Pressespiegel

EU sagt Ja zum Naturschutz

Mit knapper Mehrheit hat das EU-Parlament für das neue Naturschutzgesetz gestimmt. Gegner fürchten Nachteile für Landwirte. Ein Blick in die Kommentarspalten.

Süddeutsche Zeitung
Die Niederlage der EVP ist zugleich ein ­Gewinn für Europas Ökosysteme, für den europäischen Klimaschutz und auch für die Landwirte, für die die Partei vorgab zu streiten. Denn auch falls das Gesetz nur in abgeschwächter Form in Kraft tritt, kann es dazu beitragen, die EU-Klimaziele bis 2030 zu erreichen.
Die Klimakrise stellt existenzielle Fragen, sie kann eine der größten Bedrohungen für den gesellschaftlichen Frieden in Europa werden. Sie ist die wahre Gefahr für die Ernährungssicherheit. Man habe zuletzt viel ambitionierten Umwelt- und Klimaschutz betrieben, sagte EVP-Parteivorsitzender Manfred Weber am Morgen vor der Abstimmung, „aber wir verlieren Arbeitsplätze und Wohlstand“. Wer so redet, macht kurzsichtige Politik.

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Die Natur in Europa kann sich freuen. In den nächsten Jahren sollen mehr Wälder wieder aufgeforstet, mehr trockengelegte Moore wieder vernässt werden und mehr Grün in die Städte kommen. Das Europaparlament hat dazu am Mittwoch einen Vorschlag der EU-Kommission mit knapper Mehrheit angenommen.
Das ist die erste gute Nachricht. Die Pläne der EU, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden, sind damit vorerst gerettet. Ohne das Gesetz hätten sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Tonne getreten werden müssen.
Es mag ja sein, dass die Bauern ein Problem mit dem neuen Naturschutzgesetz haben. Aber andere Berufsgruppen und unzählige Einzelpersonen haben ebenfalls Probleme mit Gesetzen, die die Folgen des Klimawandels abfedern sollen. Das lässt sich nun einmal nicht ändern – vor allem nicht, wenn es um eine Herausforderung wie den Klimawandel geht. Sie betrifft ausnahmslos alle Menschen.
So hat sich nun das Recht der Allgemeinheit auf mehr Naturschutz gegenüber den Partikularinteressen einer einzelnen Branche durchgesetzt. Das ist die zweite gute Nachricht.

Die Welt
Brüssel sieht starre Vorgaben für Kommunen vor wie etwa die Vergrößerung von Grünflächen und die „Renaturierung“ von Flüssen. Die EU will Quoten für den Anteil von Gebieten, deren Natur „wiederhergestellt“ werden soll, wobei übersehen wird, dass große Teile Europas seit Jahrhunderten menschengemachte Landschaften sind.
Kritiker des Naturgesetzes haben gewarnt: Konflikte zwischen Wohnen, Industrie, Landwirtschaft und Natur seien nur lokal lösbar, nicht von Brüssel aus. Und auch der Natur dürfte mit starren Quoten kaum gedient sein: Eine quotierte Zurückdrängung von Stadträumen und Landwirtschaft droht nicht nur dem Ertrag der Bauern zu schaden. Es kann auch die Urbanisierung stoppen. Beides wäre schlecht.
Kaum etwas trägt mehr zur Verbesserung der Natur bei als die Konzentration der Menschen in Städten und die Intensivierung der Landwirtschaft auf kleinerer ­Fläche, die das Aufleben von Tieren und Pflanzen abseits ermöglichte. Das Ausspielen von Wirtschaft gegen Natur ist kontraproduktiv: Der Environmental Performance Index der Columbia University, der den Zustand der Umwelt weltweit misst, offenbart: Reiche Länder verfügen über weitaus intaktere Natur als arme – ­Wohlstand bildet die Voraussetzung für Naturschutz.

Reutlinger General-Anzeiger
Natürlich hat angesichts des menschen­gemachten Klimawandels Umweltpolitik oberste Priorität. Dennoch müssen jene, die von dem Gesetz betroffen sein werden, frühzeitig mit ins Boot geholt und an den Beratungen beteiligt werden.
So sind Landwirte vieler europäischer Länder, die an einer gesunden und intakten Umwelt naturgemäß großes Interesse haben, nicht rundum zufrieden mit dem Entschluss. Die Wiederherstellung und Renaturierung von 20 % der EU-Fläche, die das Gesetz vorsieht, umfasst eben auch zu nicht geringen Teilen landwirtschaftliche Nutzfläche. Die Einschränkungen und Maßgaben, die mit diesem Gesetz einhergehen, werden zwar die Ernährungssicherheit in Europa nicht gefährden. Folgen im Kleinen kann es sehr wohl haben. Das ­Sterben kleinerer Höfe kann beschleunigt werden, weil durch die Maßgaben kein wirtschaftlich rentables Arbeiten mehr möglich ist.

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Sicher ist, der Beschluss ist eine Klatsche für die größte Fraktion im EU-Parlament, die Christdemokraten von der EVP. Sie ­haben Europas Klima- und Naturschutzgesetzgebung lange mitgetragen, jetzt haben sie sich für Totalblockade und Stimmungsmache entschieden.
Am Schluss konnte sich die EVP glück­licherweise nicht durchsetzen mit ihrer verqueren Logik, dass Nichtstun besser sei für die Landwirte und die Versorgung mit Lebensmitteln als Wälder, Böden und Moore wirksamer zu schützen. Dabei bleiben die Christdemokraten die Erklärung schuldig, warum es der Ernährungssicherheit dienen sollte, einfach weiterzumachen wie bisher.
Gerade Landwirte sind doch auf gesunde Böden auch in den kommenden Jahrzehnten angewiesen. Das geht nur mit mehr Arten- und Bodenschutz, nicht mit weniger. Viele Bauern haben das längst verstanden und handeln entsprechend.

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