Karina Kremers-Jeggles Erkrankung ist äußerlich nicht sichtbar. Dabei leidet die 59-Jährige seit vielen Jahren unter Schmerzen. Doch bis die gelernte Krankenschwester und dreifache Mutter aus Warendorf die Diagnose Fibromyalgie-Syndrom (FMS) erhält, vergehen viele Jahre. Zeit, in der sie Ärzte konsultiert, die den wahren Grund für ihre Schmerzen nicht erkennen.
Aus den anfänglichen Schmerzepisoden an vereinzelten Muskel- und Sehnenansätzen entwickelt sich so im Laufe von fast 20 Jahren ein Dauerschmerz über den gesamten Bewegungsapparat. Weitere Beschwerden wie massive Schlafstörungen und Erschöpfung kommen hinzu. Seit 2020 bezieht sie Erwerbsminderungsrente.
Beginn um die 30 Jahre
Es ist das Jahr der Einschulung ihrer Tochter. „Ich konnte mich eines Morgens plötzlich nicht mehr bewegen, nur noch den Kopf. Schmerzen hatte ich keine“, erzählt Karina Kremers-Jeggle. Der Notarzt habe ihr etwas gespritzt, daraufhin habe sie sich wieder bewegen können. Mit dem Hinweis, sie solle sich auf eine Borrelioseinfektion und rheumatische Erkrankungen hin untersuchen lassen, wird sie in den folgenden Tagen beim Arzt vorstellig, ohne jedoch eine Diagnose erhalten zu haben. Es sei ihr körperlich auch wieder gut gegangen.
Im Winter dann bekommt sie plötzlich ohne ersichtlichen Grund Schmerzen. „Es fühlte sich an wie starker Muskelkater im ganzen Körper und ich war permanent erschöpft“, erinnert sie sich. Die Beschwerden halten an und schließlich konsultiert die junge Mutter den Arzt. Doch der habe keine körperliche Ursache finden können und ihr zu mehr Ruhe und bei Bedarf zu Schmerzmitteln geraten.
{{::tip::standard::Infos zur Therapie sowie die aktuelle Therapieleitlinie zum Fibromyalgie-Syndrom sind nachzulesen unter
www.wochenblatt.com/FMS
www.rheuma-liga.de
www.fibromyalgie-fms.de::}}
Während sie im Sommer nahezu schmerzfrei ist, treten die Beschwerden wieder auf, als die Tage kühler werden. Jetzt werden auch die Finger steifer und sie kann nicht richtig greifen. „Mir fielen Gegenstände aus der Hand und ich konnte kaum noch die Windeln wechseln“, erinnert sich Karina Kremers-Jeggle.
Sie wendet sich erneut an ihren Hausarzt, konsultiert einen Orthopäden und eine Rheumatologin. Es werden Laboruntersuchungen durchgeführt, die jedoch keinen Hinweis auf eine Entzündung oder Stoffwechselerkrankung geben. Auch Röntgenbilder sind unauffällig. Die Untersuchungen bleiben ohne Befund und sie ohne Diagnose. Man habe ihr vor allem zu ausreichend Schlaf und mehr Ruhe geraten.
Tatsächlich treten die Schmerzzustände und die Erschöpfung in einer familiär sehr anstrengenden und belastenden Zeit auf. Karina Kremers-Jeggle versorgt ihre krebskranke Mutter, die schließlich stirbt. Sie kümmert sich um ihre drei kleinen Kinder, den Unternehmerhaushalt mit großem Garten und schließlich um den dann pflegebedürftigen Vater.
Nicht ernst genommen
Die Schmerzzustände kommen und gehen. Karina Kremers-Jeggle spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist mit ihr. Doch die von ihr konsultierten Ärzte können ihr nicht helfen, viel schlimmer noch: „Irgendwann sagte die Rheumatologin zu mir ,Kommen Sie wieder, wenn Sie wirklich etwas haben‘“, erzählt Karina Kremers-Jeggle. „Das hat mich bis ins Mark getroffen und ich bin mit meinen Schmerzen dann einige Jahre nicht mehr zum Arzt gegangen.“
Fortan habe sie mit den Schmerzen gelebt, in der Hoffnung, es werde vielleicht von allein wieder besser. Doch so kommt es nicht. Mehr noch: Sie entwickelt massive Schlafstörungen. Tagsüber ist sie erschöpft, wenig belastbar und entwickelt Ängste, den Alltag nicht mehr allein bewerkstelligen zu können. Hinzu kommt eine Gastritis.
Sozial tritt sie den Rückzug an. „An Unternehmungen im Freundes- oder Bekanntenkreis habe ich immer seltener teilgenommen“, sagt sie. Ihr Leben nimmt in dieser Zeit eine deutliche Wendung, sowohl privat wie auch beruflich. In den Pflegeberuf möchte sie nicht zurück, sie orientiert sich anders und absolviert ein Studium im Bereich Grafik und Malerei. Ständige Begleiter in all den Jahren sind Schmerzen.
Diagnose nach 20 Jahren
Als sie sich schließlich einer neuen Hausärztin anvertraut, äußert die zum ersten Mal den Verdacht, dass Karina Kremers-Jeggle am Fibromyalgie-Syndrom erkrankt sein könnte (siehe „Fibromyalgie oft schwer festzustellen“). Die Ärztin überweist sie zu einer Praxis für ganzheitliche Schmerztherapie nach Münster. Hier wird der Verdacht bestätigt und sie kann an einem einjährigen Projekt ihrer Krankenkasse teilnehmen, das Methoden der Traditionellen Medizin im Rahmen einer Schmerztherapie unterstützt.
„Osteopathische Behandlungen und Akupunktur haben mir am besten geholfen, um meine Schmerzen zu lindern“, berichtet sie. Hilfreich seien aber auch Ernährungsberatung, Achtsamkeitstraining, Yoga und Chi Gong gewesen. Schmerzfrei sei sie dadurch nicht geworden, aber sie habe sich wieder besser und belastbarer gefühlt.
{{::tip::standard::Bücher:
- Fibromyalgie – von Dr. med. Wolfgang Brückle. Trias Verlag, ISBN 978-3432-10747-9, 147 Seiten, 17,99 €.
- Fibromyalgie – Das Mutmachbuch – von Cornelia Bloss. Trias Verlag, ISBN 978-3-432-11263-3, 182 Seiten, 17,99 €.::}}
Karina Kremers-Jeggle traut sich wieder mehr zu. Sie arbeitet als Grafikerin und Malerin, gibt Kurse in der Erwachsenenbildung, arbeitet in der Kunsttherapie für Menschen mit Demenz. Doch die vielen Jobs überfordern sie. Nach drei Monaten bricht sie psychisch und physisch zusammen. Es zeigte sich, dass sie vollumfänglich in ihrer Selbstständigkeit nicht mehr arbeiten kann.
„Meine Schmerztherapeutin hat mir dann geraten, die Erwerbsminderungsrente zu beantragen“, berichtet sie. Dieser Antrag wurde zunächst abgelehnt, erst ein psychologisches Gutachten brachte den Erfolg. „Seit 2020 beziehe ich eine volle Erwerbsminderungsrente“, sagt Karina Kremers-Jeggle.
Darüber ist sie sehr glücklich. Durch die vorzeitige Verrentung sei sie raus aus dem Leistungskarussell und habe mehr Raum für Selbstfürsorge. Die ist wichtig, das habe sie in der Psychotherapie gelernt. „Ich kann mich hinlegen und schlafen, wenn ich nicht mehr kann.“ Sie pflegt wieder soziale Kontakte, geht offen mit ihrer Erkrankung um und bittet um Verständnis, wenn sie sich zurückziehen muss.
Mit den Schmerzen hat sie sich über die Jahre hinweg fast schon arrangiert. „Sie sind nie ganz weg. Sie zeigen mir meine Grenzen auf und fordern mich, etwas für mich zu tun“, sagt sie.
Neben gesunder Ernährung und Achtsamkeit gehört vor allem körperliche Bewegung dazu. „Ich dehne und trainiere täglich meine Muskeln und Faszien – immer moderat auf meinen aktuellen Schmerzzustand abgestimmt“. Gute Erfahrungen hat sie auch mit Fahrradfahren, Walken, Spazierengehen und Schwimmen gemacht. „Jeder Betroffene muss gucken, was ihm guttut“, sagt sie.
Fibromyalgie-Syndrom (FMS)
Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff Fibromyalgie Faser-Muskel-Schmerz. Mediziner sprechen meist vom Fibromyalgie-Syndrom (FMS). Dabei handelt es sich um eine nicht entzündliche, chronische Erkrankung, die häufig mit Muskel-, Gelenk- und Bindegewebsschmerzen einhergeht. Die Beschwerden können sehr unterschiedlich ausgeprägt und intensiv sein. Typische Symptome sind:
- Schmerzen in mehreren Körperregionen, die den Bewegungsapparat betreffen wie Schmerzen in den Gelenken, Sehnenansätzen und Muskeln sowie Muskelverspannungen.
- Schlafstörungen: Betroffene fühlen sich morgens nicht ausgeschlafen, sind müde, abgeschlagen und angespannt.
- Leistungsschwäche wie Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit.
Beschwerden, die Magen, Darm, Harnwege, Atmung und Herz betreffen.
- Überempfindlichkeiten auf Reize, die etwa die Augen, Geräusche oder den Geruch betreffen; Berührungs- und Druckempfindlichkeit, Wetterempfindlichkeit besonders auf Kälte, Nässe, Wind.
- Seelische Beschwerden wie innere Unruhe, Antriebslosigkeit, Ängste, Niedergeschlagenheit.
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