Per Knopfdruck schnellen zwei Melkbecher automatisch aus dem Boden. Nur das Ansetzen an die zwei prall gefüllten Zitzen der Ziege muss Lorenz Sökefeld noch selbst übernehmen. Das Euter braucht er vorher nicht zu stimulieren, die Ziegenmilch fließt wegen der größeren Menge an Zisternenmilch auch so. Auf beiden Seiten des Melkstandes naschen 24 Zicken am Kraftfutter, während sie ihre Milch geben.
Seit gut einem Jahr melkt der 34-Jährige in seinem neuen Stall im Außenbereich von Borgentreich-Bühne im Kreis Höxter. Für ihn ist die Ziege der ideale Wiederkäuer, der die Kreisläufe auf seinem Biobetrieb schließt. Außerdem bietet die Bioziegenmilch dem Borgentreicher ein festes Standbein in der Landwirtschaft – auch ohne einen Hof geerbt zu haben.
Ziege als Dauermelker
Während die 120 Frischmelker gerade gemolken werden, neckt sich der Rest der Herde noch im Stroh. Der neue Stall ist auf 500 Milchziegen ausgelegt. „Eine Person schafft 300 Ziegen in der Stunde zu melken“, sagt Lorenz Sökefeld, dessen Team aus einem festen Mitarbeiter, einer 450-€-Kraft und einem Praktikanten besteht. Er selbst hat noch eine halbe Stelle bei der BioMühle Hamaland.
Zur Herde zählen bunte und weiße Deutsche Edelziegen, deren Genetik vor allem aus den Niederlanden stammt. „Das hat die Leistung nochmal nach vorne katapultiert“, betont er. Eine Ziege gibt am Tag bis zu 3,5 l. „Das macht im Schnitt etwa 1250 l pro Jahr“, rechnet er hoch. Ziegen sind Dauermelker. Sie müssen nicht jedes Jahr lammen, um in der Milch zu bleiben. So lassen sich die Tiere bis zu vier Jahre melken. „Das hält den Nachwuchs gering“, sagt Lorenz Sökefeld. Es lammt nur ein Fünftel seines Bestandes im Jahr und das in einem festen Zeitfenster – von Februar bis April. „Das macht die Ziege zu einem Tier, das sich sehr gut managen lässt“, sagt er. Die männlichen Kitze verlassen den Betrieb zur Mast, die weiblichen bleiben in der Nachzucht.
„Die Milchziegen sind stoffwechselstabiler. Der Stress der häufigen Geburten fehlt“, erklärt der Ostwestfale. Diese Erfahrung macht er gerade mit einer Gruppe, die vergangenes Jahr gelammt hat. „Die Leistung blieb bei mindestens drei Liter. Im Januar stieg sie sogar“, erzählt er.
Eigenes Futter
Der Wartebereich vorm Melkstand ist erhöht. Ein ähnliches Betonpodest entdeckt man im Bereich der Dauermelker. Die ursprünglichen Bergbewohner wechseln zwischen hartem und weichem Untergrund.
Der Tiefstreustall ist gleichzeitig auch Mistlager. Zweimal die Woche wird er neu eingestreut, alle vier Monate kommt der Mist komplett raus. „Mit 7 % Stickstoff und 5 % Phosphor sitzt richtig Power hinter dem Dünger“, betont der gelernte Landwirt, der an der Uni Kassel in Witzenhausen seinen Bachelor im Ökolandbau gemacht hat. Der Mist düngt die zum Betrieb gehörenden Flächen, mittlerweile sind das 90 ha Pachtland. Davon sind 20 ha Grünland.
Zurzeit weidet dort das Jungvieh. Die Fruchtfolge auf den guten Böden der Warburger Börde bilden zweijähriges Kleegras, Winterweizen, Mais, Zuckerrüben sowie Leguminosen wie Ackerbohne und Erbse. „Die Ziege verwertet das Kleegras ideal. So schließen wir den Kreislauf zwischen Futter und Mist auf dem Betrieb“, sagt er.
Über Genossenschaft
Für eine gute Milchleistung sorgen aber vor allem die Rübenschnitzel in der Futtermischung. Ein Futterroboter schiebt die Mischung von außen an das Fressgitter. Getrennt davon stehen die Tränken mitten im Stall.
Doch zurück zum Melkstand: Die Milch wandert in einen 5500 l großen Milchtank. Dreimal die Woche wird die Ziegenmilch abgeholt. Lorenz Sökefeld ist Mitglied in der „Organic Goatmilk Coöperatiei“ (GGC). Die Genossenschaft sitzt in den Niederlanden und bündelt 30 Mio. l Bioziegenmilch von mehr als 40 Bauern aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland. Die deutschen Erzeuger sind ausschließlich Demeter-Betriebe. Lorenz Sökefeld bekommt einen festen Milchpreis für ein Jahr, zurzeit 95 Cent.
Die Genossenschaft beliefert kleine Hofkäsereien, aber auch große Milchpulver- und Babynahrungshersteller. „Das streut das Risiko. Die Vermarktung meiner Milch ist gesichert, ohne von einem anderen Unternehmen abhängig zu sein“, sagt er. Denn Bioziegenmilch ist ein Luxusprodukt. Die steigende Inflation setzte gerade die kleinen Biokäsereien unter Druck. Der Absatz in der Babynahrungsindustrie ist aber laut Sökefeld gewachsen. Während Fett- und Eiweißgehalt der Ziegenmilch der Kuhmilch ähneln, sind die Fettmoleküle kleiner. „Das macht sie bekömmlicher. Außerdem hat die Ziegenmilch weniger Allergene“, erklärt er.
Auf die Ziege gekommen
Die Kosten des Stalls und der Herde – zusammen fast im siebenstelligen Bereich – hat Lorenz Sökefeld über eine heimische Bank finanziert. Ein genauer Businessplan überzeugte sie. Hinzu kamen Mittel aus dem NRW-Agrarinvestitionsförderungsprogramm (AFP). „Mit der Ziegenmilch kann ich die höchste Wertschöpfung erzielen“, sagt er. Für einen Biokuhstall wären die Investitionskosten zu hoch gewesen. „Außerdem gibt es viele Milchviehbetriebe, die bessere Voraussetzungen haben als ich und mit wenig Aufwand auf öko umstellen könnten“, verdeutlicht er die Konkurrenz auf dem Biomilchmarkt.
Erfahrungen mit der Ziegenhaltung sammelte er in seinem Job als Berater und in der Lehre. Nach dem Fachabi entschloss sich Lorenz Sökefeld, dessen Eltern keinen Hof haben, für die Ausbildung zum Landwirt. Das erste Jahr verbrachte er auf einem Versuchsgut des Thünen-Instituts in Schleswig-Holstein. Dort hatten sie eine Milchziegenherde. Das zweite Lehrjahr arbeitete er bei dem Bioland-Pionier Josef Jacobi in Borgentreich-Körbecke und hielt nebenbei ein paar Ziegen. Sein Ziel war es, in der praktischen Landwirtschaft zu bleiben und einen eigenen Hof zu führen. Parallel zum Studium in Witzenhausen bahnte sich eine außerfamiliäre Hofübernahme an, die aber scheiterte (mehr zu dem Thema in Ausgabe 26/2023).
Nach diesem Tiefschlag bot ihm ein Junggeselle einen Bullenstall zum Kauf an. Mit einem Zuschuss der Alnatura-Stiftung im mittleren fünfstelligen Bereich und Geld seiner Eltern nahm er das Angebot an und gründete so einen eigenen Betrieb. Dazu pachtete er weitere Flächen und kaufte erste Maschinen sowie 30 Biomastferkel. Zeitgleich arbeitete er in Vollzeit als Berater bei der BioMühle Hamaland. „So konnte ich alles, was ich im Betrieb erwirtschaftete, wieder in den Betrieb stecken“, erzählt der dreifache Vater. 2019 erweiterte er seinen Nebenerwerbsbetrieb um ein Hühnermobil. Im Jahr 2020 entschloss er sich, in die Ziegenhaltung einzusteigen.
Heute springen in dem ehemaligen Bullenstall, mit dem alles anfing, die Kitze. Bis sie nebenan in den neuen großen Stall einziehen dauert es noch ein paar Wochen.
Fit für den Klimawandel
Von außen erinnert der Ziegenstall an einen Boxenlaufstall für Kühe. Doch er ist mit Blechen verkleidet und nicht so luftig konstruiert. Nichtsdestotrotz flutet gerade im Sommer das Sonnenlicht den Stall.„Dauerhaft Minustemperaturen verkraftet die Ziege nicht“, sagt Lorenz Sökefeld. Per Fernsteuerung lässt sich die Firstkonstruktion abschieben. So staut sich die Wärme der Tiere im Winter im Stall.
Im Gegensatz zur Kuh hat die Ziege aber eine höhere Wärmetoleranz. Ziegen fühlen sich auch noch bei 20 °C und darüber hinaus wohl. „Sie ist besser an den Klimawandel angepasst als das Rind“, sagt der Ostwestfale. Auch verdaut sie anders: Die Ziege ist kein reiner Wiederkäuer, sondern hat noch eine unterentwickelte enzymatische Verdauung. „So lässt sie sich im Vergleich zu anderen Wiederkäuern besser mit rohfaserarmen Futterkomponenten füttern und läuft nicht so schnell Gefahr, eine Pansenübersäuerung zu bekommen“, erklärt Lorenz Sökefeld. Er bezeichnet die Ziege auch als Nascher. Sie frisst andere Kräuter wie Schafe und verwertet ein breites Spektrum bis hin zu Holzstoffen.
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