiten Lehrjahr ist, zum Melken. Normalerweise stehen die 22 zu melkenden Braunviehkühe rund um die Alp auf den Weiden und kommen zum Melken in den Stall. Aktuell ist der Weg dafür zu weit.

Die Sonne geht über den Bergspitzen auf. (Bildquelle: Schmidtmann)

Wir fahren in rasanten Tempo zehn Minuten über holprige Straßen bis zur Wiese. Es ist noch halb dunkel. Die Kühe sind nur schemenhaft zu erahnen, aber ihre Glocken sind gut zu hören. Die braunen Tiere mit den langen Hörnern warten bereits. Wir holen sie in den Melkstand: eine Betonplatte mit Anbindeketten. Immer sechs Kühe haben gleichzeitig Platz.

Die Braunviehkühe melken die Älpler mit einer Rohrmelkanlage auf der Weide. (Bildquelle: Schmidtmann)

Zu dritt melken wir die Kühe vor und machen die Striche mit Holzwolle sauber. „Wir legen ganz viel Wert auf perfekt saubere Striche. Das ist wichtig für guten Käse“, erklärt mir die 25-jährige Marina. Dann werden die Striche massiert, erst dann das Melkgeschirr angesetzt. Die Kühe stehen still, das Melken ist entspannt. Die Milchleistung der Kühe liegt bei rund 6000 kg im Jahr. Langsam geht die Sonne über den Bergspitzen auf – was für ein schöner Tagesstart.

Etwa um 6.30 Uhr haben wir alle Kühe gemolken und machen uns auf den Rückweg. Jetzt heißt es: Schnell die Milch in den Tank füllen, die Melkgeschirre und alle Eimer reinigen. Bis 8 Uhr bringen acht andere Älpler ihre Milch zu Oskar. Er zahlt den Bauern pro kg Milch umgerechnet 96 Cent.

Käse aus 2000 kg Milch/Tag

Oskar ist bereits seit 4.30 Uhr am Käsen: Er dreht die kleinen und großen Käse in der Presse um und bringt sie in die Schatzkammer, den Käsekeller. Nun füllt er die Milch seiner Kühe in den Tank. Er nimmt jeden Tag eine Probe. Bei Käse muss er genau wissen, was für Inhaltsstoffe die Milch hat und welche Zellzahlen.

Zum Käsen nutzt Oscar nur Alpmilch. (Bildquelle: Schmidtmann)

Der Älpler verarbeitet täglich 2000 kg Milch zu Käse und Joghurt. Er erklärt: „Ich brauche 10 kg Milch für 1 kg Käse.“ Oscar verwertet nur auf der Alp erzeugte Milch.

Herzliches Miteinander

Um 8 Uhr, heißt es für uns frühstücken. Marianne und Oskars Mutter haben bereits den Tisch gedeckt, die ganze Familie sitzt beisammen. Es gibt frischen Kaffee, warme Milch, duftendes Brot und viel Käse. Alle genießen sichtlich die erste Mahlzeit. Oskar verteilt derweilen die Aufgaben für den Tag, zwischendurch ist er immer wieder für einen Scherz zu haben.

Sein Stammplatz ist auf der Eckbank vor dem Kopf des Tisches. Dort sitzt er mit wachen, blauen Augen und seinen kurzen blonden Haarstoppeln und sieht herausfordernd in die Runde. Seine Haut ist braun gebrannt von der Sonne, die Muskeln unter seinem weißen T-Shirt lassen die Härte seiner täglichen Arbeit erahnen. Er scheint nur so vor Kraft zu strotzen und versprüht sie regelrecht auf alle Mitwirkenden. Der Tag wird voll, trotz Wochenende.

Für mich heißt es nach dem Frühstück: In die weißen Stiefel, Schürze anziehen, Hände und Arme gründlich waschen und desinfizieren. Dann darf ich Oskar beim Käsen über die Schulter sehen.

Käsen – ein echtes Handwerk

Genau 1726 l Milch werden im großen Kessel im Zentrum der Käserei gerührt. Oskar schaut immer wieder in den Behälter. „Der Käse muss sein Aroma selbst entwickeln. Dafür braucht er Zeit.“ Er gibt die selbst gezüchtete Milchsäurebakterien hinzu. Alpkäse ist nicht gleich Alpkäse. Die zugesetzten Bakterienkulturen variieren von Käser zu Käser. Und sicher spiegelt der Käse vielleicht auch ein Stück weit den Charakter des Machers und der Alp wider.

Rund 2000 kg Alpmilch verarbeitet Oskar Pfyl gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Marina Bertolo täglich zu Käse. (Bildquelle: Schmidtmann)

Die großen Flügel rühren die gelbliche Masse. „Die Milch muss in Bewegung bleiben, sonst setzt sich die Molke ab“, erklärt der erfahrene Älpler. Zum Vorkäsen gehört rühren und zerschneiden des Bruchs. Das dauert etwa 30 Minuten bei einer Temperatur von 32 °C. Parallel kümmert sich Marina um die Milch im kleinen Kessel. Hier passen 220 l Milch rein und es entstehen kleine Käse. Wenn die Käsekörner trocken genug sind, füllen Oskar und Marina den Käse ab. Sie ziehen ein Tuch durch die gelbe, krümelige Masse. Das ist ein echter Kraftakt, beide sind hoch konzentriert und jeder Handgriff ist perfekt aufeinander abgestimmt.

Oscar Pfyl liebt sein Handwerk. Seine Käse sind in der Schweiz bekannt. (Bildquelle: Schmidtmann)

Käse vermarkten

Rund 200 kg Käse produziert Oskar täglich. Seine Frau macht zusätzlich noch verschiedene Joghurtsorten. Zweimal pro Woche bringt Marianne Pfyl die selbst gemachten Produkte, wie Butter, Rahm, Joghurts und etwa acht verschiedene Käsesorten, zu Hofläden, aber auch zu Supermärkten. Dann gibt es noch die Wanderer, die täglich bei der Alp vorbeikommen und auf der Terrasse Milchshakes und reichlich gedeckte Käse- und Wurstplatten genießen. Um die Verpflegung kümmert sich Marianne, aber auch die beiden Töchter, Franziska und Sonja, gehen ihr zur Hand. Beide machen eine Ausbildung außerhalb der Landwirtschaft. Am Wochenende packen sie auf der Alp mit an.

Die Pfauenziegen verbringen häufig den Tag auf dem Hof. (Bildquelle: Schmidtmann)

Die Kinder der Wanderer freuen sich über die Tiere. Ein echter Magnet: Die 15 Pfauenziegen. Sie verbringen den Tag meistens auf dem Hof und freuen sich über jede Streicheleinheit. Sie werden auch zweimal am Tag gemolken. Allerdings führen die kleinen Wiederkäuer ein echtes Eigenleben: Sie kommen und gehen, wie es ihnen passt. Am Wochenende erreichen sie den Hof gegen 10 Uhr. Dabei sind sie nicht zu überhören, wenn sie den Berg herunterspringen, mit ihren kleinen Glöckchen um den Hals und lautstarkem Meckern. Bei dem Anblick geht mir das Herz auf.

Rund 80 Rinder sind auf der Alp zu Hause. (Bildquelle: Schmidtmann)

Rund 80 Rinder stehen auf den umliegenden Wiesen, darunter Kälber, Trockensteher und Färsen. Oscar nimmt auch Tiere von anderen Landwirten in seine Obhut. 43 Rinder gehören Familie Pfyl selber. Dann kommen noch Kitze und die Schweine dazu. Das Land auf der Alp gehört der Oberallmeindkorporation Schwyz. Die Gebäude gehören Pfyls.

Highlight Wildheuen

Mein persönliches Highlight gab es Sonntagnachmittag. Beim Mittagessen verkündete Oskar, dass er, Marianne, Tochter Sonja, Sohn Dominik, Auszubildende Ronya und ich wildheuen gehen.

Wir packen Rechen und Seile ins Auto und fahren zum Berg hinter dem Haus. Dieser ist nicht mit Maschinen befahrbar und auch für Rinder zu steil. Zwei Tage zuvor haben Oskar, der 15-jährige Dominik und der Auszubildende dort von Hand das Gras gesenst. Am nächsten Tag haben Marina und Dominik das Heu von Hand gewendet. Heute wollen wir das Heu zum Hof holen.

Wir laufen mit den Rechen auf der Schulter den Berg hinauf. Es gibt keinen Weg und es ist alles voller Geröll. Ich halte mich in den Spuren der anderen. Senkrecht hoch gehen, ist keine gute Idee. Wir gehen in Schlangenlinien. Etwa auf halber Höhe gibt es eine Seilbahn. An diesem Drahtseil mit Haken werden wir später die Heubündel herunterschicken.

60 kg Heu auf dem Rücken

Eine atemberaubende Aussicht - auf den rund 1900 m Höhe. (Bildquelle: Schmidtmann)

„Immer den ganzen Fuß aufsetzen, nie nur die Seite vom Fuß“, rät mir Oskar. Seine Frau fügt hinzu: „Du darfst nicht auf das gemähte Heu treten, denn das ist glatt. Kommt man ein Mal ins Rutschen, hält man nicht wieder an. Das kann böse enden.“ Oben angekommen, auf etwa 1900 m Höhe, gibt es die Belohnung: Eine atemberaubende Aussicht. „Das musst du ganz tief einatmen und in deinem Herzen bewahren“, sagt Oskar. Ich gebe ihm uneingeschränkt Recht. Schon für diesen Blick in die Weite der Berge hat sich der steile Aufstieg gelohnt.

Beim Wildheuen am fast senkrechten Abhang: Die ganze Familie Pfyl packt mit an, von vorne: Oskar, Sonja, Dominik und Marianne. (Bildquelle: Schmidtmann)

Dann geht es los: Wir harken das Heu zusammen. Von oben runter zu Haufen. Wenn man auf einen sicheren Tritt achtet, funktioniert es ganz gut. Oskar steckt mitunter eine kleine Holzspitze in den Boden, daran sind zwei Seile befestigt. Diese legt er lang aus. Dann fächert er das Heu in Lagen und packt sie nach und nach auf das Seil. „Diese Technik ist wichtig, damit nicht gleich wieder alles auseinanderfällt“, erklärt er.

Oskar und Sohn Dominik binden das Heu zu einem Bündel. Es muss stabil sein, damit es beim Transport nicht auseinander fällt. (Bildquelle: Schmidtmann)

Dann bindet er das Heu mit seinem Sohn in Bündel. Dominik steht auf dem Heu, presst es und Oskar zieht die Stricke zusammen. Es entsteht ein Heuballen, ähnlich einem kleinen Quaderballen. Der Ballen wiegt etwa 60 kg. Nun muss dieser bis zu einer kleinen Fläche, wo er nicht wegrutscht. Oskar kniet sich halb unter das große Bündel und stemmt es auf seinen Rücken. Mein Atem stockt. Er geht diesen fast senkrechten Hang mit dem Ballen auf dem Rücken hinab. Niemand von uns macht ihm das nach.

Oskar trägt den 60 kg schweren Heuballen den senkrechten Hang herab. Das ist gefährlich: Jeder Schritt muss sitzen. (Bildquelle: Schmidtmann)

Heu mit Seilbahn runter

Insgesamt entstehen fünf Ballen. Sie müssen zur Seilbahn. Jeder soll einen Ballen hinter sich herziehen. „Achtet darauf, dass ihr gerade hinunter geht, sonst überholt euch das Heu. Dann wirds gefährlich“, mahnt uns Oskar. Ich muss mir eingestehen, dass ich Respekt habe. Ganz ehrlich: Es klappt besser als gedacht, trotzdem war ich froh als ich es geschafft hatte. Dann rechen wir unsere Spur. „Davon kann noch eine Ziege satt werden“, sagt Oskar.

Auf halber Berghöhe hängt der Älpler das Heubündel an die Seilbahn. (Bildquelle: Schmidtmann)

Auf halber Höhe angekommen, befestigen Oskar und Dominik die Ballen an der Seilbahn. Dann ein scharfer Pfiff. Oskar warnt die Leute vom Nachbarhof. Bei ihnen kommen die Ballen unten an. Ein Ballen nach dem anderen saust den Abhang hinunter. Auch wir machen uns nach einem kurzen Picknick auf den Rückweg. Zurück am Hof, geht es für Dominik direkt weiter, er fährt mit Marina melken. Für die anderen gibt es Kaffee, bevor wir das Heu vom Wagen auf dem Stallboden abladen.

Rinderredakteurin Alina (vorne) hat das Wochenende auf der Alp Tröligen genossen. (Bildquelle: Schmidtmann)

Der Kaffee schmeckte mir selten so gut. Innerhalb von zwei Tagen ist mir klar geworden, was die Menschen hier leisten. Und ich habe allergrößten Respekt. Sie alle, von jung bis alt, arbeiten mit Leidenschaft, in enger Verbundenheit mit Tieren und Natur. Ich bin dankbar für diese Erfahrung. Auch, wenn ich nach diesem Wochenende Blasen an Händen und Füssen hatte, ist mein Kopf so frei wie lange nicht mehr. Die Alp ist ein friedlicher Ort. Aber sicher ist auch: Älpler oder Älplerin sein – Das ist echte Knochenarbeit.

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