Für Martin Laß ist der Weg bereits seit Jahren klar. Der Landwirt, Energiewirt und Unternehmer sieht in Biogas nicht die, aber doch einen bedeutenden Teil der Lösung auf dem Weg zu einer erneuerbaren, preisgünstigen und sicheren Energieversorgung. Und das längst nicht nur bei Strom, sondern auch im Wärme- und Verkehrssektor. In Tüttendorf, an der Grenze zu Gettorf im Kreis Rendsburg-Eckernförde, Schleswig-Holstein, betreibt der 43-Jährige seit dem Jahr 2009 eine fast normale landwirtschaftliche Biogasanlage. Vorne kommen Substrate wie Silomais, Rinder- und Schweinegülle, Gras, Rüben, Getreide-Ganzpflanzensilage, Zuckerrüben und Durchwachsene Silphie hinein und hinten kommen Biogas und Gärreste heraus.
Nicht einzigartig, aber auch nicht gerade durchschnittlich sind Größe und Anlagenkonzept. Angefangen im Jahr 2009 hat Laß seine Biogasanlage über die Jahre zu einem, wie er sagt, regenerativen Speicherkraftwerk weiterentwickelt. Zu diesem gehören neben drei Standorten für Blockheizkraftwerke (BHKW), drei Wärmespeicher mit 1500 m3, 2000 m3 und 3000 m3 sowie ein Gasspeicher, liebevoll „Tüttendorfer Ei“ genannt. Bei einer Breite von 40 m, einer Länge von 80 m und einer Höhe von 20 m fasst der Gasspeicher 44 000 m3 Gas. Genug, um das ständig nachproduzierte Biogas über 60 Stunden speichern zu können. Ziel des Anlagenkonzeptes ist es, die bei der Verstromung anfallende Wärme zum Heizen von Wohnhäusern, Schulzentrum und anderen Gebäuden des naheliegenden Ortes Gettorf sinnvoll zu nutzen und gleichzeitig nur dann Strom zu produzieren, wenn er tatsächlich benötigt wird. „Biogas dann zu verstromen, wenn sich die Windräder drehen und die Sonne scheint, belastet völlig unnötig die Netze“, sagt Laß. Entsprechend hat er die Leistung seiner BHKW so hoch gewählt, dass diese zurzeit die jährlich anfallende Biogasmenge in weniger als 3000 der insgesamt 8760 Jahresstunden verstromen können. Sie laufen also nicht in Grundlast ständig gleichmäßig durch, sondern starten erst dann, wenn Strom knapp und deswegen relativ teuer ist. Der große Warmwasserspeicher sorgt dafür, dass die Wärmekunden nicht frieren müssen, wenn die BHKW stehen. Durch einen weiteren BHKW-Zubau möchte Laß die Zeit, in der die Motoren laufen müssen, zukünftig auf 1000 bis 2000 Stunden pro Jahr reduzieren. Die Verstromung also noch stärker an den Strombedarf anpassen.
Geliebt und verflucht – der Silomais
Ende des vergangenen Jahres waren deutschlandweit knapp 9900 Biogasanlagen am Netz. Ausrichtung und Größe der Anlagen gehen weit auseinander. Betreiber verfolgen in erster Linie folgende Geschäftsmodelle:
- Die meisten Biogasanlagenbetreiber verdienen ihr Geld damit, Strom zu produzieren. Dafür erhalten sie über 20 Jahre eine feste, über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) garantierte Förderung. Durch Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren ist eine Verlängerung um weitere zehn Jahre möglich.
- Über die Direktvermarktung des Stroms haben Betreiber die Chance, höhere Erlöse für ihren Strom zu erzielen. Voraussetzung für höhere Erlöse ist aber, dass Betreiber ihren Strom wie Martin Laß bedarfsgerecht, also in „Strommangelzeiten“ produzieren.
- Bei der Verstromung von Biogas in BHKW entsteht immer Wärme (Kraft-Wärme-Kopplung). Diese lässt sich als Heizwärme oder zum Beispiel zum Trocknen von Holz oder Getreide nutzen.
- Nicht alle Betreiber verstromen ihr Biogas. Mithilfe von Gasaufbereitungsanlagen erhalten Betreiber Methan in Erdgasqualität. Das saubere Methan lässt sich ins Erdgasnetz einspeisen und kann dann an anderer Stelle in BHKW eingesetzt werden oder als Kraftstoff für Autos, Lkw oder Schiffe dienen.
- Der nach der Vergärung verbleibende Gärrest ist ein organischer Mehrnährstoffdünger. Durch verschiedene Aufbereitungsschritte lassen sich hieraus verschiedene Dünger herstellen. Zum Beispiel Ammoniumsulfat-Lösung oder ein trockenes Granulat, das es in manchen Gartenmärkten zu kaufen gibt. Im Gartenbau laufen zudem Versuche, Gärrest in Kultursubstraten als Torfersatz zu verwenden.
Auch durch die eingesetzten Substrate unterscheiden sich Biogasanlagen: So gibt es spezielle Abfallanlagen, die etwa altes Speiseöl oder andere Lebensmittelreste verwerten oder Anlagen, die nur bzw. überwiegend Mist und Gülle einsetzen. Der überwiegende Teil sind aber klassische landwirtschaftliche Anlagen, die – wie bei Martin Laß – neben Gülle und Mist teilweise auch Reststoffe wie Getreide- oder Maisstroh vergären, überwiegend aber Anbaubiomasse einsetzen. Deutschlandweit wachsen aktuell auf etwas mehr als 1,3 Mio. ha Acker- und Grünland Zuckerrüben, Gras, Getreide oder andere Pflanzen für die Erzeugung von Biogas. Auf Platz eins steht dabei nach wie vor mit gut 940 000 ha Silomais. Die Gründe: Sein Einsatz wurde bis zur Einführung des Maisdeckels im Jahr 2012 über die Förderkulisse des EEG angereizt. Zudem liefert er mit relativ wenig Aufwand hohe und relativ sichere Trockenmasse- und damit Energieerträge.
Kritikpunkt: Mangelnde Effizienz
Energieerträge, die Kritikern nicht hoch genug sind. Jonas Böhm vom Thünen-Institut in Braunschweig etwa rechnet vor, dass mit dem Anbau von Mais für die Biogasanlage ohne Berücksichtigung der Abwärmenutzung gerade sieben Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgt werden können. Sehr viel effizienter, so der Wissenschaftler, sind Photovoltaik-Freiflächenanlagen mit 230 Haushalten je Hektar und Windenergie mit 6000 Haushalten je Hektar genutzter Fläche. Mit Blick auf Wärme sieht der Vergleich ähnlich aus: sieben Haushalte je Hektar bei Biogas (Abwärme) zu 170 Haushalten bei PV und 4300 Haushalten bei Wind (Wärmepumpe). Das sind in der Tat enorme Unterschiede.
Doch für Anlagenbetreiber Laß hinkt der Vergleich: „Biogas, Photovoltaik und Windenergie lassen sich nicht einfach nebeneinanderstellen. Biogas lässt sich speichern. Also sollte man Biogas nicht mit der PV-Paneele oder dem Windrad, sondern mit der Lithium-Ionen-Batterie vergleichen“, sagt er und ergänzt, dass in einem zukunftsträchtigen Energiesystem, das auf den volatilen erneuerbaren Energieträgern Wind und Sonne beruht, funktionierende Speicher dringend erforderlich sind. Zumindest in diesem Punkt stimmt er mit Jonas Böhm überein.
Biogas im Energiesystem der Zukunft
Speicher und flexibel einsetzbare Energieträger wie Gas spielen auch in anderen Überlegungen eine wichtige Rolle. Nach einer Studie des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE) zum neuen Strommarktdesign hat Deutschland ausreichend Potenzial für erneuerbare Energien, um weitestgehend selbstständig die Klimaziele und eine hohe Versorgungssicherheit zu erreichen. Im Mittelpunkt stehen neben einem starken Ausbau von Sonne- und Windenergie auch die Schaffung von Flexibilitäten, also von verschiebbaren Lasten auf Verbraucher- und steuerbarer Produktion auf Erzeugerseite sowie ein Ausbau von Speichern. Flexibel eingesetzte Bioenergie beispielsweise kombiniert mit Gas- und Stromspeichern sowie steuerbaren Wasserkraftanlagen könnte, so die Studie, die Versorgungssicherheit soweit bereitstellen, dass Deutschland fast vollständig auf den Einsatz hochflexibler Wasserstoff (H2)-Gaskraftwerke verzichten kann. Guter Nebeneffekt dabei: Der wertvolle und knappe Wasserstoff könnte in anderen Wirtschaftsbereichen eingesetzt werden. Die Kosten für die Stabilisierung der Netze, also für den Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage, könnten letztendlich um mehrere Milliarden Euro sinken. Ein Wow für Biogas.
Biogas als Erdgasersatz
Auch das Deutsche Biomasseforschungszentrum (DBFZ) ist der Meinung, dass Biogas und Biomethan zukünftig flexibel eingesetzt werden müssen und dann dabei helfen, die Lücke zwischen Stromnachfrage und -angebot, Fachleute sprechen von Residuallast, zu decken. Biogas ersetzt dann das heute in der Spitzenlast eingesetzte fossile Erdgas.
Und das ist dringend nötig. Denn neben dem Klimaschutzgedanken hat spätestens der russische Angriffskrieg auf die Ukraine dafür gesorgt, dass politisch vehement nach einem Ersatz für fossiles Erdgas gesucht wird. Einen Vorstoß machte im vergangenen Jahr die EU-Kommission mit ihrem Programm RepowerEU. Um russisches Erdgas langfristig zu ersetzen, möchte die EU-Behörde die europäische Biomethanproduktion bis zum Jahr 2030 von heute 3 auf dann 35 Mrd. m3 steigern. Deutschland liegt, was die Produktion von Biogas betrifft, EU-weit vorne und könnte einen großen Beitrag dazu leisten.
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