Für die Schweinemäster kommt es gerade knüppeldick. Das wurde auf dem Webinar des Fachmagazins „top agrar“ Anfang der Woche erneut deutlich. Hier tauschten sich Branchenkenner zur aktuellen Situation am Schweinemarkt aus. Die wesentlichen Punkte:
- Durch Corona sind die Vorkosten um 0,50 bis 1,20 € je Mastschwein gestiegen.
- Auch die Schlachtgewichte haben sich durch eine stockende Schlachtung und Zerlegung erhöht - das Ausmaß ist abhängig vom Schlachtunternehmen. Besonders stark sind die Lieferanten von Tönnies betroffen. In Rheda beispielsweise wiegen Schlachtschweine im Schnitt über 100 kg – und das bereits seit Juli!
- Für viele Landwirte bedeutet das: höhere Futterkosten bei geringeren Erlösen je kg Schlachtgewicht. Denn übergewichtige Tiere werden am Schlachthof abgestraft.
- Gleichzeitig streichen Handel und Genossenschaften die Aufschläge auf die VEZG-Notierung zusammen. Landwirte berichten von entsprechenden „Corona-Abzügen“ von 2 bis 4 Cent je kg SG.
- Zu allem Überfluss ist ein rascher Abbau des Schweinestaus nicht zu erwarten. Denn immer wieder ploppen an verschiedenen Schlacht- und Zerlegebetrieben im gesamten Bundesgebiet Probleme mit Corona-Infektionen unter den Mitarbeitern auf. Derzeit ist neben dem Vion-Betrieb im bayrischen Vilshofen unter anderem der Tönnies-Standort in Weißenfels betroffen. Insider schätzen die aktuellen Schlachtzahlen dort auf maximal 50 % der üblichen Menge.
Schweinemäster zahlen die Corona-Zeche
„Die Schweinehalter tragen keine Schuld an der Corona-Misere. Trotzdem zahlen sie die Zeche für die Krise“, urteilte Wilfried Brede, Berater vom Service-Team Alsfeld in Hessen.
Obwohl die Schlachtgewichte schon länger hoch sind, gab es lange keine Anpassungen bei der Abrechnung. Zwar hat Tönnies Ende November (bereits zum zweiten Mal) eine „Corona-Maske“ eingeführt - allerdings nur bei Abrechnung nach FOM. Dadurch haben sich bei Abrechnung nach FOM die Gewichtsgrenzen um 7 kg nach oben geschoben. Brede bemängelte, dass bei den AutoFom-Masken die Gewichtsgrenzen der Teilstücke nicht verändert wurden.
Auch Vermarktungsexpertin Christa Niemann vom Deutschen Bauernverband vertrat die Meinung, dass die Schlachthöfe die schweren Schweine quasi „unter Wert“ einkaufen. Schließlich lieferten die schwereren Schweine den Schlachthöfen auch erheblich mehr Fleisch, weil mit dem Gewicht auch das Fleischmaß steige. Dieses werde jedoch bei der Klassifizierung nicht direkt mitbewertet.
Wilfried Brede beklagte zudem die ungleiche Verteilung der Lasten innerhalb der Kette. „Meines Erachtens haben LEH und Schlachtindustrie ihre Margen beibehalten, teilweise sogar ausbauen können“, stellte der Berater heraus. Während die Erzeugerpreise sanken, hätten die Schlachter ihre Verkaufspreise an den Handel relativ stabil halten können.
Tönnies schlachtet mehr Schweine
Dieser Darstellung widersprach Dr. André Vielstädte, Pressesprecher und einer der Geschäftsführer bei Tönnies. Der Eindruck, dass die Schlachtunternehmen aktuell von der Situation profitieren, sei falsch. Auch für die Schlachtbetriebe sei die Situation schwierig. Man habe erhebliche Kosten durch die Corona-Auflagen und -Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter zu tragen.
Zudem fehlten zwei wichtige Absatzwege: Zum Einen ist die Gastronomie bzw. der Außer-Haus-Verzehr von Schweinefleisch durch die Corona-Auflagen nahezu vollständig zusammengebrochen. Dies mache ungefähr ein Drittel der Vertriebsmenge in Deutschland aus. Zum Anderen ist der Drittlandexport spätestens seit dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland massiv gestört.
Gleichzeitig drückten zusätzliche Mengen Schweinefleisch aus anderen europäischen Ländern auf den EU-Binnenmarkt. So zum Beispiel aus Dänemark, wo mehrere große Schlachtbetriebe zuletzt für den China-Export gesperrt waren.
Ein Lichtblick für Vielstädte ist die Ende November neu eröffnete Schinkenzerlegung in Rheda. Dadurch habe Tönnies die Schlachtzahlen in Ostwestfalen deutlich hochfahren können. 120 000 bis 130 000 Schweine pro Woche kamen in den vergangenen zwei Wochen in Rheda an den Haken.
Maske für schwere Tiere
Um die Landwirte weiter zu entlasten und den Schweinestau abzubauen, habe Tönnies seine Maske Ende November verschoben und setze alles daran, jetzt vornehmlich die sehr schweren Schweine seiner Vertragsbetriebe und langjährigen Partner abzunehmen. „Mit der Corona-Maske werden überschwere Schweine bei uns nicht mehr als Sauen abgerechnet“, betonte Dr. André Vielstädte in diesem Zusammenhang. Für Schweine mit über 120 kg Schlachtgewicht gilt nämlich ein „Auffangpreis“ von 1 € je kg SG. „Gleichzeitig bekommen wir aber immer noch eine Vielzahl von zu leichten Schweinen. Das darf nicht sein“, sagte er.
In Richtung Politik sandte der Tönnies-Geschäftsführer zwei Forderungen: Erstens solle sich die Bundesregierung insbesondere für die schnelle Wiedereröffnung des chinesischen Marktes einsetzen. Zweitens müsse es eine praktikable Lösung für die Reiserückkehrer geben. „Bei uns arbeiten viele Polen, Rumänen und Bulgaren. Wenn die nach dem Weihnachtsurlaub erst zehn Tage in Quarantäne müssen, dann haben wir ein Problem mit den Schlachtungen!“, erklärte Vielstädte.
Sein Fazit: „Es ist nicht so, dass die Landwirte die Last alleine tragen. (...) Auch wir haben wahrscheinlich das schlechteste Jahr, was wir als Unternehmen bisher erlebt haben.“
Bessere Preisaussichten erst ab März?
Und wann wird es wieder besser? Marktexperte Dr. Frank Greshake von der Landwirtschaftskammer NRW hofft, dass sich die Erzeugerpreise nach weiteren „zwei bis drei bitteren Monaten“ wieder erholen. Entlastung würde die Corona-Impfung und die Wiedereröffnung der Gastronomie bringen. Für künftig mehr Luft im Markt sorgen auch die aktuell laufenden Bestandsabstockungen - so bitter das auch ist. Berater Wilfried Brede geht davon aus, dass viele Sauenhalter und auch einige Mäster jetzt das Handtuch werfen und sich der Selbstversorgungsgrad beim Schwein in den kommenden Monaten und Jahren bei deutlich unter 100 % einpendeln wird.