Gut 20 Jahre nach Gründung des Nationalparks Eifel – dem ersten und bisher einzigen in NRW – soll ein zweites Schutzgebiet dieser Kategorie folgen. Das Ziel: Die Biodiversitätskrise bekämpfen. Darauf hat sich die NRW-Landesregierung bereits im Koalitionsvertrag geeinigt. Am vergangenen Mittwoch haben Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU), Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und Umweltminister Oliver Krischer (beide Grüne) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz den Findungsprozess gestartet.
Öffentlichkeit einbinden
Der sogenannte Findungsprozess ist in drei Schritte gegliedert. Im ersten Schritt soll zunächst ein unverbindliches „Interessenbekundungsverfahren“ erfolgen. Die Initiative für eine Teilnahme an diesem Prozess kann sowohl aus der Politik als auch aus der Öffentlichkeit erfolgen. Die Landesregierung möchte so einen Überblick über potenzielle Bewerber gewinnen und gleichzeitig ein erstes Stimmungsbild der Bevölkerung in der jeweiligen Region einholen. Dieser erste Schritt soll bis zum Ende des ersten Quartals 2024 abgeschlossen sein.
Im Anschluss findet das Antragsverfahren statt. In diesem zweiten Schritt können alle Landkreise und Regionen teilnehmen und sich sozusagen offiziell bewerben – unabhängig von ihrer Teilnahme am Interessenbekundungsverfahren. Vom Ergebnis verspricht sich die schwarz-grüne Landesregierung eine Entscheidungsgrundlage für die Festlegung einer Region und einer Gebietskulisse für den zweiten Nationalpark. Ein Zeitfenster hierfür gibt es noch nicht.
Wenn eine Region ausgewählt wurde, erfolgt im dritten Schritt das formale Ausweisungsverfahren durch die Landesregierung. Dabei wird ein Verordnungsentwurf erarbeitet mit einer breiten Beteiligung der Öffentlichkeit, beschrieb Umweltminister Krischer den Verfahrensablauf.
Land will unterstützen
Das Land will das Interessenbekundungsverfahren von Beginn an unterstützen. Und das auf mehreren Ebenen: Über eine vom Umweltministerium beauftragte Agentur können aus den jeweiligen Regionen Angebote zu Beratung, Moderation sowie zur Umsetzung von Veranstaltungen und Online-Dialogen abgerufen werden. Zusätzlich sollen über die Bezirksregierungen Fördermittel bereitgestellt werden, um individuelle Formate der Meinungsbildung in den Regionen zu unterstützen. Diese Angebote richtet die Landesregierung an die Städte und Gemeinden sowie an Vereine und Verbände, deren Ziel die Unterstützung des Nationalparkdialoges ist. Wann mit konkreten Ergebnissen gerechnet werden kann, ist offen.
Region schon festgelegt?
Theoretisch können sich alle Landkreise „mit ihren Naturschätzen“ bewerben – sagte Umweltminister Krischer. Denn auf Kriterien wie eine Mindestgröße wollte sich der Grünen-Politiker nicht festlegen. Diesbezüglich verwies er auf die internationalen Standards der Weltnaturschutzunion. In der Praxis richtet sich der Fokus auf größere landeseigene Waldflächen. Diese gibt es beispielsweise im Egge-Gebirge, dem Arnsberger Wald oder dem Rothaarkamm. Auch die Nationalparkplanungen im Siebengebirge könnten wieder Fahrt aufnehmen, nach dem Aus durch einen Bürgerentscheid 2009. Wie Krischer bekräftigte: „Es gibt keine Vorfestlegung des Landes für eine Region.“
Auch ein Wirtschaftsfaktor
Im Nationalpark Eifel überschritten 2022 zum dritten Mal in Folge die Besucherzahlen die 1-Mio.-Marke. Somit hat sich der Wert seit der ersten Untersuchung 2007 etwa verdoppelt. Eine Studie aus 2014/2015 zeigt, dass der Nationalpark einen Bruttoumsatz von rund 30 Mio. € bewirkte, das entspricht rechnerisch 674 Arbeitsplätzen.
www.nationalpark.nrw.de
Kommentar von Kevin Schlotmann
Skeptiker in den eigenen Reihen?
Seit der Verabschiedung des Koalitionsvertrags und dem Bekenntnis zu einem zweiten Nationalpark in Nordrhein-Westfalen ist Druck auf dem Kessel. Auch wenn die Suche nach einem weiteren Großschutzgebiet „ergebnisoffen“ ist, wie die schwarz-grüne Landesregierung versichert, ist der Widerstand vielerorts bereits groß. Fakt ist aber: Eine Entscheidung für oder gegen eine Region ist bisher nicht gefallen.
Allerdings scheint sich die Landesregierung der Brisanz um die Ausweisung eines zweiten Nationalparks bewusst zu sein. Mehrfach betonten Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, Umweltminister Oliver Krischer und Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen am vergangenen Mittwoch die Notwendigkeit einer breiten öffentlichen Akzeptanz. Dass diese nicht selbstverständlich ist, wurde in der Rhetorik deutlich. Wörter wie Klimakrise, Biodiversitätskrise und Eigeninteresse wirken beinahe wie Totschlagargumente und sollen offenbar Nationalpark-Kritiker umstimmen. Vielleicht müssen Neubaur und Krischer aber zuerst die eigenen Reihen gewinnen. Denn charmant unterstrich Silke Gorißen, die „Skepsis, Sorgen und vielen offenen Fragen“ der Bewohner vor Ort im ländlichen Raum zu kennen und ernst zu nehmen. Meint sie womöglich die eigene Skepsis?