Schweinekrise

Krisengipfel Schwein beim WLV

Unter Schweinehaltern herrscht völlige Verzweiflung. Rechnungen türmen sich auf den Schreibtischen. Beim WLV klingelt ununterbrochen das Telefon. Vergangene Woche lud der Verband zur Krisensitzung ein

Ein Schweinepreis von 1,90 € pro kg? Davon können Schweinehalter derzeit nur träumen. Doch diese Summe wäre bei aktuellen Futter- und Betriebsmittelkosten bitter nötig, um die Höfe am Leben zu erhalten. Das rechnete Albert Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen am Freitag während der Online-Konferenz des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) vor.

Neues Jahr, neues Glück?

Zugeschaltet waren über 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ihre Stimmung: Wütend bis resigniert. Auch Hortmann-Scholtens Marktanalyse weckte leider wenig Hoffnung.

2021 kam die Erholung im Frühjahr. Bis Ostern kletterte die Notierung innerhalb von vier Wochen um 31 Cent. Doch selbst bei ähnlicher Preisentwicklung ist 2022 vermutlich keine kostendeckende Produktion für Schweinefleisch möglich. Kein Wunder, dass schätzungsweise 30 % der Mastkapazitäten leer stehen.

„Der Trend läuft gegen das Schwein.“

Da helfen auch keine Gespräche mit dem Lebensmitteleinzelhandel. Denn der Kunde ist König. Und der mag gerade lieber Rind oder Hähnchen. Beim Hackfleisch sind neuerdings Mischprodukte mit Gemüse beliebt.

Insgesamt wird der Fleischverzehr weiter zurückgehen, prognostiziert der Leiter des Marktreferats. Die Corona-Pandemie hat den Trend zusätzlich beflügelt. Waren es 2011 noch gut 40 kg pro Jahr, konsumierten Deutsche 2021 im Schnitt nur noch gut 30 kg Schweinefleisch pro Kopf. „Die vegane Welle hat uns voll erfasst“, resümierte Hortmann-Scholten.

Auch private Lagerhaltung von Schweinefleisch hat wenig Aussicht auf Erfolg. Schon jetzt liegt zu viel im Froster. Und die Auslagerung belastet den Markt meistens genau dann, wenn der Schweinepreis sich gerade erholt. Auf der anderen Seite bietet der Export in Drittländer kein Ventil mehr.

„Es droht ein flächendeckender Zusammenbruch der Strukturen – sowohl in der Landwirtschaft, als auch in den vor- und nachgelagerten Bereichen“, machte WLV-Präsident Hubertus Beringmeier deutlich.

Alternative Absatzwege

Einen kleinen Hoffnungsschimmer sah Albert Hortmann-Scholten bei den tierischen Nebenprodukten der Kategorie 3 – also das, was aus wirtschaftlichen Gründen nach Schlachtung und Zerlegung übrig bleibt. So wächst der Umsatz bei Petfood für Heimtiere, da sich im Zuge von Corona viele Leute ein Tier zugelegt haben. Doch auch hier leidet Schweinefleisch unter einem schlechten Image. Auf der Verpackung würde höchstens Wildschwein ausgewiesen, erläuterte er.

Seit September 2021 gibt es einen neuen Markt: Proteine vom Schwein dürfen an Geflügel verfüttert werden – und umgekehrt. Das Problem: Nur wenige Mischfutterwerke können das produktionstechnisch umsetzen. Zudem befürchten Geflügelproduzenten Probleme bei der Vermarktung, da Schweineprotein im Geflügelfutter womöglich nicht den Vorschriften für Halal-Lebensmittel entspricht. Für die zugeschalteten Landwirte also erstmal kein Grund zum Jubeln.

„Im Jahr 2022 werden die deutschen Schweinehalter wohl wieder Eigenkapital verbrennen“, schlussfolgerte auch Marktexperte Hortmann-Scholten. Dennoch sah er eine Zukunft für deutsche Schweinehalter – in regionalen Lieferbeziehungen. „Wir müssen zu völlig neuen Ufern und verhindern, dass unsere Rohstoffe austauschbar sind. “

Vorerst keine Zuversicht

Sorgen machte den Teilnehmern auch der erneute Schweinestau, in dem aufgrund von Personal- und Absatzproblemen aktuell wieder viele Betriebe stecken. Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, könnten Schlachthöfe ihre Abrechnungsmasken wie im Vorjahr nach oben öffnen. Das würde den wirtschaftlichen Schaden von Mästern dämpfen, deren Schweine nicht rechtzeitig abgeholt werden. Alternativ schlug ein Diskussionsteilnehmer vor, das durchschnittliche Schlachtgewicht zu senken. So käme insgesamt weniger Fleisch auf den Markt. Dafür müssten Schlachter ihre Preismaske nach unten verschieben. Doch beides ist erstmal nicht in Aussicht.

„Der Einfluss der ASP hat nachgelassen. Die überwiegende Misere ist Corona geschuldet.“

Für Diskussionsbedarf sorgten auch die Borchert-Pläne. Von der Politik fordern die Schweinehalter angesichts ihrer prekären Lage

  • umgehende Klarheit zum Umbau der deutschen Tierhaltung, insbesondere zur Finanzierung
  • sowie weiterhin Zugang zu Corona-Hilfen – gleichberechtigt mit anderen Wirtschaftsbereichen.