Tinnitus

Tinnitus-Geräusche überhören lernen

Prof. Dr. Anette Weber ist Chefärztin an der Vamed Rehaklinik in Bad Berleburg. Dort werden jährlich bis zu 600 Tinnitus-betroffene Patienten zwischen 18 und über 90 Jahren behandelt. Das Interview:

Frau Prof. Dr. Weber, Sie sind Chefärztin für den Fachbereich Hörstörungen, Tinnitus und Schwindel an der Vamed Rehaklinik in Bad Berleburg. Mit welchen Beschwerden kommen die Patientinnen und Patienten zu Ihnen?

Sie sind überwiegend durch den Tinnitus belastet, der zu Ein- und Durchschlafstörungen, Konzentrationsstörungen und längerfristig auch zu Erschöpfung und Niedergeschlagenheit führt. Des Weiteren klagen sie häufiger auch über Lärm- bzw. Geräuschempfindlichkeit und einen dadurch bedingten sozialen Rückzug.

Was weiß man über die ­Ursachen eines chronischen Tinnitus?

Entgegen früheren Glaubens wird Tinnitus nicht durch eine Durchblutungsstörung erzeugt. Ursache ist eine Erregungsstörung im Bereich des Hörzentrums, das sich im Schläfenlappen des Großhirns ­befindet. Vereinfacht könnte man auch von einem Phantomton sprechen, der ähnlich wie ein Phantomschmerz anzusehen ist. Auslöser sind Schädigungen im Innenohr, die zum Beispiel im Rahmen eines Hörsturzes oder auch eines Virusinfektes auftreten können.

Wie wird ein akuter Tinnitus behandelt?

Bisher gibt es keine Medikamente, mit denen sich ein Tinnitus heilen lässt. Im Akutfall sollte zunächst innerhalb einer Woche ein HNO-Arzt aufgesucht und ein Hörtest durchgeführt werden. Sehr häufig ist ein akuter Tinnitus mit einem Hörsturz verbunden, der häufiger mittels einer Cortisonstoßtherapie behandelt wird. Im Akutfall – wenn der Tinnitus also nicht länger als drei bis vier Wochen besteht – kann ebenfalls eine Cortisonstoßtherapie versucht werden. Dazu wird das Cortison häufig lokal über das Trommelfell verabreicht. Die Garantie einer Wirkung gibt es allerdings nicht. Auch eine durchblutungsfördernde Therapie mit Pentoxifyllin ist wenig sinnvoll und hat wissenschaftlich keinen Wirkungsnachweis. Heilbar ist Tinnitus bislang nicht, aber therapierbar.

Welche Erwartungen stellen Betroffene an die Reha und was kann diese leisten?

Die Patienten erhoffen sich einen verbesserten Umgang mit dem Tinnitus und erhoffen, dass der Tinnitus gänzlich verschwindet. In der Reha geht es zunächst einmal darum, zu informieren, wie ein Tinnitus entsteht und bewältigt werden kann. Entspannung, aber auch die Bewegungstherapie dienen der allgemeinen Erholung und sorgen dafür, Abstand vom Alltag zu ­gewinnen. Eine spezifische Hörtherapie hilft zu lernen, die Aufmerksamkeit nicht mehr auf den Tinnitus zu richten. Außerdem werden Techniken zur Stress­bewältigung und -reduktion erläutert. In Einzel- und Gruppen­gesprächen können zusätzliche psychische Belastungen bearbeitet werden. Außerdem erfolgt eine ausführliche audiotherapeutische Behandlung mit der Aufklärung über eine eventuell notwendige Hörverbesserung mit Hörgeräten bzw. weiteren Hilfsmitteln zur verbesserten Kommunikation.

Was können Betroffene für sich tun und worauf sollten Angehörige achten?

Tinnitus-betroffene Patienten können die aufgezeigten Therapiemöglichkeiten wie Stressbewäl­tigung, Aufmerksamkeitsumlenkung und Bewegungstherapie zu Hause fortsetzen. Ist eine Hörverbesserung durch Hörgeräte sinnvoll, sollten sich Betroffene an ­ihren HNO-Arzt und Akustiker wenden. Angehörige sollten Betroffene mit ihren Problemen ernst nehmen und Rücksichtnahme zeigen, beispielsweise wenn es da­rum geht, Lärm zu vermeiden.

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