Die VEZG-Notierung für R3-Fleckviehbullen liegt vor Weihnachten bei 3,80 € (21.Dezember). Steigen die Preise weiter?
Völlig unerwartet übersteigt kurz vor Weihnachten die Nachfrage das verfügbare Angebot erheblich. Bullen, aber vor allem Kühe, sind vergleichsweise knapp. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) hat sich auf ein reges Nachfrageverhalten kurz vor und nach den Feiertagen eingestellt. Viele Haushalte kochen selbst Rindfleischgerichte. Kurz vor den Festtagen waren Preise für R3-Fleckviehbullen von mehr als 3,80 €/kg möglich.
Von Bullenmästern hört man, dass Händler ihnen die Türen einrennen.
Möglicherweise sind Schlachtunternehmen, aber auch Landwirte in diesem Jahr auf dem falschen Fuß erwischt worden. Üblicherweise endet das Weihnachtsgeschäft für Rindfleisch Anfang Dezember. Denn die Rindfleischprodukte müssen zwischen 14 und 21 Tagen abreifen. Somit haben sich viele spezialisierte Bullenmäster auf Verkaufstermine im November oder Anfang Dezember festgelegt und ihre Ställe geräumt. Vor den Feiertagen kam es so zu einem temporären Marktengpass, der den Preisanstieg erklärt. Anfang Januar dürfte sich der Markt allerdings wieder normalisieren.
Gleicht der Absatz im LEH den fehlenden Absatz aus dem Außer-Haus-Verzehr aus?
Zwischen LEH und dem Gastro-Großverbrauchersegment ergeben sich massive Umsatzverschiebungen. Während Hotels und Gaststätten edle Teilstücke wie Roastbeef oder Rouladen präferieren, stehen im LEH vielfach Hackfleischprodukte vorne in der Verbrauchergunst. Wertmäßig können die steigenden Nachfrageimpulse im LEH den Rückgang des Außer-Haus-Verzehrs nicht ausgleichen.
Das Rindfleischsegment profitiert nach Untersuchungen der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) von allen Fleischarten am meisten von der Corona bedingten Umsatzsteigerung im LEH. Dem Handel gelang es im Vergleich zum Vorjahr, die verkauften Rindfleischmengen um 18,5 % zu steigern und gleichzeitig die Ladenpreise um 4,4 % zu erhöhen.
Im Frühjahr hat man die schlechten Preise für Jungbullen mit dem Wegfall des Außer-Haus-Verzehrs erklärt. Was ist jetzt anders?
Im Frühjahr stand mengenmäßig wesentlich mehr Rindfleisch zur Verfügung. Insbesondere Importware, sowohl aus Drittländern als auch aus europäischen Nachbarländern war reichlicher im Angebot. Darüber hinaus war aufgrund der Frühjahrstrockenheit das Futter knapp und führte zu vermehrten Schlachtungen. Die Corona-Lockerungen im Sommer sorgten für eine unerwartet starke Preiserholung.
Der Selbstversorgungsgrad für Rindfleisch liegt bei weniger als 100 %. Das gibt Hinweis auf eine strukturelle Unterversorgung des Marktes.
Werden weniger Bullen in Deutschland gehalten?
Der deutsche Rinderbestand ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Die Zahl der Milchkühe ist unter die 4-Mio.-Grenze abgesackt. Laut Novemberzählung werden in Deutschland nur noch 11,3 Mio. Rinder gehalten – so wenig wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. Der Jungbullensektor verlor in der Novemberzählung mit einem Minus von 2,4 % überproportional.
Die Mutterkuhhaltung fällt aufgrund der geringen Rentabilität permanent zurück. In deutschen Ställen stehen also insgesamt weniger Jungbullen zur Vermarktung an. Der Abbau der Rinderbestände wird sich auch 2022/23 weiter fortsetzen.
Wie entwickelt sich das Angebot von Rindfleisch auf dem europäischen und internationalen Markt?
Auch auf Ebene der Europäischen Union wird das Rindfleischangebot weiter schrumpfen. Die EU erwartet einen Rückgang in der Erzeugung von etwa 1,7 %. Ein harter Brexit könnte jedoch kurzfristig zu Unsicherheiten führen. Global schätzt die Food and Agriculture Organization (FAO) für den Zeitraum 2020/21 eine Produktionszunahme von 1,7 %.
Kommt aktuell weniger Rindfleisch aus dem Ausland als sonst zu dieser Zeit?
Insbesondere die Drittlandsimporte dürften weiter sinken. Die Südamerikaner haben mittlerweile in China attraktivere Absatzmöglichkeiten für ihr Rindfleisch entdeckt. Ich glaube zudem nicht mehr an eine Ratifizierung des Freihandelsabkommens Mercosur.
Schaffen wir es dann doch noch einmal, die 4-€/kg-Marke zu knacken?
Nach den Feiertagen wird sich der Markt beruhigen. Ich halte es allerdings im ersten Quartal 2021 für durchaus realistisch, dass für ausgesuchte Qualitäten im R- und U-Bereich die 4-€-Grenze geknackt wird. Denn Rindfleisch wird, im Gegensatz zum Schweinefleisch, nach wie vor stabile Absatzentwicklungen erfahren.
Auch der Preis für Kühe steigt nach einer langen Hungerphase wieder. Wieso genau jetzt?
Die Kuhfleischnotierungen liegen trotz der Jahresendrallye noch um einige Cent unter dem Vorjahresniveau. Hier spielt vor allem der Exportmarkt in Frankreich und Dänemark eine entscheidende Rolle. Diese Länder kaufen vielfach Kuhviertel. Sollten die EU-Exportmärkte die Krise rasch überwinden, wird sich die Lage normalisieren und höhere Erzeugerpreise zulassen.
Für Produkte vom Schwein haben drei der vier „großen“ vom LEH Preiserhöhungen zugestimmt. Wie sehen Sie die Chance, dass diese auch für Rindfleisch folgen?
Die Corona bedingten Nachfrageturbulenzen haben natürlich auch den Rindfleisch- und Kalbfleischmarkt schwer getroffen. Insofern sind die Forderungen nach dem Ausgleich der Corona bedingten Preisnachlässe berechtigt. Ich glaube allerdings nicht, dass man produktbezogen für jeden Bereich Preiserhöhungen aushandeln kann. Ich denke, grundsätzlich ist darüber nachzudenken, wie die heimische Landwirtschaft generell einen höheren Anteil an der Wertschöpfung in der Vermarktung von heimischen Produkten erhalten kann.
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