Von Schweinen zu Kälbern

Neustart mit Milchmast

Genau 900 Kälber stehen bei Familie Wesseler im Stall. Schweine und Bullen mussten dafür im Sommer 2021 weichen. Doch wie gelang der Einstieg in die spezialisierte Kälbermast? Ein Erfahrungsbericht.

Weiße, rot-weiße, schwarz-weiße, braune und beige Köpfe mit dunklen, glänzenden Augen schauen uns erwartungsvoll entgegen. Sie gehören zu einem bunten Mix an Rassen im Stall bei Familie Wesseler in Vreden, Landkreis Borken.

Darunter die aus der Kälbermast bekannten Holstein-Friesians, aber auch Braunvieh, Kreuzungen und Fleckvieh. Die Kälber stehen zu zehnt in einer Bucht. Der Spaltenboden ist komplett mit Gummimatten ausgelegt. In jeder Bucht ist eine Scheuerbürste angebracht. Damit sind die Kriterien für die Initiative Tierwohl erfüllt. Das Fleisch wird entsprechend in Haltungsform 2 vermarktet. Jedes Kalb hat über die Anforderungen hinaus 2 m2 Platz.

Stephan Wesseler mit seinem Sohn Jannis. Sie sind zufrieden mit ihrem neuen Standbein Kälbermast. (Bildquelle: Schmidtmann)

Gemeinsam mit seiner Familie ­baute Stephan Wesseler 2021 den neuen Kälberstall mit 900 Plätzen. Zum Betrieb gehören zudem 150  000 Hähnchenmastplätze und ursprünglich Schweine- sowie Bullenmast. „Wir sind erst seit 2012 ein Vollerwerbsbetrieb und kommen aus dem Nebenerwerb“, berichtet Stephan Wesseler.

Weg in die Zukunft

Auch Sohn Jannis möchte Landwirt werden. Schon jetzt bringt er sich in jeder freien Minute auf dem elterlichen Betrieb ein. Der 21-Jährige absolviert die Fachschule in Borken. „Deshalb mussten wir uns etwas einfallen lassen. In der Schweinemast sahen wir für uns keine Zukunft“, erzählt Stephan Wesseler.

Vo­raussetzung für die Genehmigung des Kälberstalls: Bullen und Schweine mussten den Betrieb verlassen. Allerdings war die Milchmast nicht die erste Idee – Plan A waren Rosékälber. Doch Wesselers entschieden sich anders. Ein Grund dafür waren die Gespräche mit dem Unternehmen Brüninghoff. Der Schlachthof liegt etwa 30 km vom Hof entfernt. „Wir entschieden uns, mit Familie Brüninghoff zusammenzuarbeiten und stiegen in die Milchmast ein“, sagt Wesseler.

Kälber in Lohnmast

Vorteile in der Lohnmast sieht die Landwirtsfamilie darin:

  • „Wir hatten bis dato keine Erfahrung mit Kälbern. Wir bekommen Tiere und Futter geliefert. Über den Schlachtzeitpunkt entscheiden Brüninghoffs“, erklärt Jannis Wesseler.
  • Der Markt für Kalbfleisch ist saisonal und nicht einfach zu kalkulieren, so Stephan Wesseler.
  • Sicherheit für die Bank: Ein Stallplatz für die Milchmast hat Wesselers etwa 1700 € gekostet. Der Vertrag mit Brüninghoff gibt Sicherheit. Entlohnt wird pro Kalb und Tag. Das ist kalkulierbar. Rund 1000 Kälber entsprechen einer vollen Arbeitskraft.
  • An der niederländischen Grenze gibt es gute Verhandlungsmöglichkeiten für die Kälbermast. Andere mögliche Partner sind in der Nähe.

Wesselers wirtschaften also im integrierten System. Doch was bedeutet das eigentlich? „Wir bekommen morgens um 7 und nachmittags um 17 Uhr den Milchaustauscher geliefert“, erklärt der junge Landwirt.

Morgens und abends bringt ein Lkw Milchaustauscher. Dieser gelangt über die Leitungen in den Milchtank. (Bildquelle: Schmidtmann)

Der Tankwagen pumpt die Milch zweimal täglich in den Tank im Stall. Dieser umfasst die Menge für einen Fütterungsdurchgang und hält den Milchaustauscher (MAT) bei 38 °C warm. Von dort wird die Milch in die Tröge geleitet – automatisch. „Wir gehen vorher durch die Ställe, schauen nach den Tieren und machen, falls nötig, die Tröge sauber“, erklärt Wesseler.

Die genaue Zusammensetzung des MATs legen Brüninghoffs fest. „Diese wird dem Alter der Tiere nach angepasst“, so Stephan Wesseler. Die Tränkemenge können sie automatisch am PC einstellen – und zwar buchtenweise. „Trinken einige Kälber nicht aus, gibt es bei der nächsten Mahlzeit weniger Milch. Die grobe Tränkekurve ist aber vorgeschrieben.“

Raufutter ad libitum

Raufutter, eine Mischung aus Mais, Getreide und Mineral, bekommen die Landwirte geliefert. In der eigenen Mischanlage dosieren sie dann noch gemahlenes und entstaubtes Kälberstroh hinzu. Dieses erhalten die Kälber ad libitum, ebenfalls aus Automaten.

Rund sieben Mal täglich gibt es aus diesen Automaten Raufutter. Der Trog ist stets befüllt. (Bildquelle: Schmidtmann)

„Momentan sind unserer Kälber etwas mehr als vier Monate alt und fressen etwa 3 kg Raufutter pro Tier und Tag“, erklärt Jannis Wesseler. Außerdem nehmen sie rund 11 l MAT pro Tier und Tag auf. Mit knapp acht Monaten sind die Tiere schlachtreif. Alle 900 Kälber sind gleich alt. Zu Ostern geht die aktuelle Gruppe zum Schlachter.

Im Schnitt haben Wesselers Kälber eine Ausschlachtung von rund 53 %, die täglichen Zunahmen liegen bei 1200 bis 1400 g. Bislang verzeichnen die Mäster bis zu 3 % Verlusten pro Durchgang. Alle Kälber werden gegen Grippe und Flechte geimpft. „Blutproben nehmen wir höchstens stichprobenweise“, berichtet Wesseler.

Viele Hände fürs Antränken

Am arbeitsaufwendigsten ist das Antränken. Im Schnitt wiegen die Kälber bei Ankunft auf dem Betrieb mit etwa vier Wochen Lebensalter 60 bis 65 kg. „Sie kennen allerdings meistens nur Nuckel. An die Schalen müssen wir sie erst gewöhnen“, sagt Jannis Wesseler. Die ersten drei Tage hilft die gesamte Familie. Das heißt auch zwei seiner Geschwister und Mutter Annelen. „Nach gut drei Tagen schaffen wir es zu zweit und nach einem Monat wieder allein“, so Stephan Wesseler.

Sind die Kälber alt genug, um in der Gruppe zu stehen, klappen Wesselers die Gitter hoch. Das ist ein praktisches System aus Sicht der Landwirte. (Bildquelle: Schmidtmann)

Zu Beginn stehen die Kälber in Einzelboxen. Nach etwa zehn Tagen nehmen Wesselers die Trennungen heraus. „Vorher markieren wir die Kälber“, erklärt Jannis: Die „Nuckler“ bekommen einen gelben Strich. Das sind die Kälber, die nur mit Nuckel trinken können. Die langsamen Trinker werden rot markiert. Entsprechend stallen die Landwirte die Kälber dann in Gruppen. Denn sonst würden die Starken und Schnellen bei der Trogtränke immer mehr trinken als die anderen.

Das ist aber schon das zweite Mal, dass sortiert wird; das erste Sortieren geschieht bei der Ankunft: Jedes Kalb wird gewogen, wenn es den Lkw verlässt. Außerdem stallen sie die weiblichen Tiere zusammen auf. Im aktuellen Durchgang sind fast 10 % Tiere weiblich, meist Kreuzungskälber. „Sie werden im Schnitt nicht ganz so schwer wie ihre männlichen Kollegen“, weiß Wesseler.

Im Sommer 2021 zogen die ersten Kälber in den zwangsbelüfteten Stall von Wesselers ein. Rund 5 % der Stallfläche sind Fenster. (Bildquelle: Schmidtmann)

Insgesamt ist die Familie zufrieden mit der Milchmast: „Das System passt zum Betrieb. Kälbermast ist planbar und gut zu kalkulieren. Das ist uns wichtig“, so Stephan Wesseler. Sein Sohn fügt hinzu: „Kälber machen Spaß und die Arbeit ist ­angenehm.“

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von Alina Schmidtmann

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