Vor gut 20 Jahren erschütterte die BSE-Krise die heimische Landwirtschaft bis ins Mark. Die damaligen Vorgänge rund um unsachgemäß verarbeitetes und an Wiederkäuer verfüttertes Tiermehl aus Großbritannien mündeten in einem totalen Einsatzverbot von Nebenprodukten tierischen Ursprungs in der Nutztierfütterung. Erst Ende 2021 wurde die entsprechende EU-Verordnung novelliert. Unter definierten Auflagen dürfen seither wieder tierische Proteinträger in der Schweinefütterung eingesetzt werden.
Das hilft möglicherweise im Hinblick auf die Herausforderungen eines Kupierverzichtes. Schließlich sind viele Praktiker fest davon überzeugt, dass die seit dem Jahr 2001 verordnete, zwangsweise vegetarische Ernährung der ansonsten „omnivoren“ (allesfressenden) Schweine, deren Hang zu Verhaltensstörungen verstärkt oder sogar verursacht.
Versuch macht klug
Um dieser Frage nachzugehen, sollte in einer Untersuchung im sächsischen Lehr- und Versuchsgut Köllitsch geklärt werden, ob und wie sich der vollständige Austausch von Sojaextraktionsschrot gegen Geflügel- oder Fischmehl auf unerwünschtes Tierverhalten, die Leistung und Gesundheit der Tiere auswirkt. Insgesamt wurden 592 Ferkel über vier Durchgänge in zwei verschiedenen, hinsichtlich der Fütterungstechnik unterschiedlich ausgestatteten Abteilen aufgezogen. Bei etwa zwei Dritteln der Ferkel wurde der Schwanz kupiert. Bei den restlichen Tieren wurde auf den Eingriff verzichtet.
Während der 35-tägigen Aufzucht wurden die Ferkel gemischtgeschlechtlich in Gruppenbuchten à 19 Tieren und mit 0,37 m² Platz je Ferkel aufgestallt. Vor dem Absetzen wurden die Tiere einzeln gewogen und anschließend nach wissenschaftlichem Standard für Fütterungsversuche auf die Behandlungsgruppen verteilt. Die zweite Wägung erfolgte nach einer Anfütterungsphase aller Ferkel mit dem gleichen Ferkelaufzuchtfutter I (FAZ I) nach sieben Tagen sowie zum Versuchsende.
Schwanzverletzungen und -nekrosen wurden zweimal wöchentlich auf einer Skala von 1 bis 4 bonitiert und die biologischen Leistungen festgestellt. Ab dem 8. Haltungstag wurde auf das betriebseigene FAZ II in Versuchs- und Kontrollgruppen umgestellt. Bei gleichen Basiskomponenten (Gerste, Weizen, Mineralfutter) erfolgte die Proteinergänzung der Kontrollgruppen über Sojaextraktionsschrot (HP-SES mit 48 % Rohprotein).
Tierprotein statt Soja
Die Versuchsgruppen erhielten stattdessen Geflügelmehl mit 60 % Rohprotein bzw. Fischmehl mit 65 % Rohprotein. Das Ziel waren gleiche Energie- und Lysingehalte der Versuchs- und Kontrollmischungen. Dazu wurden 14 % HP-Soja gegen etwas mehr oder weniger als 10 % Geflügel- oder Fischmehl und 4 % Getreide ausgetauscht. Die Optimierung der Futter erfolgte auf Basis der deklarierten Inhaltsstoffe, weil uns die Analytik des für den Versuch vorgesehenen Fisch- und Geflügelmehls zu lange dauerte. Das war ein Fehler, denn es zeigte sich, dass die Produkte je nach Herstellungscharge doch etwas anders zusammengesetzt sein können als vom Hersteller angegeben.
Daraus resultierten leichte, nicht gewollte Unterschiede in der Zusammensetzung der Futtermischungen: Die Versuchsfutter mit Fischmehl enthielten mit +0,3 MJ ME/kg etwas mehr Energie als vorgesehen. Die Versuchsfutter mit Geflügelmehl enthielten analytisch mit +0,6 % etwas mehr Rohprotein als vorab berechnet. Das Aminogramm aller Versuchs- und Kontrollfutter war jedoch wie gewollt nahezu identisch. Ein wesentlicher, in Kauf genommener Unterschied zwischen Versuchs- und Kontrollgruppen besteht aber in der Ausstattung der Futter mit Mineralstoffen. Da die eingesetzten tierischen Produkte aufgrund ihres Verarbeitungsanteils von Knochen bzw. Gräten per se mehr Ca und P liefern, hätte ein speziell darauf eingestelltes Mineralfutter einen Ausgleich schaffen können. Darauf wurde aber bewusst verzichtet. So enthielten die Versuchsfutter durchschnittlich 0,26 % mehr Ca und 0,13 % mehr P. Dadurch wurde das Ca : P-Verhältnis der Versuchsfutter mit 1,5 : 1 gegenüber 1,2 : 1 in der Kontrolle sogar etwas ungünstiger.
Biologische Leistungen
Übersicht 1 zeigt die biologischen Leistungen der Tiere. Die Ferkel der Geflügelmehl-Gruppen fraßen etwa 35 g mehr Futter als ihre Zeitgefährten mit Sojaergänzung. Das tierische Protein wurde von den Tieren also offensichtlich gerne gefressen. Das bestätigt die Vorliebe der Schweine für Fleischgeschmack („Umami“), die auch in der Literatur mehrfach beschrieben ist.
Der größere Futterverzehr mündete in signifikant höheren Ausstallgewichten und besseren täglichen Zunahmen gegenüber den „Soja“-Ferkeln in diesem Teil des Versuches. Im Sojaschrot-Fischmehl-Vergleich erreichten die Versuchstiere dagegen im Mittel keine besseren Leistungen. Der Futterverbrauch lag insgesamt auf höherem Niveau. Das wurde von den Tieren allerdings nicht in bessere Zunahmen umgesetzt, was womöglich mit den hohen Umgebungstemperaturen im Frühsommer 2022 zu tun hat. Während die Versuchsdurchgänge mit Geflügelmehl nämlich bereits in der kühleren Jahreszeit angelaufen sind, mussten die Durchgänge mit Fischmehl später erfolgen.
Ökonomisch gesehen ist Geflügelmehl zudem eine preisgünstige Alternative zu anderen tierischen Proteinträgern: Im Versuchszeitraum war die Mischung mit Geflügelmehl mit 39,61 €/dt etwa 16 € günstiger als die Mischung mit Fischmehl, aber nur etwa 3 €/dt teurer als die Kontrollmischung mit Sojaextraktionsschrot.
Gesundheit und Verhalten
Hinzu kommt ein positiver Einfluss auf die Tiergesundheit. Beim Einsatz von tierischem Protein wurden signifikant weniger an Durchfall erkrankte Ferkel beobachtet (Übersicht 1). In den Versuchsgruppen waren es im Mittel 0,2 Ferkel je Bucht; in den Kontrollbuchten 0,6 Ferkel. Es gibt offensichtlich eine statistisch absicherbare, positiv gerichtete Beziehung zwischen Durchfallgeschehen und Fischmehl- bzw. Geflügelmehleinsatz.
Dieser wird im Allgemeinen mit der noch nicht vollständig entwickelten Verdauungsfähigkeit der Ferkel oder einer gewissen allergenen Wirkung von Sojaproteinen erklärt. Die Proteine tierischen Ursprungs unterstützen die Entwicklung des noch juvenilen Darms (Darmzotten). Zudem überträgt sich im vorliegenden Versuch die von der Fütterung offensichtlich beeinflusste Darmgesundheit auch auf das Tierverhalten.
An Durchfall erkrankte Tiere geraten in Mangelsituationen. Die Ferkel zeigen dann ein stärker ausgeprägtes Nährstoffsuchverhalten, das sich in gegenseitigem Bewühlen und Belecken der Einrichtung äußert, aber auch schnell in Schwanzbeißen (Caudophagie) münden kann. Zunächst traten die Probleme mit Durchfall mehr als doppelt so häufig in den Kontrollgruppen mit Sojafütterung auf. In der Folge wurde fast die Hälfte der Ferkel einer Bucht als aggressiv mit hoher Grundspannung eingestuft (Übersicht 2).
Weniger Entzündungen?
Die Fütterung von tierischem Protein vermindert offensichtlich Entzündungsprozesse im Darm. Das führt bei mehr als 10 000 wiederholten Beobachtungen über alle Tiere zu einer signifikanten, wenn auch relativ geringen (–2 bis –3 %) Reduzierung des Nekrose- und Beißgeschehens.
Viel deutlicher wird der Einfluss der Fütterung aber bei den unkupierten Ferkeln. Von diesen erreichten – bei genauer Dokumentation auch kleinster Verletzungen nach unserem Köllitscher Standard – nur 37 % völlig unversehrt das Versuchsende: also ohne nekrotische Veränderung und nicht von Schwanzbeißen betroffen. Bei den kupiert eingestallten Ferkeln lag die „Erfolgsquote“ bei etwa 98 %!
Wie in Übersicht 3 zu erkennen ist, wurde in den rein pflanzlich ernährten Kontrollgruppen ein Vielfaches an schweren Schwanzverletzungen bonitiert. Dabei kommt der positive Effekt des Einsatzes von Geflügelmehl eher „von innen“ über eine Reduktion der Nekrosen, während der Fischmehleinsatz mehr von außen kommt: Hier war die Verringerung der Bissverletzungen besonders deutlich.
Ein Ausblick
Die Proteinquelle (tierisches oder pflanzliches Protein) hat offensichtlich einen Effekt auf die biologischen Leistungen, die Gesundheit und das Tierverhalten in der Ferkelaufzucht. Dieser wird aber erst deutlich, wenn man die Schwänze „dran lässt“.
Die Tiere der Versuchsgruppen zeigten im Vergleich zu den Kontrolltieren signifikant mehr Ruhe- und Normalverhalten. Insbesondere bei den unkupierten Ferkeln gab es gleichzeitig weniger nekrotische Veränderungen.
Das generelle Auftreten von Schwanzverletzungen konnte zwar nicht vermieden werden. Allerdings ließen sich schwerwiegende Schwanzverletzungen (Kategorie 3 und 4) weitgehend verhindern.
Der Weg zum flächendeckenden Kupierverzicht ist trotzdem noch weit. Die Wiederzulassung von tierischem Protein ist also nicht die alleinige Lösung für die Haltung unkupierter Ferkel.
Der Einsatz von hochwertigem Protein kann aber als ein Baustein auf dem Weg zum Kupierverzicht gewertet werden. Dabei ist Geflügelmehl eine preiswerte Alternative zum derzeit (zu) teuren Fischmehl.
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