Ausflugsziel

Zu Gast bei den Germanen

Im Freilichtmuseum Oerlinghausen reisen Gäste von der Steinzeit bis ins Frühmittelalter. Der Blick auf die Germanen hat sich dort gewandelt. Ein neues Langhaus bietet bald Aktuelles aus der Forschung.

Mehr als 40 m lang und 9 m hoch ist das germanische Langhaus. Es entsteht gerade auf dem Gelände des Archäologischen Freilichtmuseums in Oerlinghausen im Kreis Lippe – bislang die größte Rekonstruktion dieser Art. Für das tragende Gerüst kommen 195 ­Eichen und Eschen zum Einsatz. Zimmermänner spalteten die Bäume mit der Axt, so wie es die Menschen um Christi Geburt in der Region auch gemacht haben.

Doch das Museum beleuchtet nicht nur den Alltag zur Zeitenwende. Mit mehreren Bauten bringt es Gästen das Leben von der Altsteinzeit (bis 10  000 v. Chr.) bis ins Frühmittelalter (um 500 n. Chr.) näher. Auf etwa 1,5 ha finden sich sechs Baugruppen – vom Zelt bis zum Hallenhaus.

Die Balken des germanischen Langhauses stehen schon. Bald kommt Reet aufs Dach. Im Laufe des Jahres verschwindet dann auch der Bauzaun. (Bildquelle: Otte)

Kein Gemeinschaftsgefühl

„Das archäologische Vorbild des Neubaus stand im nahe gelegenen Saatental bei Paderborn“, sagt Museums­leiter Karl Banghard. Es gehörte vor etwa 2000 Jahren zu einer germanischen Siedlung. Anhand der Optik, dem Alter und der Bauweise des Langhauses wollen der Museumsleiter und sein Team der damaligen Realität so nah wie möglich kommen.

Denn das Leben der Germanen wurde bis in die jüngste Vergangenheit verschieden interpretiert. Es schwankte von den blonden Übermenschen der Nazizeit hin zu kulturlosen Barbaren in den 1960er- bis 1980er-Jahren. „Der Wahrheit entsprach beides nicht“, sagt Frühhistoriker Karl Banghard. Seit Anfang der 1990er-Jahre kam es zu zahlreichen archäolo­gischen Funden zu den Menschen, die zwischen 500 v. Chr. und 200 n. Chr. in Mittel- und Nordeuropa lebten und weithin als Germanen bekannt sind. Diese Grabungen zeichnen ein realistischeres Bild und befreien die Germanen von dem ideologischen Ballast, mit dem sie während der Nazizeit belegt wurden und auch heute noch Neonazis schwärmen.

Diese vermeintlichen „Urdeutschen“ waren keine einheitliche Schicksalsgemeinschaft, sondern maximal Stammesmitglieder. „Sie sahen sich als Cherusker, Teutone oder Kimber. Was sie höchstens einte, war der Widerstand gegen Rom“, sagt Banghard. Dieser gipfelte kurzzeitig in der Varusschlacht 9 n. Chr., nahe dem heutigen Kalkriese.

Doch wie stark Geschichte mit Interpretation zu tun hat, liegt nur etwa 200 m von der Baustelle entfernt. Dort stehen drei Fachwerkhäuser mit weißem Gefache und geraden Balken. Das sogenannte Germanengehöft wurde schon 1936 von den Nazis konzipiert. „Als rein, fleißig und den Römern moralisch überlegen, stellten sich die Nazis die Germanen vor“, erzählt Banghard. Nach der Wiedereröffnung des Museums zu Beginn der 1960er-Jahre, baute man die Häuser im gleichen Stil wieder auf (mehr im Kasten).

Für Banghard ist die Gegenüberstellung wichtig. „Im Inneren des Langhauses wird sich mehr Wald finden. Es wird wilder“, sagt der Archäologe. Unterteilt wird es in einen Wohn- und Stallbereich. „Beide Bereiche trennt eine Art Kompost, der auch für Wärme im Haus sorgt“, erklärt Banghard. So ein Langhaus stand aber nicht in einem Dorf, wie man es vielleicht aus Asterix kennt. Im Vergleich zu Kelten und Römern gründeten die Germanen weder Städte noch Dörfer, sondern lebten sehr zersiedelt.

Einzelne Langhaus-Gruppen bauten Sippen vor allem entlang der Flüsse. Mit einer zum Teil großen Mobilität. Die Funde der vergan­genen Jahre deuten auf Handel der germanischen Siedlungen über weite Distanzen bis ins heutige Polen und Tschechien. Schon damals existierte ein funktionierendes Fernstraßennetz. Am Fundort im Paderborner Saatental kreuzten sich zwei Handelsrouten.

Gerade Balken und weiße Gefache – so stellte man sich lange ein Germanenhaus vor. Museumsleiter Karl Banghard hingegen setzt seit 20 Jahren auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse. (Bildquelle: Max Slobodda/Freilichtmuseum Oerlinghausen)

Braune Wurzeln

Das Freilichtmuseum liegt in der Trägerschaft eines gleichnamigen Vereins. Am Standort hatte der „Reichsbund für deutsche Vorgeschichte“ 1936 mit dem Germanengehöft das erste Freilichtmuseum des damaligen Deutschen Reiches errichtet. In der Nähe hatten sie eine eisenzeitliche Siedlung ausgegraben. Ziel war es, das Germanenbild der Nazis mit einer gewissen Wissenschaftlichkeit zu bestätigen. Das Germanengehöft wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. Ab 1960 errichtete man ein neues Germanengehöft. ­Außer die Hakenkreuze auf den Truhen beließ man es im selben Stil.

Durch die fehlende hauptamtliche Betreuung stagnierte die Anlage laut Homepage des Museums in der Folge jedoch fachlich und wirtschaftlich. 1973 brannte die Anlage komplett ab. Davon konnte sich der Museumsbetrieb im Verlauf der 1970er-Jahre nicht er­holen. Der Einstieg des Landesverbandes Lippe und der Stadt Oerlinghausen in die Förderung des Trägervereins ermöglichte ­einen dritten Neuanfang ab 1979. Die neuen Geldgeber bestanden auf einer konsequenten Hinwendung zur modernen Siedlungsarchäologie. Bis heute zieht es aber auch Nazis an. Banghard und sein Team achten darauf, dass rechtsextreme Symbole verhüllt oder überklebt werden.

Extensive Landwirtschaft

Auch in der Landwirtschaft unterschieden die Germanen sich von ihren Nachbarn – den Römern und Kelten. Sie hielten zwar Vieh und betrieben Ackerbau. Doch exten­siver als ihre Nachbarn und ­Menschen aus früheren Epochen. „Sie hatten zum Beispiel keine pflegeintensiven Gärten im ­Unterschied zu den Menschen der Bronzezeit“, sagt Banghard. Typisch waren Eichen-­Hutewälder, in denen sie vor allem ihre Rinder ­trieben.

Neben dem Freilichtmuseum gibt es ein großes Hutewald-Projekt in der Senne. Dort grasen heute schottische Hochlandrinder. Ähnlich muss man sich den Wald der ­„Germania Magna“, wie die Re­gion bei den Römern hieß, vor­stellen: kein undurchdringbarer Urwald, sondern lichtdurchflutet und offen. Die Rinder waren kleiner als heute. Damit ideal an die Hute angepasst. „Größere Tiere züchteten sie nur für den Handel mit den Römern“, erzählt Banghard. Vermutlich verspeisten die Germanen auch die Früchte der Bäume zum Beispiel Wildäpfel. Auch Eicheln sind für den Menschen genießbar. Hinzu kommen zahlreiche Wildgemüse. Als eine frühe Form des Agrofrostsystems bezeichnet es Banghard. „Die germanische Landwirtschaft bevorzugte immer den kürzesten Weg“, sagt er.

Auf ihren Äckern bauten sie Weizen, Roggen und Emmer an. Dort wuchs unter anderem auch Leindotter, der Beikräuter klein hielt. Zunächst war noch der Hakenpflug im Einsatz. „Im Laufe der Zeit tauchte der Wendepflug auf und damit die Längsflur, die bis zu 400 m lang sein konnte“, ­beschreibt Banghard. Aus dem ­Getreide brauten die Germanen Bier. „Sie verschmähten Wein. Sie importierten sogar Bier aus dem römischen Reich“, berichtet der Museums­leiter.

Doch zurück zum Langhaus. Es fehlt noch das Reet auf dem Dach. Es kommt extra aus der Mongolei. Im Laufe des Jahres wird der neue „Altbau“ zugänglich sein.
Auch in der Nachbarschaft des Museums tut sich etwas. Im Mai eröffnet die Klimaerlebniswelt Oerlinghausen. Das Gebäude ­widmet sich dem Klimawandel und die Anpassung an ihn. Gemeinsam mit dem Museum und dem Hutewald-Projekt bildet es das „Urland“ – doch das ist eine andere Geschichte.

Wichtig für den Besuch

Am 12. April ist die lange Museumsnacht im Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen. Außerdem bietet es auch zahl­reiche Angebote für Schulklassen an. Darunter ist der Bogenbau der Steinzeit oder das Schmieden wie im Frühmittelalter.

Eintritt: Das Einzelticket kostet 7 €, ermäßigt 5 €. Gruppen ab 20 Personen zahlen 4 € pro Person.
Öffnungszeiten: Von April bis September ist es montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr sowie samstags, sonntags und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Im Oktober ist es montags bis freitags 9 bis 16 Uhr, samstags, sonntags und feiertags von 10 bis 17 Uhr ge­öffnet. Zwischen November und März ist es nur für Gruppen nach Vor­anmeldung geöffnet.

Adresse: Am Barkhauser Berg 2–6
Kontakt: Das Museumsteam ist ­telefonisch unter (0  52  02) 22  20 erreichbar.

www.afm-oerlinghausen.de

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