Jahrelang haben Ralf Kreienbrock, Reinhard Meyer, Thorsten Thele, Kerstin Wesemann und einige weitere Berufskollegen ihre Milch an die Wiehengebirgsmolkerei Unterlübbe geliefert. Doch die „Wiemo“ mit Sitz in Hille im Kreis Minden-Lübbecke nimmt die Milch seit einigen Tagen nicht mehr ab – aus betrieblichen Gründen, wie es heißt.
Molkereiwechsel schwierig
Während die meisten größeren Betriebe unter den bisherigen Lieferanten relativ schnell eine andere Molkerei gefunden haben, wurde die oben beschriebene Gruppe vom Aus der Milchabfuhr kalt erwischt: In der aktuellen Marktsituation sind zusätzliche Milchmengen bei den Molkereien eigentlich durchaus willkommen. So sind in der Region unter anderem Frischli aus Rehburg-Loccum und das Deutsche Milchkontor (DMK) als Abnehmer unterwegs. Doch Kreienbrock, Meyer, Wesemann & Co. erzeugen „Anbinde-Milch“. Und diese ist bei den Molkereiunternehmen offenbar nicht gewünscht.
Dabei tun die Landwirte nichts Verbotenes. Die Anbindehaltung steht in Deutschland zwar in der Diskussion, weil sie wesentliche arteigene Verhaltensweisen der Kühe einschränkt. Viele Betriebe kombinieren sie jedoch mit Weidegang oder Auslauf (Kombihaltung). Außerdem ist diese Art der Milchviehhaltung überwiegend in kleineren Betrieben mit wenigen Kühen anzutreffen. Ein Umbau zum Laufstall oder ein Neubau kommt für die meisten dieser Landwirte nicht infrage. Wenn die Anbindehaltung verboten wird, sind sie raus. Die Berliner Ampel-Koalition möchte die Haltungsform dennoch beenden. Im Koalitionsvertrag ist dazu eine Übergangszeit von zehn Jahren genannt.
Handel macht Druck
Solange will der Lebensmittelhandel (LEH) offenbar nicht warten. Edeka, Aldi, Lidl, Netto und andere haben Milch aus ganzjähriger Anbindehaltung zum Teil schon ausgelistet. Die Kombinationshaltung mit Weide oder Auslauf könnte rasch folgen. Dem stehen die meisten betroffenen Betriebe hilflos gegenüber.
„Politik und Lebensmittelhandel drängen die kleinen Familienbetriebe aus dem Markt, obwohl deren Erhalt bei jeder Wahlkampfrede gefordert wird“, ärgert sich Joachim Schmedt beim Ortstermin auf dem Hof Kreienbrock über die Scheinheiligkeit der Verantwortlichen. Der stellvertretende Vorsitzende des WLV-Kreisverbandes Minden-Lübbecke kritisiert aber auch das Verhalten der Molkereien und vermisst vor allem bei den genossenschaftlichen Unternehmen die Solidarität mit den Milchbauern.
Betriebe suchen Abnehmer
Die meisten Betroffenen sehen die Anbindehaltung zwar nicht als Zukunftsmodell. Die Milcherzeugung ist aber bislang ein wichtiges Einkommens-Standbein der zumeist kleineren Gemischtbetriebe. Ralf Kreienbrock beispielsweise hält knapp 20 Kühe (Stalldurchschnitt 13.000 kg!) und mästet daneben Schweine. Thorsten Thele melkt aktuell zwölf Kühe und hält zudem rund 80 Zuchtsauen, deren Ferkel an feste Mäster gehen. In der Schweinehaltung wird jedoch auch kein Geld verdient. Reinhard Meyer hatte bislang rund 35 Kühe und betreibt dazu Rindermast.
Seit die Milch nicht mehr abgeholt wird, überlegen die Landwirte fieberhaft, wie es weitergehen kann. Wenn nicht ganz schnell eine Lösung gefunden wird, müssen die Kühe den Hof verlassen. Die züchterisch wertvollen Tiere finden trotz aktueller Futterknappheit vielleicht eine neue Bleibe bei Berufskollegen. Andere, nicht trächtige Tiere werden zum Schlachten verkauft. Die Landwirte selbst schauen sich nach alternativen Betätigungsfeldern um. „Wir würden aber lieber weiter melken“, sind sich die Betroffenen einig.
Das gilt auch für Familie Wesemann aus Raddestorf-Glissen, deren Nebenerwerbsbetrieb wenige hundert Meter nördlich der Landesgrenze im Kreis Nienburg liegt. Mutter Kerstin melkt gut 20 Kühe im Anbindestall. Ihr Mann Martin ist seit einer Erkrankung vor 25 Jahren nahezu blind und fällt als Arbeitskraft aus. Junior Jens hat einen nichtlandwirtschaftlichen Hauptberuf. „Bis zu meiner Rente möchte ich mich eigentlich noch um unsere Kühe kümmern“, erklärt Kerstin Wesemann. Danach soll auf Mutterkuhhaltung umgestellt werden. Die Familie hat auch schon über einen Umbau der Anbindehaltung zum Tiefstreustall nachgedacht. Wichtig wäre jedoch, dass die Milch aktuell weiter abgeholt wird.
Die Bäuerin hofft daher, dass vielleicht doch eine Molkerei dazu bereit ist, die kleinen Betriebe zumindest übergangsweise aufzunehmen. Daran arbeitet übrigens auch der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband. Bis Redaktionsschluss des Wochenblattes gab es jedoch noch keinen Durchbruch. Trotzdem hoffen die betroffenen Landwirte auf eine pragmatische Lösung. „Es kann doch nicht sein, dass wir ein wertvolles Lebensmittel entsorgen müssen, weil unsere Kühe angebunden sind. Die Milch ist doch deswegen nicht schlechter“, argumentiert Kerstin Wesemann.
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