Für die Schlacht- und Verarbeitungsbranche sind die Zeiten des Wachstums endgültig vorbei. Volle Haken bedeuten nicht mehr Kostenführerschaft, sondern Verluste. Westfleisch ist das einzige deutsche Unternehmen, das die Zahlen offenlegt. Für die Genossenschaft war das Jahr 2021 wirtschaftlich extrem herausfordernd. Wo die Knackpunkte sind und wie das Unternehmen im schrumpfenden Markt bestehen will, diskutierten wir mit der Führungsriege.
Schlachtung: Fuß auf der Bremse
Fleisch und Wurst lässt der Verbraucher immer häufiger links liegen. „Im ersten Quartal 2022 ist der Konsum an Rotfleisch um 15 bis 20 % im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Das hat sich im April weiter fortgesetzt“, weiß Einkaufsleiter Qualbrink nicht nur aus eigenen Zahlen. Das Problem ist aktuell der hochgeschnellte Ladenpreis. „Wenn ein Steak 10 € kostet, halten sich auch grillfreudige Männer zurück“, beschreibt Vorstandsvorsitzender Niederstucke die Situation. Wobei die Grillsaison total atypisch verläuft. Die Nachfrage ist so schwach, dass Westfalenland zeitweise die Grillfackelproduktion eingestellt hat.
Um den Schweinestau zu beheben, hat die Genossenschaft im vergangenen Jahr trotz sinkendem Absatz durchgeschlachtet. „Das können wir uns in diesem Jahr nicht mehr leisten“, argumentiert Vorstandsmitglied Carsten Schruck mit Blick auf die Verluste. Jetzt gilt die Devise: Konzentration auf die Vertragsbetriebe.
Bauern sind treu
Die Mitgliederzahl ist um knapp 200 auf 4925 gewachsen. Trotz schrumpfendem Markt blieb die Zahl der Vertragsbetriebe fast konstant:
- 2440 Schweinemäster liefern 6,2 Mio. Schlachtschweine.
- 85 BestFerkel-Betriebe erzeugen 1,7 Mio. Ferkel.
- 635 Rinderhalter mit 74 000 Bullen, Kühen und Färsen.
- 40 Kälbermäster produzieren 36 000 Kälber.
In diesem Jahr zahlt die Westfleisch SCE weder Sonderbonus noch Dividende auf die Geschäftsanteile. Anders bei der Westfleisch Finanz AG, die das Jahr mit einem Gewinn von 5,8 Mio. € abgeschlossen hat. Sie zahlt für Stamm- und Vorzugsaktien 4,2 % Dividende.
Ein Jahr mit Tiefschlägen
„Das schwächste Jahr in der gesamten Schlacht- und Verarbeitungsbranche“, so stuft Vorstandsvorsitzender Dirk Niederstucke das Jahr 2021 ein. Für die Westfleisch endete es mit einem herben Verlust im Kerngeschäft der Schlachtung. Im Gegensatz dazu lieferten die Weiterverarbeitung von Wurst, Convenience und SB-Fleisch positive Beiträge zu Ergebnis und Absatz – sogar oberhalb des Vor-Corona-Niveaus. Auch die Westfleisch Finanz AG, die die Schlachtbetriebe finanziert und an die Genossenschaft verpachtet, verbesserte das Konzernergebnis. Unterm Strich verbuchte der Konzern einen Verlust von knapp 12 Mio. €.
Drei Dinge machten Westfleisch vor allem zu schaffen:
- Der fehlende Asienexport durch den Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest im September 2020,
- der sinkende Fleischkonsum der Deutschen,
- der Corona-bedingte Ausfall von Schlachtpersonal. Allein im Januar 2021 fiel quarantänebedingt rund ein Viertel der Kern-Produktionsmannschaft aus.
Alles zusammen sorgte für einen massiven Schweinestau. Der trieb die Frosterbestände hoch und den Schweinepreis in den Keller – zum Leidwesen von Landwirten und Schlachtern.
Tierwohl: Ticket für die Zukunft?
Westfleisch setzt stark auf die Tierwohlkarte. Fast 70 % der Vertragsschweine laufen unter dem Label der Initiative Tierwohl – deutlich mehr als im Branchenschnitt.
Die Rolle als Qualitätsanbieter will Westfleisch weiter ausbauen. Denn international verliert die deutsche Schweineproduktion an Wettbewerbsfähigkeit. Für Einkaufsleiter Heribert Qualbrink ist der Dreiklang aus regionaler Produktion,Vertragsbetrieben und Tierwohl das Ticket für die Zukunft: „Damit punkten wir beim Lebensmitteleinzelhandel.“ Bei allen namhaften Lebensmittelhändlern ist Westfleisch gut im Geschäft. Bei Rasting, dem Fleischwerk der Edeka Rhein-Ruhr, sogar Exklusivlieferant für Teilsortimente.
Mit Rasting hat das Unternehmen auch das Bauernliebe-Programm gestartet. Dort werden 2000 Schweine und 200 Jungbullen pro Woche geschlachtet. Mit Haltungsform 3 konnten kaufkräftige Käuferschichten erschlossen werden. „Aber dieser Markt ist und bleibt eine Nische“, weiß auch Qualbrink.
Wie viele Schweine bleiben?
Das Trommelfeuer aus schlechter öffentlicher Meinung, politischem Druck, miesem Kontostand und mangelnder Perspektive macht die Schweinehalter mürbe. „Wir erwarten einen stark beschleunigten Strukturwandel. Die Schlachtbranche muss Kapazitäten abbauen“, blickt Carsten Schruck der Realität ins Auge. Und stellt klar: „Aktuell gibt es keinen Plan, einen Schlachthof zu schließen.“ Stattdessen will Westfleisch weiter mit Qualität punkten. Marktanteile sollen nur ausgebaut werden, wenn sich dadurch das Ergebnis verbessert.
Sorgenkind bleiben die Ferkelerzeuger. Wenn die aufhören, fehlt im nächsten Jahr der Rohstoff. Deshalb stellt Westfleisch Kontakte zu Mästern mit leeren Ställen her. Selbst kann der Konzern auf ein „Minivolumen“ für Notfälle zugreifen.
Die Kosten explodieren
Energie, Transport, Verpackung, Personal – in fast allen Bereichen explodieren die Kosten. Strom, Gas und Diesel stellen Westfleisch seit März vor neue Herausforderungen. Ein großer Posten waren und sind Corona-bedingte Sonderkosten – von Schutzausrüstung über mehr Abstand am Band bis hin zum eigenen Impfzentrum.
Den größten Batzen aber machen die Personalkosten aus. Seit Januar 2021 sind 3000 ehemalige Werkvertragsarbeiter direkt beim Unternehmen angestellt – mit Zusatzkosten von 20 Mio. € pro Jahr, Tendenz steigend. Denn die Lohnspirale dreht sich. Ab Oktober 2022 steigt der Mindestlohn auf 12 € pro Stunde. Entsprechend muss Westfleisch bei höheren Lohngruppen nachbessern, um gutes Personal zu halten. „Das wird uns mehr als 500 000 € pro Monat kosten“ prognostiziert Carsten Schruck.
Schon seit einem Jahr haben die Verantwortlichen ein Effizienzprogramm mit 250 Einzelmaßnahmen gestartet. Um weitere Potenziale zu heben, hat der Vorstand sich das Beratungsunternehmen Roland Berger an die Seite geholt. „Alles kommt auf den Prüfstand“, kündigte Carsten Schruck an. „Das wird sich in der GuV-Rechnung niederschlagen.“
Kälber-Chance
600 000 Kälber aus dem Nordwesten gehen jedes Jahr in die Niederlande, überwiegend Holstein-Friesian. Gleichzeitig kommen jährlich bis zu 400 000 Kälber, überwiegend Fleckvieh, aus dem Süden nach Nordwestdeutschland. Diese Transporte stehen schon länger in der Kritik. Ab 2023 dürfen Kälber erst ab dem 28. Lebenstag überbetrieblich transportiert werden. Das erhöht die Kosten für Milchviehhalter, Viehhändler und Mäster.
Genau dort sieht Westfleisch Chancen: Das Unternehmen setzt seit Jahren auf Kreuzungstiere aus Schwarzbunten und Fleischrassen. Das schafft kurze Transportwege, Wertschöpfung in der Region und Regionalität. „Das wollen wir ausbauen“, sagt Qualbrink. Deshalb legt Westfleisch mit dem „PartnerVertrag Plus“ mehr Fokus auf wirtschaftliche Bullen und verzichtet auf Abzüge für Subklassen.
Fix und fertig
Gute Aussichten bescheinigt Westfleisch deutschem Rindfleisch aus Nordwestdeutschland. „Dann müssen wir Regionalität und kurze Wege aber auch nach vorne stellen“, sagt Qualbrink. Denn klar sei: Tierwohl allein reicht nicht. Schon heute liege Rindfleisch der Haltungsstufe 3 (Außenklima) im Lebensmitteleinzelhandel – leider kommt inzwischen ein Drittel aus dem Ausland.
Die Herausforderung: Alle Teilstücke an den Verbraucher bekommen. Bei Steaks und Hack läuft das gut. Die neue Frikadellenlinie in Oer-Erkenschwick konnte innerhalb kurzer Zeit zweischichtig ausgelastet werden. Auch Burger sind voll im Trend.
Schwieriger sind Klassiker wie Rouladen und Braten, die nur wenige zubereiten können. Da Convenience boomt, bietet Westfleisch jetzt auch Rouladen und Braten als Fertiggerichte an, um den Absatz ankurbeln.
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