Der Wildverbiss ist nicht nur das Resultat einer hohen Populationsdichte von wiederkäuendem Schalenwild – Reh-, Dam-, Sika-, Rot- und Muffelwild. Das Problem, das besonders das Anpflanzen neuer Wälder erschwert, ist komplexer. Denn der Lebensraum, das Äsungsangebot, die Jagdstrategie sowie waldbauliche Maßnahmen und die Besucherlenkung sind Stellschrauben für das Erreichen angepasster Wildbestände.
Freiflächen sind "Eldorado"
Die vielen kalamitätsbedingten Freiflächen verbessern die Nahrungsverfügbarkeit und -qualität für das Rehwild. Gleichzeitig bieten sie dem Wild Deckung. Die Folge sind höhere Reproduktionsraten. Das ergibt einfach gesagt eine Spirale, die zu mehr Wild und mehr Verbiss führt. Deshalb fordern nicht wenige Waldbesitzer höhere Abschusszahlen.
Tatsächlich sind vielerorts in NRW die Rehwildbestände zu groß. Dem Landesjagdverband ist das bekannt und hat deshalb zusammen mit dem Waldbauernverband NRW gehandelt. Das Ergebnis: Verlängerte Jagdzeiten und die Aufhebung der Abschusspläne für Rehwild. Das Ziel: Den Überschuss abbauen und die Wildbestände anpassen.
Bejagung beim aufforsten einplanen
Doch wie lässt sich verhindern, dass die gepflanzten Bäume bzw. die Naturverjüngung auf den Schadflächen direkt aufgefressen werden? Ein Stück weit haben die Waldbauern es selbst in der Hand. Wenngleich von den Freiflächen eine Art „Magnetwirkung“ ausgeht, gilt es mit der Aufforstung auch Lebensräume für das Wild zu schaffen. Konkret bedeutet das: Äsungsflächen anlegen. Artenreiche Wildäcker bieten dem Wild Nahrung und lenken es von der Aufforstung ab. Zudem lohnt es, jagdliche Infrastruktur wie Schussschneisen oder Hochsitze von Beginn an einzuplanen. Denn angesichts der zum Teil riesigen Schadflächen sind die Jäger ohne diese chancenlos, Strecke zu machen. Vor allem im kleinstrukturierten Privatwald ist diesbezüglich ein gemeinschaftliches Handeln gefragt.
Sicherlich wird sich damit der Verbiss nicht komplett verhindern lassen. Entscheidend ist: Bleiben genügend Pflanzen unverbissen?
Fachgerecht jagen
Trotz einer sinnvollen Lebensraumgestaltung, entscheidet die Bejagung oftmals über Erfolg oder Misserfolg. Zu oft wird mit einer Wildart falsch umgegangen – beispielsweise weil das Bejagungskonzept fehlt. Die flächige Bejagung ist selten zielführend, schlichtweg weil dem Wild dadurch Ruhezonen fehlen. Ebenso ist die Jagd an Äsungsflächen tabu. Im Fokus sollte die Bejagung an forstlichen Schwerpunkten sein – beispielsweise speziellen Kultur- und Verjüngungsflächen.
Zudem bewirkt die falsche Jagdstrategie oftmals das Gegenteil des eigentlichen Ziels. Wer beispielsweise den Rehwildbestand langfristig reduzieren möchte, muss ebenso viele Ricken wie Böcke erlegen. Werden mehr Böcke als weibliche Rehe geschossen, wächst der Rehwildbestand.
Erfolgversprechend ist die Jagd vor allem dann, wenn sie an das Verhalten und den Stoffwechsel des Tieres angepasst ist. Dazu zählt unter anderem
- die Jagd im Wald statt im Offenland,
- die Jagd am Morgen auf das in den Tageseinstand ziehende Wild,
- Wartezeiten nach dem Schuss,
- an erlegtes Wild nicht unmittelbar vom Ansitzplatz herantreten,
- Aufbrüche nicht auf offener Fläche oder sensiblen Bereichen liegen zu lassen und
- keine Verknüpfung von Nahrungsaufnahme und Jagd,
- eine Intervalljagd mit Ruhephasen,
- Bewegungsjagden nach vorheriger Ruhephase.
Wild will ungestört sein
Eines können Waldbesitzer und Jäger allerdings kaum beeinflussen: Den Stress durch Erholungssuchende. Wildtiere suchen aufgrund des besseren Nahrungsangebotes nachts die Wegebereiche auf – und meiden sie tagsüber. Störungen zu diesen Zeiten und an diesen Orten erhöhen unter anderem den Verbissdruck. Der Tourismus sorgt für eine ständige Beunruhigung des Wildes – auf den Rotwild vergleichsweise stark reagiert. Abhilfe könnte ein nächtliches Waldbetretungsverbot schaffen.
PEFC fordert angepasste Wildbestände
Mehr als 80 % des Waldes in NRW sind PEFC-Zertifiziert. Das Zertifizierungssystem steht für eine nachhaltige Forstwirtschaft und beinhaltet strenge Richtlinien für die Waldbewirtschaftung und deren Kontrolle. Das Siegel ist auch die Grundlage, um staatliche Fördermittel zu erhalten.
Entsprechend der PEFC-Richtlinien sind angepasste Wildbestände die Grundvoraussetzung für naturnahe Waldbewirtschaftung. Wildbestände gelten dann als angepasst, wenn die Verjüngung der Hauptbaumarten ohne Schutzmaßnahmen möglich ist, die Verjüngung der Nebenbaumarten gegebenenfalls mit vertretbarem Aufwand gesichert werden kann und frische Schälschäden an den Hauptbaumarten nicht großflächig auftreten. Hier ist der Waldbesitzer in der Pflicht. Denn grundsätzlich muss er im Rahmen seiner jeweiligen persönlichen und rechtlichen Möglichkeiten auf dieseWildbestände hinwirken. Sollten beieiner Audit erhebliche und gleich-zeitig vermeidbare Schäden erkenn-bar sein, drohen Konsequenzen – schlimmstenfalls die Rückzahlung erhaltener Fördermittel.
Zielvereinbarungen bei der Gestaltung des Jagdpachtvertrages wirken dem entgegen. Dazu könnte eine Abschussregelung zählen. Außerdem sollten Waldbesitzer konsequent Wildschadenersatz geltend machen, wenn es zu Schäden kommt.
Der Praxisratgeber „Waldumbau und Jagd“ der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Baden-Württemberg gibt weitere Tipps zum Thema und ist online kostenlos verfügbar.
Der Beitrag entstand im Rahmen des Symposiums Wald und Wild organisiert vom Landesjagdverband NRW. Hier geht es zum Video der Veranstaltung.