Milchbauern stehen immer wieder vor der ungeklärten Frage: Warum geben die Kühe nicht die Milchleistung, die sie laut Rationsberechnung und Futtervorlage eigentlich geben müssten? Ein oft unterschätztes Problem ist die optimale Belegdichte im Stall. Die Haltungsumwelt spielt eine größere Rolle bei der Leistungsentwicklung der Tiere, als Praktiker häufig wahrhaben wollen.
Ideale Belegdichte
Wenn sich mehrere Kühe eine Liegebox teilen müssen, nicht alle gleichzeitig liegen und/oder fressen können, schränkt das die Tiere in ihrem natürlichen Verhalten ein.
Eine ideale Belegdichte würde die Fixkosten pro Tier minimieren, ohne die Milchproduktion, die Reproduktion und das allgemeine Wohlbefinden der Kühe zu beeinträchtigen. Ökonomisch kann ein höherer Besatz innerhalb bestimmter Grenzen die Milchproduktion steigern und gleichzeitig die Fixkosten pro Kuh senken.
Aber: Ab einem gewissen Punkt kann sich ein Zuviel an Besatz negativ auf das Wohlbefinden der Kühe, die Futteraufnahme, die Reproduktion sowie die Produktivität auswirken. Wo liegen die praktischen Grenzen der Überbelegung? Ab welchem Grad der Überbelegung gilt das Gesetz des abnehmenden Ertrags? Milchviehhalter bewegen sich oft auf einem schmalen Grat zwischen Besatzraten, die der Rentabilität zugutekommen, und solchen, die sich negativ auf Gesundheit, Wohlbefinden und Leistung auswirken.
Die Frage nach der Überbelegung ist auch aktuell ein wichtiges Thema, da zum Beispiel im neuen QM-Standard das Tier : Liegeboxenverhältnis von 1 : 1 als ein K.-o.-Kriterium aufgenommen wurde.
Keine gesetzlichen Vorgaben
Allerdings gibt es keinerlei gesetzliche Grundlagen, die besagen, dass im Boxenlaufstall ein Tier : Liegeboxenverhältnis von 1 : 1 eingehalten werden muss. Im Tierschutzgesetz ist beschrieben, dass ein Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden muss (Tierschutzgesetz § 2).
Auch die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung sieht für Kühe keine konkreten Angaben vor. Jedoch gibt es inzwischen zahlreiche freiwillige Vereinbarungen mit Molkereien und Handelsunternehmen, die klare Vorgaben machen (zum Beispiel QM-Standard, Haltungsformstufen). Die freiwilligen Vereinbarungen sehen Audits und Kontrollen von Dritten vor, und sie sind ein Versuch zu dokumentieren, was in der Branche stattfindet. Es ist davon auszugehen, dass diese Kontrollen auch zukünftig bestehen bleiben.
Problem der Überbelegung
Eine Definition der Überbelegung ist vereinfacht anhand von drei Hauptparametern zu bestimmen:
- Mehr als eine Kuh pro Fressplatz.
- Weniger als 60 cm lineare Fressplatzlänge pro Kuh.
- Weniger als eine Liegebox pro Kuh.
Immer, wenn nur eine Ressource für mehrere Kühe zur Verfügung steht, liegt eine Überbelegung vor.
Allerdings kommt es in der Praxis (weltweit) häufig zur Überbelegung. Die Situation in Deutschland wurde in der PraeRi Studie 2020 erfasst: Etwa 30 % der Liegeboxenlaufställe sind zu voll und bieten zu wenig Liege- und Fressplätze für die Kühe.
Eine Überbelegung schränkt das natürliche Verhalten der Tiere ein und steht damit im Widerspruch zum Tierwohl. Folgen der Überbelegung sind abhängig vom Stalltyp und der Gruppenstrategie.
Haltung hat Auswirkungen
In einem Versuch aus Spanien wurden nicht fütterungsbedingte Folgen auf die Milchleistung untersucht. Man stellte bei 47 Herden, die mit exakt gleicher Totalen Mischration (TMR) gefüttert wurden, die gleiche Genetik, aber unterschiedliche Haltungsbedingungen/Management hatten, eine Leistungsdifferenz von knapp 13 kg/Kuh und Tag fest (Ø 29,5 kg/Kuh, aber Schwankungen von 20,6 bis 33,8 kg/Kuh). Die Hauptgründe, die 56 % der Variabilität ausmachten, waren
- die Belegdichte,
- die Futterverfügbarkeit und
- das Erstkalbealter.
Ressource Liegen
Liegen ist die elementare Grundlage für hohe Leistungen, und es konnte wissenschaftlich belegt werden, dass jede Stunde extra liegen etwa 1,7 kg/Kuh und Tag Mehrleistung ermöglicht.
Viele Studien zeigen einen direkten Zusammenhang der Liegeboxenbelegung und abnehmender Liegedauer der Kühe und gleichzeitig ansteigender Stehzeit im Gang. Eine Überbelegung verhindert das synchrone Liegen im Herdenverbund und führt zu verkürzten Gesamtliegezeiten der Tiere.
Sind weniger Liegeboxen als Kühe vorhanden, dann verkürzen sich die Liegezeiten und Kühe stehen vermehrt auf den Gängen und warten auf freie Plätze. Denn das Ruhebedürfnis steht für Kühe immer an erster Stelle, noch vor dem Fressen (Abbildung). Beide Merkmale, weniger liegen und mehr stehen, sind Risikofaktoren für Klauenerkrankungen.
Belegdichte prüfen
Die Überbelegung im Stall lässt sich einfach bestimmen, indem die Liegeboxen und die Kühe gezählt werden. Doch auch bei einer Belegdichte von 1 : 1 können soziale und umweltbedingte Faktoren die Zahl der verfügbaren oder bevorzugten Liegeplätze verringern. Es sollten nur die Boxen gezählt werden, die auch jederzeit für die Kühe verfügbar sind.
Selbst bei einer 100%igen Belegung sind die am wenigsten beliebten Boxen nur etwa sechs Stunden pro Tag besetzt, aber die beliebtesten Boxen sind mehr als 15 Stunden pro Tag belegt. Diese starke Frequentierung einzelner Liegebereiche hat Konsequenzen für die Boxenhygiene und die -pflege.
Nächtliche Liegezeiten
Überbelegung fördert Stress. Wenn Liegemöglichkeiten knapp sind, legen sich Kühe nach dem Melken rascher in die Liegeboxen (indirekter Wettkampf) und es kommt vermehrt zu direkten Auseinandersetzungen in Form von Verdrängungen aus den Liegeboxen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass sich bei Überbelegung der Boxen vor allem die nächtliche Liegezeit verändert. Kühe zeigen ein ausgeprägtes tageszeitliches Muster mit höchsten Aktivitäten früh morgens und gegen Abend („dust“ and „dawn“) im Liege- und Fressverhalten: Sie fressen (stehen!) vermehrt tagsüber und liegen nachts – damit ist der Konkurrenzdruck um den Zugang zu den besten Liegeboxen nachts am größten und entzieht sich oft dem Auge des Betrachters.
In Zahlen ausgedrückt heißt das, dass Überbelegung zu signifikant verkürzten Liegezeiten von fast zwei Stunden und längeren Stehzeiten außerhalb der Boxen führt. Es gibt fast dreimal so häufig Verdrängungen aus den Liegeboxen.
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