Welcher Milchviehhalter hätte sich träumen lassen, dass auf seinen Abrechnungen jemals Preise jenseits von 50 Cent/kg stehen werden? Das kam bislang nur im Biobereich vor. Doch im vergangenen Jahr war genau das auch bei konventionell und gentechnikfrei wirtschaftenden Betrieben der Fall. Und so haben einige die Entscheidung über Weitermachen oder Aufhören vertagt und der Strukturwandel hat sich 2022 verlangsamt.
Nach den Ergebnissen des AMI-Milchpreisvergleiches für 2022 zahlten die Molkereien in Nordrhein-Westfalen im Schnitt 54,04 Cent/kg für Milch ohne Gentechnik. Das waren 16,9 Cent/kg mehr als im Vorjahr. Gentechnikfrei erzeugte Milch ist mit einem Anteil von gut 81 % in NRW zum Standard geworden. Nur noch rund 15 % stammen aus konventioneller Fütterung. Der Anteil der Biomilch lag 2022 bei 3 %. Daher beziehen sich alle im Folgenden genannten Preise, soweit nicht anders vermerkt, auf Milch ohne Gentechnik mit 4,2 % Fett und 3,4 % Eiweiß sowie auf eine Jahresanlieferung von 500 t (Kasten „So haben wir gerechnet“).
So haben wir gerechnet
Alle Preisangaben beim AMI-Milchpreisvergleich beziehen sich, soweit nicht anders vermerkt, auf gentechnikfrei erzeugte Milch mit 4,2 % Fett und 3,4 % Eiweiß sowie eine Jahresanlieferung von 500 t. Die AMI-Experten unterscheiden konventionell, gentechnikfrei und ökologisch erzeugte Milch, ebenso wie Weide-, Heu-, Bergbauern- oder Tierwohlmilch. In den ausgewiesenen Preisen für Milcharten mit besonderen Anforderungen an die Erzeugung sind die dafür gezahlten Zuschläge in voller Höhe enthalten. Anders verhält es sich mit Zuschlägen für Nachhaltigkeitsprogramme. Hier ist der durchschnittlich gezahlte Zuschlag für Nachhaltigkeit im Preis berücksichtigt.
Im überregionalen Vergleich landete NRW auf Rang 4. Das Spitzentrio bildeten die drei Küstenanrainer angeführt von Niedersachsen mit 55,63 Cent/kg vor Schleswig-Holstein mit 55,30 Cent/kg und Mecklenburg-Vorpommern mit 54,13 Cent/kg. Gegenüber dem Bundesmittel konnten die Milcherzeuger zwischen Rhein und Weser einen leichten Vorsprung von 0,6 Cent/kg ausbauen, nachdem man dieses im Jahr zuvor nahezu exakt getroffen hatte.
Blinker links und ab die Post!
Wie auf der Überholspur stürmten die Milcherzeugerpreise im vergangenen Jahr voran. Wie kam es dazu? Am Jahresanfang war das Rohstoffaufkommen noch knapp, auch die Inhaltsstoffe fielen niedrig aus. Dementsprechend stand weniger Milch für die Weiterverarbeitung zur Verfügung, Bestände waren kaum vorhanden. Das gedämpfte Angebot traf auf eine anziehende Nachfrage. Wie so oft schlug sich dies zuerst an den Spotmärkten für flüssige Rohstoffe nieder. Die Preise für Pulverprodukte, Butter und Käse folgten. Sie kletterten im Verlauf des ersten Halbjahres auf neue historische Höchstwerte.
Hinter den sprunghaft gestiegenen Notierungen für Industrieware und im Großhandel blieben die Abgabepreise für Konsummilch und Frischprodukte an den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) kontraktbedingt über Monate zurück. Deren Hersteller gerieten damit in einen massiven Verwertungsnachteil. Erst nach der Jahresmitte wurden im Basissortiment höhere Preise durchgesetzt. Gleichzeitig kippte der Markt. Auf die hohen Erzeugerpreise hatten die Milchbetriebe mit Mengenausweitungen reagiert. Am Weltmarkt beruhigte sich die Nachfrage als Folge der zunehmenden Inflationsraten, die auch durch die Energiekrise in die Höhe getrieben wurden, jedoch zunehmend.
FrieslandCampina steht vorne
Die Milchverwaltung FrieslandCampina Germany landete im landesinternen Vergleich mit 55,58 Cent/kg auf Platz 1. Das war den Lieferanten vergönnt, die Weidemilch liefern und ihre Kühe an mindestens 120 Tagen grasen lassen. Dafür zahlt das zur niederländischen Großgenossenschaft gehörende Unternehmen einen Zuschlag von 1,5 Cent/kg, ein Teil davon wird allerdings einbehalten und verrechnet. Ohne Weide erhielten die Mitglieder 54,08 Cent/kg. Auch im deutschlandweiten Vergleich landete das Unternehmen mit der Weidemilch unter den Top 10. Der Vergleichspreis für Teilweide und auch jener ohne Weidezuschlag fiel bundesweit gesehen ebenfalls überdurchschnittlich aus.
frischli mit Aufholjagd nach Corona
Die Nummer zwei kommt aus Niedersachsen. Die frischli Milchwerke aus Rehburg-Loccum zahlten nach AMI-Berechnungen 55,12 Cent/kg und haben sich damit deutlich im regionalen Ranking nach oben geschoben. Darin ist die Nachzahlung noch nicht enthalten. Das Unternehmen erfasst neben gentechnikfrei auch rein konventionell erzeugte Milch. Hierfür erhielten die Lieferanten 54,37 Cent/kg. frischli ist in den Zielmärkten LEH, Foodservice, Industrie und Pulver unterwegs. In Zeiten der Corona-Pandemie waren vor allem die Absatzmengen im Foodservice bedingt durch die Lockdownmaßnahmen deutlich gesunken, was die Erträge in diesem Bereich und die Auszahlung belastete.
Arla: Die Königin der Zuschläge
Platz drei belegte mit Arla Foods wiederum eine international agierende Genossenschaft. Der Vergleichspreis für Weidemilch, die nach den Vorgaben von „Pro Weideland“ erzeugt wurde, betrug 54,79 Cent/kg. Der Zuschlag dafür wurde Mitte 2022 von 0,5 Cent/kg auf 1,5 Cent/kg erhöht. Ohne diesen erhielten die Mitglieder 53,71 Cent/kg für Milch ohne Gentechnik, womit das Landesmittel nicht erreicht wurde.
Aufgrund der gestiegenen Preise für gentechnikfreie Futtermittel hatte Arla den Zuschlag im März des vergangenen Jahres um 0,5 Cent auf 1,5 Cent/kg erhöht, im laufenden Jahr wieder auf 1 Cent/kg gesenkt. Den gleichen Betrag gibt es noch mal, wenn die Mitglieder Klima-Check-Daten übermitteln. Überhaupt heißt es bei Arla auf die Zuschläge und Inhaltsstoffe achten, bei keiner anderen Molkerei sind sie so hoch. Im Schnitt waren es im vergangenen Jahr gut 8 Cent/kg, die die Molkerei zusätzlich auf den Basispreis zahlte.
Höchste Anforderung, höchste Preise
Die Moers Frischeprodukte geht mit dem Vergleichspreis für Haltungsform 4, der bei 58,36 Cent/kg lag, außer Konkurrenz ins Rennen. Dafür muss die Haltung der Kühe allerdings auch höchsten Ansprüchen genügen und die Kriterien des Tierschutzlabels „Premium“ einhalten. Sind diese erfüllt, dann zahlt das Joint Venture von Dr. Oetker und der bayerischen Molkerei Gropper einen Zuschlag in Höhe von 4 Cent/kg. Für gentechnikfreie Milch ohne die genannten Anforderungen erhielten die Lieferanten 54,33 Cent/kg und einen im landes- und bundesweiten Vergleich überdurchschnittlichen Preis.
DMK über dem Schnitt
Das Deutsche Milchkontor (DMK), Deutschlands größte Molkerei, konnte 2022 sowohl bundes- als auch landesweit Plätze gut machen und zahlte für Milch ohne Gentechnik einen überdurchschnittlichen Preis. Dieser betrug 54,46 Cent/kg und für rein konventionell erzeugte Milch 53,46 Cent/kg. Das waren jeweils rund 18 Cent/kg mehr als im Vorjahr. Darauf haben die Mitglieder lange gewartet. Mit der breiten Produktpalette von Ware für Industrie, Handel und Foodservice partizipierte die Genossenschaft an den in allen Segmenten, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, gestiegenen Preisen.
Was war sonst noch los?
Die Marktentwicklung im vergangenen Jahr benachteiligte zunächst ein Produktportfolio wie es unter anderem Hochwald Milch aufweist. Der Vergleichspreis stieg zwar deutlich auf 53,47 Cent/kg, verfehlte jedoch den nordrhein-westfälischen Schnitt. Das Bundesmittel wurde getroffen. Die Genossenschaft aus dem rheinland-pfälzischen Thalfang ist stark im Handelsmarkengeschäft. Damit waren weite Teile der Milch zunächst in den längerfristigen Kontrakten mit dem LEH gebunden und konnten der bereits Ende 2021 einsetzenden Preisrallye an den Spotmärkten nicht folgen. Die Vertragslaufzeiten erweisen sich im laufenden Jahr allerdings als vorteilhaft, in den ersten Monaten von 2023 zahlte Hochwald überdurchschnittliche Preise.
Die Molkerei Wiegert sowie das F+S Milchwerk Coesfeld gehören beide zur Fude + Serrahn Gruppe aus Hamburg, die sich auf den regionalen und saisonalen Ausgleich für Molkereiprodukte spezialisiert hat und intensiv mit flüssigen Rohstoffen handelt. Mit einem Vergleichspreis von 52,69 Cent/kg blieb man im Jahr 2022 unter dem NRW-Landesmittel.
Kenner im Foodservice
Drei Molkereien mit Sitz in Westfalen und Umfeld stellen vor allem Produkte für den Außer-Haus-Markt her. Ihre Absatzmärkte waren während der Corona-Pandemie stark eingebrochen. Sie dürften zwar von deren Ende profitiert haben, allerdings blieben die Erlösmöglichkeiten im Foodservice hinter den rasant gestiegenen Preisen für Commodities wie Pulver und Blockbutter zurück. Auch war die hohe Inflation nicht förderlich für den Außer-Haus-Verzehr.
In zwei Fällen steht die Nachzahlung noch aus, daher ist der Vergleich erschwert. Das gilt für die Privatmolkerei Naarmann bei beiden Milcharten und bei der konventionellen Milch auch für die Sahnemolkerei Hubert Wiesehoff. Letztere erfasste 2022 nur rein konventionell erzeugte Milch. Gleiches ist auch bei der Mertens Molkerei aus Neuenkirchen der Fall. Die Lieferanten des Großhandelsspezialisten erhielten für ihren Rohstoff 53,91 Cent/kg.
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