Große Teile der Bevölkerung wissen heute nicht mehr, wo ihre Lebensmittel herkommen und wie sie konkret erzeugt werden. Die Menschen wissen auch nur wenig über die Arbeitsabläufe und Zusammenhänge in der Landwirtschaft. „Das wollen wir ändern und unseren Mitbürgern zeigen, was wir tun“, erklärt Silas Nobbe.
Der Agrarbetriebswirt ist 23 Jahre alt und bewirtschaftet zusammen mit seinen Eltern in Stemwede-Sundern einen Betrieb mit Ackerbau und Grünland, Sauenhaltung, Schweinemast und einer kleinen Gallowayzucht. Ihm sind die zahlreichen Vorurteile und Falschnachrichten über die heimische Landwirtschaft ein Dorn im Auge.
Deshalb hat er vor zwei Jahren gemeinsam mit einigen befreundeten Junglandwirten und -landwirtinnen die Instagram-Gruppe „@landwirtschaft_stemwede“ ins Leben gerufen. Den Ausschlag zur Gründung gab damals eine Serie von gefährlichen Sabotagen: Zuerst wurden bei mehreren Landwirten in der Region die Radbolzen bzw. -muttern am Schlepper gelöst. Nur durch viel Glück kam es nicht zu schlimmen Unfällen.
Anschließend brannte ein Schweinestall mit mehreren Hundert Tieren darin ab, nachdem zwei am Stall abgestellte Traktoren in Brand gesetzt wurden. Die Stemweder Landwirte waren tief schockiert und verunsichert.
„Zeigen, wie wir arbeiten“
„Hier muss etwas passieren“, dachten sich Silas und seine Freunde: „Wir müssen dringend etwas gegen die landwirtschaftsfeindliche Stimmung tun.“ Diese basiert nach Überzeugung der Gruppenmitglieder oftmals auf einer tiefen Unwissenheit, die mit der Zeit nicht selten in Skepsis und Misstrauen umschlägt.
Genau dort wollen die jungen Leute ansetzen, berichtet Nina Keßmann: „Am besten ist, wenn wir den Menschen zeigen, wie wir arbeiten und warum wir unseren Beruf und das Landleben lieben“, erklärt die 27-Jährige aus Stemwede-Dielingen, deren Familie dort unter anderem Landwirtschaft mit Hennenhaltung und Direktvermarktung betreibt.
„Wir Landwirte haben schließlich nichts zu verbergen. Und dass wir mit unserer Arbeit letztendlich Geld verdienen wollen, ist weder verwerflich noch gesetzeswidrig“, findet Christian Wiese. Der Ackerbauer und Schweinemäster aus Stemwede-Drohne möchte über den gemeinschaftlichen Instagram-Account ein Gegengewicht zu den Negativ-Nachrichten und Bildern vor allem in den überregionalen Medienformaten entwickeln.
„Die schlimmen Bilder aus nächtlichen Stalleinbrüchen oder die dreisten Behauptungen einiger Schauspieler bilden doch nicht den Alltag in unseren Betrieben ab“, ergänzt Dominik Schmedt, der in Stemwede-Dielingen nicht nur Schweine und Bullen mästet, sondern mit den Mutterkühen des elterlichen Betriebes zusätzlich die Landschaft pflegt.
Alle filmen – einer postet
Die Instagram-Gruppe @landwirtschaft_stemwede ist eine Teilmenge aus der fast 50 Mitglieder umfassenden WhatsApp-Gruppe der Stemweder Junglandwirte. Sie besteht zurzeit aus einem knappen Dutzend Aktiven mit landwirtschaftlicher Fachqualifikation und/oder bäuerlichem Hintergrund.
Beim Vor-Ort-Termin mit dem Wochenblatt waren vor Kurzem Nina Keßmann, Fabienne Sander, Noah Rümke, Dominik Schmedt, Christian Wiese sowie Silas Nobbe und seine Schwester Sintje mit von der Partie. Des Weiteren unterstützen Florian Röttger aus Stemwede-Twiehausen, Julian Aping aus Stemwede-Westrup und Marie-Louise Lilie aus Stemwede-Haldem das Team nach Kräften.
Immer dann, wenn jemand aus der Gruppe etwas Interessantes erlebt, bzw. wenn sie oder er das Gefühl hat, dass dieser Zusammenhang für Nichtlandwirte vielleicht erklärungswürdig ist, wird das Handy gezückt und es werden spontan ein paar Bilder oder ein kurzes Video angefertigt. Anschließend informieren die Junglandwirte und -unternehmerinnen Silas Nobbe, der das Material sichtet, bei Bedarf etwas aufbereitet und über den Instagram-Account postet. Dort trägt es dann dazu bei, einer breiten Öffentlichkeit ein wirklichkeitsnahes Bild von der Landwirtschaft zu vermitteln.
Erklären statt belehren
„Interessante Geschichten aus unserem Alltag gibt es reichlich. Und gute Bilder dazu finden sich auch. Also lasst uns der Bevölkerung doch selber zeigen, was bei uns so alles läuft,“ beschreiben Fabienne Sander (21) aus Stemwede-Wehdem und Noah Rümke (19) aus dem benachbarten Niedermehnen den Ansatz von @landwirtschaft_stemwede.
Fabienne kann beispielsweise regelmäßig authentische Bilder und Wissenswertes aus dem Sauenstall beisteuern, Noah hält im Nebenerwerb Mutterkühe und kennt sich zudem bestens in der Milchviehhaltung aus. Und falls mal ein Blick über den Tellerrand gefragt ist, kann Sintje Nobbe diesen problemlos liefern. Die Schwester von Silas absolviert derzeit ein duales Studium zur Wirtschaftsingenieurin und trifft dabei viele Leute, die nicht vom Hof kommen.
Den jungen Leuten ist es dabei wichtig, gegenüber ihrem Publikum nicht mit „erhobenem Zeigefinger“ zu erscheinen. Sie wollen informieren, aber nicht missionieren und erklären, statt zu belehren.
Auch kritische Themen
„Wir möchten hartnäckige Vorurteile widerlegen, aber nichts beschönigen“, erklären Christian, Fabienne und Nina das Konzept. So sollte man den Verbrauchern beispielsweise offen darlegen, dass in der Tierhaltung bei Bedarf Antibiotika eingesetzt werden.
Allerdings darf man gleichzeitig erklären, dass zur Therapie ein Antibiogramm zur Abschätzung der Wirksamkeit der ausgewählten Arzneimittel gehört und ein Nichtbehandeln akut erkrankter Schweine, Kälber oder Hähnchen ein unverantwortlicher Tierschutzverstoß wäre. „Daran sollten jene Zeitgenossen einmal denken, die aus dem Bauch heraus einen generellen Verzicht auf Medikamente in der Tierhaltung fordern“, ärgert sich Dominik.
Ein weiteres Beispiel für den Erklärungsbedarf der Landwirte ist die Fahrt mit der Pflanzenschutzspritze am Abend bzw. in der Dunkelheit. Das sorgt in der Bevölkerung häufig für Argwohn, wissen Silas, Sintje und Noah. Auf ihrem Instagram-Account klären sie daher per Videobotschaft auf: Nachts ist es oftmals windstill und die Luftfeuchtigkeit ist höher. Dadurch ist die Abdrift der Mittel gering und die Wirkstoffe gelangen optimal an die Pflanzen. Außerdem sind nachts deutlich weniger Insekten aktiv.
Aktionen kommen gut an
Die Stemweder Junglandwirte nutzen aber nicht nur die sozialen Medien, um ihr Tun ins rechte Licht zu rücken. In den vergangenen Jahren haben sie zusätzlich zahlreiche Aktionen organisiert, von denen die Allgemeinheit profitiert hat.
Ein großer Erfolg war beispielsweise der Anbau von Kartoffeln für die heimischen Tafeln auf Flächen, die nach dem Willen der Politik eigentlich stillgelegt werden sollten (Aktion „Kartoffeln statt Blühstreifen“). Die Bedürftigen haben sich riesig über die Spende gefreut und die Landwirte konnten damit öffentlichkeitswirksam ihren Stellenwert für die sichere Lebensmittelversorgung unterstreichen.
Auch das kostenlose Verteilen kleiner Blühmischungspakete (Aktion „Stemwede blüht“) für den Garten oder die stimmungsvollen Lichterfahrten zu Nikolaus kommen gut an. Sie bringen Landwirte und Nichtlandwirte näher aneinander.
Die Stemweder Junglandwirte sind daher froh über den großen Zusammenhalt und die Unterstützung beispielsweise durch den Gemeindeverband. „Nicht alle können aktiv sein, aber viele – auch ältere – Landwirte helfen uns gern“, erklären Dominik, Fabienne und ihre Mitstreiter.
Die Rückmeldungen aus den sozialen Netzwerken, aber auch die persönlichen Gespräche auf der Straße zeigen den jungen Frauen und Männern zudem, dass ihr Engagement wahrgenommen wird und durchaus etwas bringt: „Man muss jedoch dran bleiben“, lautet ihr Fazit. Deshalb werden sie weiter fleißig Fotos und Geschichten aus ihrem Alltag verbreiten, um das Bild der Landwirtschaft in der Bevölkerung Stück für Stück näher an die Realität heranzubringen.“
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